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Politisches Kalkül

Klaus Dahmann 14. Juli 2003

Die belgische Regierung von Ministerpräsident Guy Verhofstadt hat bestätigt, dass sie das von den USA heftig kritisierte Gesetz zur Verurteilung von Kriegsverbrechen ändern wird. Klaus Dahmann kommentiert.

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Wohlwollend könnte man es als "Angst vor der eigenen Courage" bezeichnen. Belgien hatte sich als erstes Land weltweit ein Gesetz geschaffen, das Völkerrechtler als zukunftsweisend und Menschenrechts-Organisationen als geradezu paradiesisch ansahen: Wer auch immer auf diesem Globus ein Kriegsverbrechen begeht, kann dafür vor einem belgischen Gericht angeklagt werden - auch wenn er kein belgischer Staatsbürger ist, keine Belgier dabei ums Leben kam und die Tat nicht auf belgischem Boden verübt wurde.

Großer Schritt

Damit war das Land noch einen Schritt weiter gegangen, als es dem letztes Jahr eingerichteten Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag möglich ist: Dort können nämlich nur Fälle vor die Richter gebracht werden, wenn zumindest Täter, Opfer oder Ort des Verbrechens einem Land zuzuordnen sind, das das Statut des Gerichts ratifiziert hat. Derartige Grenzen kennt das belgische Gesetz nicht.

Im bisher einzigen Fall, bei dem es in Belgien zum Prozess kam, wurden drei Ruander wegen Gräueltaten während des Bürgerkriegs in dem zentralafrikanischen Land zu langen Haftstrafen verurteilt. Ein spektakulärer Richterspruch, gegen den damals kein Staat etwas einzuwenden hatte - der aber leider einen, so muss man wohl inzwischen sagen, fatalen Nebeneffekt hatte: Dieser Prozess ermutigte nämlich zu neuen Anklagen, von denen zunächst die gegen Israels Ministerpräsident Ariel Scharon wegen Kriegsverbrechen während seiner Zeit als Verteidigungsminister Aufsehen erregte. Scharon sagte deshalb sogar einen Staatsbesuch in Belgien ab - obwohl die Staatsanwaltschaft den Fall noch prüfte.

Empfindliche US-Regierung

Und es liegen schon Dutzende weitere Klagen auf dem Tisch. Und darunter sind auch äußerst heikle Fälle: So werden US-Präsident George W. Bush und zahlreiche amerikanische Militärs wegen Verbrechen während des Irak-Kriegs angeklagt. Es verwundert nicht, dass die Bush-Regierung schon bei der kleinsten theoretischen Möglichkeit eines Prozesses höchst empfindlich reagiert. Schließlich hat sie auch im Falle des Internationalen Strafgerichtshofs nicht vor erpresserischen Mitteln Halt gemacht - auch wenn hier etwa ein Prozess gegen US-Bürger wegen des Irak-Kriegs praktisch unmöglich ist. Allein der Gedanke daran, dass es für engagierte Rechtsanwälte vielleicht doch noch irgendwo ein juristisches Schlupfloch geben könnte, um Bush oder andere vor Gericht zu stellen - allein dieser Gedanke reicht offenbar.

Dass die belgische Regierung nun - anders als im Falle Scharon, wo Israel vergeblich protestiert hatte - den Forderungen der USA nachgibt, lässt jedoch das Argument "Angst vor der eigenen Courage" nicht mehr gelten. Nein, die Regierung hat klein beigegeben, sie hat sich erpressen lassen, sie hat beschlossen, ein Gesetz zu ändern, damit die NATO nicht auf Druck der USA aus Brüssel abzieht. Das ist reines politisches Kalkül, dem ein leuchtendes Kapitel der belgischen Rechtsgeschichte zum Opfer gefallen ist.

Wie reagiert Berlin?

Die Bundesregierung in Berlin muss sich nun wohl oder übel mit der Frage befassen, wie sie in dieser Situation reagieren würde. Denn vielleicht wird bald jemand in deutschen Gesetzen stöbern - und plötzlich auf ein Dokument mit dem Titel "Völkerstrafgesetzbuch" stoßen, datiert vom 30. Juni 2002. Das ist inhaltlich nahezu identisch mit dem derzeit noch gültigen belgischen Gesetzestext - nur dass es in Deutschland bisher noch keine spektakulären Anklagen gab. Heikle Fälle wie in Belgien kann man zwar abweisen, aber von vornherein verhindern lassen sie sich eben nicht.