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Potenziale erkennen und nutzen

Thomas Kirschning 8. April 2003

Nahezu unbeeinträchtigt von Terror, Krieg und Krisen entwickelten sich die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen zu beiderseitiger Zufriedenheit - wenn auch mit Schönheitsfehlern. Thomas Kirschning kommentiert.

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Was wäre die deutsche Wirtschaft in Zeiten von Krisen und Konjunkturflauten ohne den weiter brummenden Export nach Osteuropa? So solide und vielversprechend die Zahlen des deutsch-russischen Außenhandels grundsätzlich aussehen, so steckt der Teufel doch im Detail: Zwar sind die deutschen Ausfuhren nach Russland auch im vergangenen Jahr noch einmal um über zehn Prozent gestiegen. In etwa der gleichen Größenordnung aber gingen russische Exporte nach Deutschland zurück.

Der Grund dafür liegt vor allem in der ungleichen Warenstruktur der Lieferungen und Bezüge: Während Deutschland vor allem Maschinen und Fertigwaren verkauft, kommen aus Russland ganz überwiegend Rohstoffe und Energieträger, wobei Öl und Gas vom Wert her den Löwenanteil ausmachen. Das aber erschwert ein ausgewogenes, organisches Wachstum des beiderseitigen Handels. Denn Rohstoffe unterliegen starken Preisschwankungen. Im Jahr 2002 etwa wurden Öl und Gas billiger. Und dank steigenden Umweltbewusstseins wächst die deutsche Nachfrage nach Energieträgern bei weitem nicht mehr so stark wie früher.

Damit die wirtschaftlichen Beziehungen beider Staaten auch in Zukunft eine so feste Basis für die politische Zusammenarbeit sein kann wie in der Vergangenheit, ist Diversifizierung angesagt. Es gilt, ungenutzte Potenziale zu erkennen: Russland hat viel mehr zu bieten als nur Bodenschätze.

Kurz bevor die großen Namen in Petersburg noch größere Reden halten, trägt man diesem Problem in Berlin bereits Rechnung: Auf dem Messegelände der Hauptstadt geht es um konkrete Geschäfte und Investitionen in unterschiedlichsten Bereichen - etwa um Wohnungssanierungen, um die Entwicklung der russischen Eisenbahn als Transportmittel zwischen Asien und Europa oder um Kooperationen im Umweltschutz.

Ein anderes, noch weitgehend brachliegendes Potenzial stellt die in Russland traditionell exzellente naturwissenschaftlich-technische Ausbildung dar: Zwar sind nach der politischen Wende zahlreiche Forscher ins Ausland abgewandert, weil der Staat ihre Arbeit kaum noch finanzieren konnte. Dennoch berichten deutsche Unternehmer, die in Russland High-Tech-Produkte herstellen, von weit überdurchschnittlicher Einsatzbereitschaft, Lernfähigkeit, Kreativität und Erfindungsreichtum ihrer dortigen Mitarbeiter.

Dann wäre da noch die russische Landwirtschaft: Das Land wandelt sich längst vom einst Not leidenden Empfänger westlichen Getreides zum Hersteller und potenziellen Lieferanten von Nahrungs- und Genussmitteln, die den Vergleich mit hiesigen Produkten nicht mehr scheuen müssen. Damit die russische Exportpalette aber auch um solche Güter erweitert werden kann, ist die Europäische Union gefragt: Die derzeit hier noch gültigen Importbeschränkungen werden im Rahmen der Verhandlungen der Welthandelsorganisation WTO ohnehin fallen müssen.

Noch ist Frankreich der größte Außenhandelspartner Deutschlands. Gelingt es aber, Russlands Potenziale Schritt für Schritt für den deutschen und europäischen Markt zu nutzen, dann bietet das Land bislang kaum abschätzbare Möglichkeiten für eine Intensivierung des wechselseitigen Austausches von Waren und Dienstleistungen.

An einem möglichen Erfolg bestehen in der Sache keine Zweifel. Allerdings müssen sich russische wie deutsche Unternehmer daran gewöhnen, dass die Musik nicht nur in Moskau, Petersburg oder Berlin spielt. Eine Diversifizierung der Produktpaletten bedeutet auch, sich in den Regionen umschauen zu müssen. In der russischen Hauptstadt bilden deutsche Unternehmer die größte ausländische Gemeinde von Geschäftsleuten. Nun sollten sich deutsche Mittelständler allmählich auch trauen, die Weiten des Landes auszumessen.