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Populismus befeuert den Wahlkampf in Bayern

Ben Knight aus München
6. Oktober 2023

Im größten Bundesland Deutschlands wird am Sonntag gewählt. CSU-Ministerpräsident Söder will mit der derzeitigen Koalition an der Macht bleiben. Aber wie geht er mit dem populistischen Ton seines Koalitionspartners um?

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Frauen und Männer einer bayerischen Volkstanzgruppe in Tracht, die einen Kreis von tanzenden Paaren bilden
In Bayern sind rund 9,4 Millionen Menschen ab 18 Jahren zur Wahl aufgerufen, darunter rund 554.000 ErstwählerBild: imageBROKER/picture alliance

Wenn der bayerische Ministerpräsident Markus Söder den Raum bei Wahlkampfveranstaltungen betritt, kommt er nicht einfach direkt auf die Bühne, sondern aus dem hinteren Teil des Saals. Er schreitet durch die Menge wie ein Boxer auf dem Weg in den Ring und schüttelt unterwegs so viele Hände wie möglich, saugt die Stimmung im Publikum förmlich auf. Ihn begleitet zwar meist eine Entourage von Sicherheitsleuten, Assistenten, manchmal ein Kameramann, aber er wirkt wie jemand, der aus der Mitte des Volkes auftaucht. Wie jemand, der sich ihr zugehörig fühlt - und das auch zeigen will. 

Einen solchen Auftritt hatte Söder Ende September bei einer Wahlkampfveranstaltung in Ebersberg bei München, als er auf die Zielgerade seiner Wiederwahlkampagne einbog.

Witze auf Kosten der Klimaschützer

Söder hält wieder eine seiner routinierten Reden, die er nicht mehr abzulesen braucht und deren Inhalte er je nach Publikum auswählt. An diesem Abend gehen seine Witze zu Lasten der Klimaschützer, des sozialdemokratischen Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach und natürlich des Lieblingsgegners der konservativen deutschen Politiker - der Grünen und ihrer angeblichen Vorliebe für Verbotspolitik gegenüber Würstchen, Süßigkeiten und dem Abschuss von Wölfen, die Nutztiere töten.

Markus Söder geht bei einer Wahlveranstaltung in Ebersberg durch ein Spalier von Menschen und schüttelt Hände.
Markus Söder achtet darauf, so viele Hände wie möglich zu schütteln, während er sich bei seinen Wahlkampfveranstaltungen durch das Publikum drängtBild: Ben Knight/DW

Söder, der seit langem auf der Klaviatur des Populismus spielt, hat offenbar beschlossen, dass Essen der Weg zum Herzen der Wähler ist. Unter den Werbegeschenken, die er an die Ebersberger verteilen lässt, findet sich auch ein Kochbuch. Aber nicht irgendeines: Es basiert auf Söders erfolgreichstem Hashtag in den sozialen Medien: #Söderisst. Söder postet auf Instagram regelmäßig, was zwischen Presseterminen und Wahlveranstaltungen bei ihm auf den Teller kommt. Daraus ist ein Buch geworden.  

Söder isst, was Bayern ist

Wer die Rezepte seiner Lieblingsessen auch nur kurz durchblättert, dem wird schnell klar: Der Mann liebt das bayerische Essen. Ein Bayer durch und durch, lautet die offenkundige Botschaft. Und Söders CSU ist im Grunde Bayern, lässt der Ministerpräsident immer wieder gerne durchblicken. Auch in Ebersberg: "Eine starke CSU ist ein starkes Bayern", sagt er und kann es sich nicht verkneifen, einen Seitenhieb auf die Bundesregierung anzubringen: "Und nichts liebt Berlin mehr als ein schwaches Bayern!"

Der lebenslange CSU-Wähler Josef Götz, der die Wahlkampfveranstaltung stilgemäß in bayerischer Tracht gekleidet verfolgt, nimmt solche Sprüche als Echo auf lange Jahre der innerdeutschen Rivalität wahr: "Berlin braucht uns, will aber nicht, dass wir mitreden", sagte er der DW. "Deshalb wird es auch nie einen bayrischen Kanzler geben!"

In letzter Zeit steht Söder jedoch noch vor einem anderen, unerwarteten Problem. In Sachen Populismus ist er überflügelt worden. Ausgerechnet von seinem Koalitionspartner Hubert Aiwanger. Der 52-Jährige ist stellvertretender Ministerpräsident, Wirtschaftsminister und Chef der Freien Wähler, einer relativ neuen konservativen Partei, die sich rühmt, bürgernah zu sein. 

Auf dem Papier sieht die CSU/FW-Koalition ganz einfach aus: Ideologisch und politisch gibt es kaum Unterschiede zwischen den beiden Parteien - beide sind Mitte-Rechts, sozial konservativ und wirtschaftlich liberal. Doch seit der letzten bayerischen Landtagswahl 2018, als Söder sich für eine Koalition mit den FW statt mit den Grünen entschied, ist das bilaterale Verhältnis unruhiger geworden. Das Vertrauen in Aiwanger ist bei den bayerischen Wählern gewachsen.

