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Prag: Vorurteile gegenüber Deutschen schwinden

21. März 2002

- Tschechen im ehemaligen Sudetenland stehen Vertriebenen am aufgeschlossensten gegenüber

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Prag, 21.3.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch, Gerd Lemke

"Die Sudetendeutschen waren Landesverräter und die fünfte Kolonne Hitlers." – "Die Benes-Dekrete sind Unrecht und diskriminierend."

Mit alten historischen Argumenten und Ressentiments schlagen derzeit tschechische, österreichische und deutsche Politiker aufeinander ein. Andererseits behaupten die Besonneneren unter ihnen, das deutsch-tschechische Verhältnis sei nie besser gewesen. Ähnliches hat übrigens auch der slowakische Premierminister Mikulas Dzurinda über das ungarisch-slowakische Verhältnis bei seinem Brüssel-Besuch (18.-19.3.) gesagt. Doch auch dort knirscht es wegen der Benes-Dekrete und dem Streit um die Unterstützung Budapests für Auslandsungarn.

Was also ist dran an den nachbarschaftlichen Beziehungen, besonders dort, wo sie auf dem Prüfstand stehen - in den Grenzregionen? Dieser Frage ist die auflagenstärkste tschechische Tageszeitung, die "Mlada Fronta Dnes" vergangene Woche nachgegangen und hat dabei Überraschendes festgestellt. Die Bewohner der früheren Siedlungsgebiete der Sudetendeutschen haben eine aufgeschlossenere Meinung über die Problematik im Zusammenhang mit den Benes-Dekreten als der Rest Tschechiens.

So halten 41,4 Prozent dieser Gruppe es für unmoralisch, alle Deutschen und Ungarn als Verräter und Kollaborateure zu bezeichnen - gegenüber nur 23,5 Prozent im Binnenland. Hingegen denken nur 35 Prozent, dass dieser Standpunkt, der in den Benes-Dekreten ausgedrückt wird, der damaligen Situation entsprochen hat (gegenüber 52,3 Prozent im Binnenland). Auch ist die Anzahl derjenigen, welche einer Abschaffung der Dekrete zustimmen würden, in den Grenzgebieten fünfmal so hoch wie im Landesinneren (7,2 zu 1,4 Prozent). Hingegen fordern markant weniger Tschechen im Grenzgebiet das Beharren auf den Erlassen des ersten Nachkriegspräsidenten (20,3 Prozent gegenüber 33,6 Prozent). 28 Prozent aller Tschechen sprechen sich ausdrücklich dafür aus, das von den Sudetendeutschen beschlagnahmte Eigentum zurückzugeben oder zu ersetzen. Im Grenzland fürchten nur zehn Prozent um ihren eigenen Besitz, der gegebenenfalls von der Rückerstattung betroffen wäre.

Mehr als die Hälfte aller Tschechen spricht sich sowohl dafür aus, den Sudetendeutschen die tschechische Staatsbürgerschaft zurückzugeben, die keine Verbrechen begangen haben, sowie die in den Nachkriegsjahren begangenen Verbrechen und Greueltaten an Deutschen zu bestrafen. Das sind Werte, die zeigen, dass die Mehrheit im Lande die Vergangenheit längst bewältigt hat und die Deutschen realistisch sieht: als den größten Auslandsinvestor in Tschechien, der mitgeholfen hat, die tschechische Wirtschaft auf EU-Kurs zu bringen. Das führt wohl auch dazu, dass Tschechen als größte deutsche Untugend "Überheblichkeit"" nennen. Nur 5,7 beziehungsweise 4,3 Prozent nannten "Expansionsdrang" und "Nationalismus", Attribute, die den alten Ressentiments entsprochen hätten. (ykk)