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Prager Oberbürgermeister legt sein Amt nieder und tritt aus ODS aus

31. Mai 2002

- Heftige Reaktionen auf Rücktritt von Jan Kasl

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Köln, 31.5.2002, RADIO PRAG

RADIO PRAG, deutsch, 29.5.2002

Der Prager Oberbürgermeister Jan Kasl (ODS) hat sich entschieden, am heutigen Mittwoch (29.5.) sein Amt niederzulegen und aus der Bürgerdemokratischen Partei (ODS) auszutreten. Der Nachrichtenagentur CTK teilte er am Dienstag mit, er wolle keine weitere Mitverantwortung für die Stadt tragen. Mehr und mehr habe sich sein Eindruck verstärkt, dass bei den Entscheidungen der Stadträte aus den Reihen der ODS persönliche Interessen vor den Interessen der Bürger rangierten, sagte Kasl. Weiter führte er an, dass es ihm nicht gelungen sei, seine Kollegen von einer entschiedenen Kampagne gegen die Korruption zu überzeugen. (ykk)

RADIO PRAG, deutsch, 29.5.2002, Martina Schneibergova

Das "Prager Attentat" - so könnten die Bürgerdemokraten künftig die vor den bevorstehenden Abgeordnetenhauswahlen schicksalhafte Entscheidung ihres bekanntesten Kommunalpolitikers Jan Kasl bezeichnen. Dieser hat am Dienstagabend (28.5.) seinen Rücktritt vom Posten des Prager Oberbürgermeisters und zugleich seinen Austritt aus der Demokratischen Bürgerpartei, ODS, bekannt gegeben. Als die Hauptgründe für seinen Beschluss nannte Kasl die Tatsache, er habe jegliche Reste des Vertrauens gegenüber der Führung der Prager Bürgerdemokraten verloren. (...)

Wie erläuterte Kasl seinen Rücktritt, gab es neue Aussagen von ihm gegenüber seiner bereits veröffentlichten Erklärung?

Die starke Journalistenteilnahme und auch die Präsenz einiger Fernsehteams zeugt von der Bedeutung, die man dieser Tat - unmittelbar vor den Abgeordnetenhauswahlen - beimisst. Jan Kasl betonte wiederholt, dass er seine Entscheidung wirklich nach langen Überlegungen fasste. Kasl wurde - wie bekannt - von seinen Parteikollegen für seine harten Worte gegen die Korruption auf dem Prager Magistrat kritisiert. Als den allerletzten Tropfen bezeichnete er die Tatsache, dass er zum Schluss kam, dass der Wille, das Korruptionsmilieu zu ändern, nicht da ist. Er sagte, er wolle in seinem Amt das Verhalten der anderen nicht beschützen. Kasl zog den folgenden Vergleich:

"(...) Man hat mir eine Lokführeruniform angezogen und mich in den Zug gesetzt, die Weiche hat jedoch leider jemand anderer gestellt. Die Passagiere fragen danach, wohin wir fahren, und ich antworte, ich will nicht dorthin fahren, aber die Weiche wurde so gestellt. "

Hat Kasl nicht bewusst lange mit seinem Rücktritt gewartet - nämlich bis vor den Wahlen?

Ja, es wurden ihm einige Fragen in diesem Sinne gestellt. Er meinte, dass diese Entscheidung mit den Wahlen nicht zusammenhängt. Er erklärte weiter, dass er mit den Menschen von der Prager Parteiführung einen langen Kampf um die Durchsetzung seiner Meinung führt, dass die Politik Dienst an den Bürgern sein und nicht zur Sicherung guter Positionen, materieller Vorteile und anderer Begünstigungen führen soll. Er unterstrich auch, dass er lange unter einem starken Druck stand. (fp)

RADIO PRAG, deutsch, 30.5.2002

"Kasls Rücktritt, zwei Wochen vor den Parlamentswahlen, sehe ich als sein persönliches und menschliches Versagen, es ist ein politisch ausgeklügelter Schritt," so Vaclav Klaus, dessen Partei Kasl auch gleichzeitig verlässt. Im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt könne es sich um nichts anderes als um einen politischen Affront handeln. Klaus sowie weitere Parteimitglieder der Bürgerdemokraten beschuldigen Jan Kasl der Kontakte mit der Prager Burg und ihr nahestehenden Personen. Dies betrachtet Kasl als irreführend. Immer, wenn jemand etwas nicht verstehen kann, kommt er mit Theorien über die Burgverschwörung, mit Geistern und solchen Sachen. Kasl sagt, dass er gerade wegen der Prager ODS-Führung zurückgetreten sei. Gegen diese Menschen kämpfe ich, um die Politik als einen Dienst an den Bürgern durchzusetzen und nicht als ein Mittel zum Sichern eigener Posten, sagte Kasl. Während die ODS-Mitglieder Kasl als Verräter bezeichnen, meinen die Meinungsforschungsexperten, dass dieser Schritt einen Einfluss auf die Wahlen haben wird, dass es auf die Uneinigkeiten in der Partei hinweist und es einen Rückgang von Wählern bedeuten könnte.

Auch die meisten Kommentare der tschechischen Presse widmen sich Kasls Rücktritt. Der Kommentator der "Lidove Noviny" sieht in Kasl eine schwache Person, die keine Kraft mehr hatte, innerhalb der Partei zu kämpfen und selber am meisten verloren hat. Die Tageszeitung "Mlada Fronta dnes" bringt gleich vier Kommentare. Für Kommentator Pecinka ist Kasl jemand, der gesehen hat, dass er in den nächsten Wahlen keinen Spitzenplatz einnehmen wird und aus Protest sowohl vom Posten zurück- als auch und aus der Partei ausgetreten ist. Martin Schmarz wiederum beleuchtet zwei Seiten dieser Causa - für ODS Mitglieder sei er ein Faulenzer und Verräter, für Außenstehende ein arbeitsamer und aufrichtiger Mensch. Schmarz zufolge verließ er die ODS-Reihen nicht, weil er der Schwächste war, sondern weil er für die anderen eine zu große Konkurrenz darstellt.

Die Rechte und Kompetenzen des zurückgetretenen Prager Oberbürgermeisters Jan Kasl werden zunächst von fünf Stadträten übernommen. Die Funktion des Oberbürgermeisters soll sein bisheriger Stellvertreter Petr Svec einnehmen. Die Sektionen Außenpolitik, Polizei, Denkmalschutz und Planung werden auf vier weitere Ratsmitglieder verteilt. Dies verkündete der kommissarische Oberbürgermeister Petr Svec am Donnerstag (30.5.) in Prag gegenüber Journalisten. (fp)