Aiwanger: Ein neuer Populist im Aufwind

Die Skandale um dessen angebliche rechtsextreme Sympathien in der Schulzeit und seine Rhetorik von der "Rückeroberung der Demokratie" haben seine Umfragewerte sogar steigen lassen.

Aiwanger besteht darauf, dass nicht alle seine öffentlichen Auftritte populistische "Bierzeltreden" sind. "Aber zur Bierzeltkultur gehört es, zu übertreiben, ein paar schenkelklopfende Gags zu produzieren, die die Leute zum Lachen animieren, und zu einer oft gewagten Behauptung gegenüber dem politischen Mitbewerber", sagt er der DW. "Dieser Schlagabtausch im Bierzelt hat bayrische Tradition, den viele Auswärtige nicht verstehen. Aber eben mit dem Ergebnis, dass ein Norddeutscher, wenn er in einem bayrischen Bierzelt eine Rede hält, nach drei Minuten grandios gescheitert ist." 

Hubert Aiwanger hält auf dem Podium eines Bierzeltes vor vollbesetzten Tischen eine Rede.
Hubert Aiwangers "Bierzelt-Reden" sind bei seinen Anhängern äußerst beliebtBild: Frank Hoermann/SvenSimon/picture alliance

Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz versuche, in Bayern Reden zu halten, komme niemand, so Aiwanger weiter. Er begründet die verschiedenen Wahlkampfstile mit regionalen Unterschieden. Auch aus eigener Erfahrung: "Norddeutschland ist einfach ein bisschen distanzierter und zurückhaltender als Bayern. Ich war mal im Landtag in Brandenburg und dachte, ich bin bei einer evangelischen Kirchenpredigt."

Über die Auswirkungen seiner provokanten Rhetorik auf die politische Debatte macht er sich keine Sorgen: "Ich sehe mich selber, ob Sie's glauben oder nicht, nicht als Populist, denn ich sehe in einem Populisten jemanden, der gegen seine Überzeugung Unwahrheiten ausspricht, um Stimmung zu machen."

Grüne, Freie Wähler und AfD zwischen 16 und 14 Prozent

Einige Kritiker aber sagen, dass Aiwanger genau das tue. Nicht zuletzt mit seiner berühmt-berüchtigten Rede, in der er das geplante Heizungsgesetz der Regierung zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen verurteilte. Für Aiwanger hat es sich jedoch ausgezahlt: Aktuelle Umfragen (ZDF-Politbarometer vom 5.10.23) sehen die FW bei 15 Prozent und Söders CSU bei 37 Prozent. Dieses Ergebnis wäre eine deutliche Verbesserung gegenüber den 11,6 Prozent, die die FW 2018 erreicht haben.

Traditionell sind die Mitte-Links-Parteien in Bayern schwach. In diesem Jahr liegen die Grünen in den Umfragen auf einem ähnlichen Niveau wie die Freien Wähler und die AfD: zwischen 16 und 14 Prozent. Scholz' Sozialdemokraten liegen durchweg unter zehn Prozent, und den neoliberalen Freien Demokraten (FDP), dem kleinsten Mitglied der Regierungskoalition auf Bundesebene, droht eine weitere regionale Niederlage, sie könnten unter die Fünf-Prozent-Hürde für eine Landtagsvertretung fallen.

AfD auch in Bayern stark

Söder, für den ein Wahlergebnis unter 35 Prozent eine totale Katastrophe wäre, fürchtet, noch mehr CSU-Wähler an den rechten Rand zu verlieren. Er will an der Zusammenarbeit mit Aiwanger fest- und damit den rechten Rand klein halten. Diese Wahlkampftaktik könnte sich aber langfristig für die Christlich-Sozialen als schädlich erweisen, wenn die Freien Wähler dadurch ermutigt werden, mehr als drei der fünfzehn Kabinettsposten zu fordern, über die sie derzeit verfügen.

Widerstand gegen rechte "Rattenfänger"

Markus Söder möchte sicher nicht als der CSU-Vorsitzende in Erinnerung bleiben, der den nationalen Einfluss seiner Partei verspielt hat. Bisher ist die Autorität des 56-Jährigen innerhalb der CSU unangefochten, seine Popularität in Ebersberg intakt. Denn dort hält sich der Appetit auf Töne vom rechten Rand in Grenzen: Bezeichnenderweise gibt es den lautesten Beifall des Abends, als Söder die radikalen Rechtsaußen der Alternative für Deutschland (AfD) verurteilt.

Sabine Maier, eine CSU-Wählerin im Bierzelt, sieht die AfD als Partei der "Rattenfänger". Der DW sagt sie, die CSU habe keine andere Wahl, als sich mit den Freien Wählern zu verbünden. "Eine Koalition mit den Grünen ist ausgeschlossen, eine mit der AfD Gott sei Dank auch, also bleibt nur die Fortsetzung mit den Freien Wählern."

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.