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Polizei gesteht Fehleinschätzung bei Demo ein

5. Oktober 2010

Nach der gewaltsamen Räumung des Stuttgarter Schlossgartens hat die Polizei eine falsche Einschätzung der Lage eingeräumt. Insgesamt verteidigte sie aber das Vorgehen. Zudem wird über einen Mediator-Einsatz diskutiert.

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Polizisten vor einem Bagger, der einen Baum fällt (Foto: dapd)
Polizeischutz für die BaustelleBild: picture-alliance/dpa

"Entscheidend war, dass die Polizei nicht zum Einsatzort gekommen ist, dass sie blockiert wurde", sagte der Stuttgarter Polizeipräsident Siegfried Stumpf am Dienstag (05.10.2010). "Wir haben zu diesem Zeitpunkt nicht mit diesen Blockaden gerechnet. Es ist uns bisher noch nie so viel Gegendruck entgegengebracht worden."

Baustellenfläche sollte geräumt werden

Gegner des Bahnhofprojekts werden von der Polizei abgedrängt (Foto: dapd)
Die Polizei stieß auf mehr Widerstand als gedachtBild: picture-alliance/dpa

Aufgabe der Polizisten sei es bei dem Einsatz am vergangenen Donnerstag gewesen, die Fläche zur Einrichtung einer Baustelle frei zu machen, sagte Stumpf. Dabei seien im Verlauf der Blockade aus den Reihen der meist jugendlichen Demonstranten mehrere brennende Feuerwerkskörper und Kastanien geworfen worden.

Der massive Widerstand der Gegner des Bahn-Projekts habe dazu geführt, "Pfefferspray, Wasserwerfer und im Einzelfall Schlagstöcke einsetzen zu müssen", verteidigte der Inspekteur der Polizei Baden-Württemberg, Dieter Schneider, das harte Vorgehen. Bei der Demonstration gegen das Fällen von Bäumen waren zwischen 130 und 400 Menschen verletzt worden. Viele von ihnen erlitten Augenverletzungen.

Innenausschuss berät zu den Vorfällen

Am Nachmittag berät der Innenausschuss des baden-württembergischen Landtags in einer nichtöffentlichen Sondersitzung über den Einsatz, der bundesweit Kritik ausgelöst hat. Polizeipräsident Stumpf sagte, es habe keine Einflussnahme auf den Polizeieinsatz aus dem Innen- und Staatsministerium gegeben. "Für diesen Einsatz bin ich verantwortlich", sagte Stumpf. Einen Rücktritt lehnte er ab.

Innenminister Heribert Rech (CDU) will dem Vernehmen nach weitere Belege für Attacken der Demonstranten auf die Polizei vorlegen. Verkehrsministerin Tanja Gönner verteidigte den Polizeieinsatz in einer Fernseh-Talkshow. Sie gehe davon aus, dass die Ordnungshüter bei der Räumung des Baufeldes rechtmäßig gehandelt haben.

Mediator gesucht

Gegner des Bahnhofprojekts 'Stuttgart 21' halten ein Schild mit der Aufschrift "Moratorium jetzt". (Foto: dapd)
Der Widerstand formierte sich am Montagabend friedlichBild: AP

Am Montagabend sind erneut zehntausende Demonstranten friedlich gegen das Großprojekt auf die Straße gegangen. Ihr Sprecher Axel Wieland sagte: "So viele Menschen waren montags noch nie da." Dies sei offenbar eine Reaktion auf die Äußerungen von Bahnchef Rüdiger Grube. Dieser hatte erklärt, er halte die Proteste gegen "Stuttgart 21" für nicht gerechtfertigt; es gebe kein "Widerstandsrecht gegen einen Bahnhofsbau".

Für die weiteren Verhandlungen und Gespräche werden die Rufe nach einem Vermittler und Schlichter immer lauter. Prominente Namen wie der des früheren CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler oder des Bürgerrechtlers Joachim Gauck sind genannt. Sie sollen die Gegner im Konflikt um den geplanten Umbau des Stuttgarter Bahnhofs zu einem Kompromiss bewegen. Gauck hat die Anfrage von FDP-Chef Guido Westerwelle aus Zeitgründen bereits abgelehnt. Für die Teilnahme an einem solchen Schlichtungsgespräch stellen allerdings beide Seiten Vorbedingungen.

Ohne Bauunterbrechung kein Gespräch

Die Projektgegner fordern einen Baustopp. Der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, sagte: "Ehrliche und glaubwürdige Vermittlung kann und darf sich nicht dem Ziel und Interesse einer der beteiligten Konfliktparteien unterordnen, sondern muss ergebnisoffen sein." Ohne Bauunterbrechung werde jeder Vermittler nur zum Feigenblatt, so Trittin.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, pocht auf die Fortsetzung der Bauarbeiten. Mit einem unabhängigen Vermittler bestünde aber die "Chance, die Diskussion wieder auf eine sachliche Ebene zu heben und einen konstruktiven Dialog in Gang zu bringen". Als Signal wertete die baden-württembergische Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU), dass am Südflügel vorerst keine weiteren Abrissarbeiten durchgeführt würden, weil es für den Baufortschritt nicht notwendig sei.

Der bisherige Stuttgarter Kopfbahnhof soll in den nächsten zehn Jahren in den Untergrund verlegt und zu einer Durchgangsstation umgebaut werden. Außerdem soll in Richtung Ulm eine Schnellbahnverbindung entstehen. Die Gegner warnen vor hohen Kosten, negativen ökologischen Folgen und Sicherheitsgefahren. Die Befürworter halten das Milliardenprojekt für notwendig, um den Standort zu sichern und auszubauen.

Autorin: Marion Linnenbrink / Sabine Faber
Redaktion: Thomas Grimmer