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Prager Regierung steckt in einer Zwickmühle

15. August 2002

– Wie hilft man den Hochwasseropfern und wie lindert man die sozialen Folgen der Reformen, wenn die Kassen leer sind?

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Prag, 14.8.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch

Prags Altstadt steht unter Wasser, die Jahrhundertflut wird Schaden in Milliardenhöhe hinterlassen. In der Wirtschaft kündigt sich derweil eine Ebbe an - die Rahmendaten zeigen einen deutlichen Abwärtstrend. Die Regierung unter dem soeben im Amt bestätigten Ministerpräsidenten Spidla muss im Zeichen leerer Kassen versuchen, die sozialen Folgen der Reformen zu lindern. Gelingt dies nicht, werden die Wähler den regierenden Sozialdemokraten in hellen Scharen davonlaufen. Warnendes Beispiel ist die Slowakei - dort werden im Herbst neu gegründete rechtspopulistische Parteien das Rennen machen.

Hochwasser in Prag, die wirtschaftlichen Schäden werden aller Voraussicht nach - in Euro gerechnet - Milliardenhöhe erreichen: Bei der letzten großen Flut vor fünf Jahren in Mähren entstand ein Gesamtschaden von über zwei Milliarden Euro; die tschechische Versicherungswirtschaft zahlte über 300 Millionen Euro aus, der tschechische Staat half mit rund 600 Millionen Euro.

Die Katastrophe trifft die tschechische Wirtschaft zu einem Zeitpunkt, an dem die Rahmendaten ohnehin einen deutlichen Abwärtstrend signalisieren. Die Baubranche meldet für den Juni einen Ruckgang von 1,3 Prozent, zurück ging mit drei Prozent vor allem die Abteilung Neubauten und Renovierung. Das ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass ausländische Kapitalgeber sich bei Neubauten in Tschechien zurückhalten, der Zustrom an ausländischen Direktinvestitionen - bislang Wachstumsmotor für Tschechiens Wirtschaft - allmählich verebbt. Von der Rezession in Westeuropa und der starken tschechischen Krone sind vor allen Dingen Firmen in tschechischem Besitz betroffen, sie müssen starke Einbußen beim Verkauf hinnehmen.

Die Regierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Spidla steckt in einer Zwickmühle. Einerseits müsste sie, den Blick fest auf den Beitritt zur EU und die Eurozone gerichtet, das mittlerweile historische Höchstmarken erreichende Haushaltsdefizit abbauen. Andererseits drohen ihr bei einem allzu strikten Sparkurs die Wähler davonzulaufen: Die Kommunisten, die mit 18,5 Prozent der Stimmen und einem Plus von 7,5 Prozent die Gewinner der Parlamentswahlen waren, holten ihre Zugewinne vor allen Dingen bei den regierenden Sozialdemokaten - jeder zehnte Wähler, der noch vor vier Jahren für die CSSD (Sozialdemokratische Partei - MD) gestimmt hatte, so zeigen Meinungsumfragen, lief heuer ins Lager der Kommunisten über. Umgekehrt konnten die Sozialdemokraten kaum Zugewinne von der linken Konkurrenz verbuchen.

In ihrer Not versucht die neue Regierung nun mit einem deutlich linken Programm bei den Bürgern zu punkten. Nicht alles, was versprochen wird, ist unsinnig - der notleidende Gesundheitssektor braucht dringend mehr Geld, auch in die Bildung sollte mehr investiert werden. Doch die gesamte Ausrichtung stößt schon jetzt bei deutschen Investoren auf Kritik - kein gutes Zeichen für ein Land, dessen Wirtschaft in so hohem Maße vom Zustrom ausländischen Kapitals abhängig ist.

Andererseits muss die Regierung den Bürgern einige Wohltaten erweisen. Das zeigt das warnende Beispiel des slowakischen Brudervolkes. Nach vier Jahren Reformen stehen dort die regierenden Demokraten unter Ministerpräsident Dzurinda vor dem Aus. Den größten Zugewinn verzeichnen neu gegründete rechtspopulistische Parteien, die aus dem Boden schießen wie Pilze nach dem großen Regen - Europa wird an der neuen slowakischen Regierung wenig Freude haben. In Tschechien regiert für vier Jahre die Mitte - ein hoffnungsvolles Zukunftszeichen trotz aller negativer Tendenzen. (fp)