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Vertrauen

18. Mai 2009

Nicht Soldaten, sondern zivile Polizeikräfte sollten zu Friedensmissionen in Konfliktgebiete entsendet werden, fordert der Experte Tilman Evers. Militärs eigneten sich nicht zur Vertrauensbildung in Krisen.

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Rund 120.000 Soldaten und Soldatinnen sind derzeit weltweit in so genannten Friedensmissionen der UNO, der EU und anderer internationaler Organisationen im Einsatz. Die Zahl der Zivilkräfte in diesen Missionen erreicht nur ein Zehntel davon; die Ausgaben für militärische, beziehungsweise zivile Aufgaben stehen in einem ähnlichen Missverhältnis. Dabei betonen gerade hohe Offiziere mit langjähriger Auslandserfahrung wie der Brigadegeneral a.D. Manfred Eisele: "Militär kann keinen Frieden machen – das können nur zivile Kräfte mit ihrem leichteren Zugang zu lokalen Kräften in Politik, Verwaltung, Justiz und Polizei. Von ihnen hängt es entscheidend ab, wie nachhaltig eine Friedensregelung wirkt."

Zivile Kräfte für zivile Aufgaben

Verkehrte Welt: Gerade Militärs fordern den Primat der Politik – während Politiker in jeder Krise zuerst das Militär schicken. In Afghanistan sind derzeit 3500 Angehörige der Bundeswehr stationiert. Sie sollen für die Sicherheit der Bevölkerung sorgen, Flüchtlinge schützen, humanitäre Hilfe gewährleisten, den Drogenanbau bekämpfen und zum Wiederaufbau beitragen. Alles zivile Aufgaben, die der Bundeswehr innerhalb Deutschlands grundgesetzlich verboten wären! Für die Ausbildung von 10.000 afghanischen Polizisten konnte Deutschland dagegen nur 60 Polizisten entsenden!

Deutschland Bundestag Afghanistan Bundeswehr in Kabul
Bundeswehr-Soldaten sollen nicht kämpfen, sondern sich um den zivilen Wiederaufbau kümmernBild: AP

Militär ist dazu geschaffen, einen Feind zu besiegen. Es dient der Sicherheit und Machtentfaltung eines Staates oder Staatenbündnisses gegenüber gegnerischen Staaten. Oberste Maxime ist seine Effizienz bei der Ausschaltung von bewaffnetem Widerstand. All dies aber sollen und dürfen Soldaten in Friedensmissionen mit internationalem Mandat nicht tun. Sie sind gehalten, die lokale Bevölkerung, einschließlich bewaffneter Streitparteien, als Partner, nicht als Feinde zu betrachten. Sie dürfen von der Waffe meist nur zur Selbstverteidigung Gebrauch machen. Und sie sollen überwiegend den zivilen Aufbau schützen. Warum aber dann überhaupt Soldaten?

Weltpolizei? Ja – aber anders

Eine Expertengruppe aus Offizieren, Wissenschaftlern und Politikern an der Universität Hamburg hat kürzlich Kriterien für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr aufgestellt. Sie verlangt unter anderem das Völkerrecht und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt zu beachten. Eine Entsendung sei nur verantwortbar mit einem klaren Auftrag im Rahmen eines realistischen Friedensplans. Im Kern besagt das Gutachten: Militärmissionen sind letztlich nur dann legitim, wenn sie wie polizeiliche Einsätze konzipiert sind. Konkret fordern die Experten für den Kosovo und für Afghanistan, die ausländischen Militärkräfte schrittweise durch eine internationale Polizei zu ersetzen.

Spätestens seit dem so genannten Brahimi-Report von 1999 sind die Schwierigkeiten und Nachteile von internationalen Militärmissionen bekannt. Seitdem fordern namhafte Friedensforscher, bewaffnete Kräfte in solchen Missionen generell als internationale Polizei unter dem Dach einer zu reformierenden UNO zu konzipieren. Freilich müsste die Bewaffnung und Ausbildung einer solchen internationalen Polizei notfalls auch den Kriegswaffen eines Warlords gewachsen sein. Ansatzpunkte für eine solche Polizeitruppe fänden sich daher nicht beim unbewaffneten "Bobby" an der Ecke wie in England, sondern – das mag man bedauern - bei kasernierten Polizeieinheiten nach Art der italienischen Carabinieri.

Weltinnenpolitik statt Abschreckung

Dabei gäbe es viel zu gewinnen: Eine solche Völkerrechtspolizei wäre ein wichtiger Schritt zu einer Weltgesellschaft, deren Sicherheit auf dem Gewaltmonopol einer Weltinnenpolitik statt auf dem kriegsträchtigen Modell gegenseitiger Abschreckung zwischen souveränen Machtsstaaten aufbaut. Die Versuchung für Politiker wäre geringer, sich mit der Entsendung von Streitkräften zu profilieren und sie mit nationalen Egoismen aufzuladen, an denen schon manche Militärmission gescheitert ist.

Deutsche Polizei in Afghanistan
Deutscher Polizist bei der Ausbildung von Rekruten in AfghanistanBild: dpa

Der Denkansatz wäre dann: Keine militärischen Interessen mit entsprechender Machtausübung, sondern zivile Durchsetzung von Recht, im Rahmen politischer Lösungen mit diplomatischen Mitteln. Statt maximaler Effizienz in der Überwindung eines Feindes ginge es darum, mit dem geringstmöglichen Eingriff einen Störer an seinem menschen- und völkerrechtswidrigen Tun zu hindern.

Weitere Vorteile kommen hinzu: Während die Nationalstaaten eifersüchtig darauf achten, dass die UNO und andere internationalen Organisationen über keine "stehenden Kontingente" verfügen, könnten sie weit eher bereit sein, ihnen "stehende Polizeikräfte" zuzugestehen, die dann rasch, auch vor einem Gewaltausbruch verfügbar wären. Auch in den Einsatzländern gäbe es weniger Reibung mit überkommenden Souveränitäts-Wünschen, wenn ein bewaffneter Einsatz in ziviler Form "unterhalb" von militärischen Machtinstrumenten konzipiert würde.

Dem Frieden trauen

Die Entscheidungswege wären von Anfang an auf politische Führungen ausgerichtet sowie mit zivilen Zielen und Verantwortlichkeiten verknüpft. Auch "vor Ort" wäre die Zusammenarbeit mit lokalen zivilen Kräften einfacher, alltäglicher und nachhaltiger. Wie soll in einer verängstigten Bevölkerung Vertrauen in eine friedliche Zukunft entstehen, wenn ausländisches Militär mit Gewehren und Panzern das Straßenbild beherrscht? Bestätigt das nicht die Bilder von waffenstarrenden Machos, die man von den eigenen Kriegsherren und Plünderbanden kennt?

Auch Polizeikräfte müssen sich das Vertrauen der Bevölkerung erst verdienen. Sie stehen ihr aber nach Herkunft und Ausbildung, Auftrag und Auftreten näher. Im Kosovo haben ausländische Polizisten gut mit albanischen und serbischen Kollegen zusammengearbeitet.

Natürlich ist das bestehende Völkerrecht keineswegs ideal. Zu Recht fordert die EU insbesondere eine Reform des UN-Sicherheitsrats; dann sollte sie als multilaterale Zivilmacht mit gutem Beispiel vorangehen. Sie sollte ihre eigenen Einsatzkräfte als EU-Polizei konzipieren, statt einem veraltetem Militärdenken nachzugeben, das gerade auf dem europäischen Kontinent sein katastrophales Scheitern längst bewiesen hat.

Dr. jur. Tilman Evers
Bild: privat

Autor: Dr. jur. Tilman Evers, (Jahrgang 1942) ist Privatdozent für Politikwissenschaft, Lateinamerika-Experte und Vorsitzender des Forum Ziviler Friedensdienst e.V., Bonn.

Redaktion: Ulrike Mast-Kirschning (stl)