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"Politische Versprechen müssen eingehalten werden"

Die Fragen stellte Bernd Gräßler16. Juli 2005

Im Interview mit DW-RADIO erläutert der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, was er von einem CDU-regierten Deutschland erwartet und wie Politiker Vertrauen bei den Wählern gewinnen können.

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DW-RADIO: Herr Ministerpräsident, der Bundeskanzler hat die Notwendigkeit für Neuwahlen auch damit begründet, dass CDU und CSU mit ihrer Mehrheit im Bundesrat, die Umsetzung politischer Entscheidungen blockierten. Sie sind als christdemokratischer Ministerpräsident aus der Sicht des Bundeskanzlers also ein Blockierer. Müssen Sie sich die Jacke anziehen?

Wolfgang Böhmer: Nein, es ist zahlenmäßig belegbar, dass in der letzten oder in der jetzt laufenden Legislaturperiode etwas mehr Gesetze in den Vermittlungsausschuss überwiesen wurden als im Durchschnitt vorher. Aber in den meisten Fällen haben wir dort einen Konsens gefunden. Und diese Gesetze sind dadurch nicht schlechter sondern besser geworden. Und ein Teil der Gesetze - wenn sie grundsätzlicher Art waren - ist schon im Vorfeld fraktionsübergreifend besprochen worden. Zu behaupten, wir hätten die Bundesregierung blockiert, halte ich zahlenmäßig für nicht belegbar und sachlich für nicht gerechtfertigt.

Trotzdem, wenn man sich das Prozedere hier im Bundesrat anschaut - die SPD-regierten Länder besprechen sich vorher und legen die Linie fest, und die CDU/CSU-regierten Länder tun das Gleiche - ist es nicht so, dass im Bundesrat zuviel Parteipolitik herrscht?

Also, natürlich muss man sich untereinander abstimmen. Und man stimmt sich in den Ebenen ab, in denen man in grundsätzlichen Fragen einer Meinung ist. Deswegen sind wir im Grunde von diesen Parteien sondiert. Aber wenn man überhaupt etwas von Demokratie hält, dann wird man dies aushalten müssen. Das Gegenteil wäre ein Zentralismus, der dann am besten perfektioniert ist, wenn ein Politbüro feststellt, was die anderen alle zu sagen haben. Und genau das wollten wir nicht mehr.

Nun sind sich aber offenbar die Politiker aller Parteien einig und sie haben auch schon einen Anlauf unternommen zu einer Föderalismus-Reform, dass die Mitbestimmungsrechte des Bundesrates bei Gesetzen, die die Bundesregierung erlassen will, eingeschränkt werden soll. Halten Sie es für möglich, dass es in der neuen Legislaturperiode, die voraussichtlich kommen wird, einen neuen Ansatz gibt, um diese Föderalismus-Reform dann tatsächlich auch durchzubringen?

Das halte ich für möglich und auch für notwendig. Wir waren ja schon einmal ziemlich weit in dieser Frage. Diese Föderalismus-Kommission hat das Ziel, die Kompetenzen sowohl des Bundes als auch der Länder neu zu definieren und eindeutiger abzugrenzen. Und es ging nicht nur darum, die zustimmungspflichtigen Gesetze im Bundesrat zu reduzieren, es ging eben auch darum, diese Zahl von Gesetzen zu reduzieren, mit denen der Bund von seiner Möglichkeit der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch macht.

Welche Erwartungen stellt Wolfgang Böhmer an seine Partei? Und sind die Partei-Versprechungen nicht nur unrealisierbare Hoffnungen? Lesen Sie weiter!

Nun wird Ihre Parteivorsitzende, Kanzlerkandidatin und mögliche Kanzlerin, Angela Merkel, ja das Glück haben, dass sie sozusagen, wie sie selbst in einer Bundestagsrede gesagt hat, durchregieren kann. Das heißt also, es wird eine Unionsmehrheit möglicherweise mit der FDP zusammen im Bundestag geben, im Bundesrat auch. Ist es tatsächlich so, dass man dann Deutschland nur auf diese Art und Weise leicht regieren kann und politische Entscheidungen beschleunigen kann?

Das sieht nach außen vielleicht so aus. Aber die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Bundespolitikern, die die Bundesverantwortung wahrnehmen, und Landespolitikern, die die Länderverantwortung wahrnehmen, die bestanden schon immer und die werden auch weiterhin bestehen und die gehen quer durch die Parteien. Das ist innerhalb der SPD nicht anders als innerhalb der CDU. Nur dass die Diskussionen dann in anderen Gremien stattfinden. Das, was jetzt im Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag ausgehandelt werden muss, wenn es Konsens oder Dissens gibt zwischen einer SPD-geführten Bundesregierung und einer CDU-dominierten Ländermehrheit, bleibt trotzdem bestehen. Diese Probleme werden dann aber in den Präsidien der Parteien ausdiskutiert.

Sie sind Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, eines neuen Bundeslandes mit Problemen, was die Arbeitslosigkeit betrifft. Sie ist doppelt so hoch wie in den westlichen Bundesländern. Sie haben Schwierigkeiten, Ihren eigenen Haushalt zu finanzieren und sind auf Transfers angewiesen. Sie haben Abwanderung. Was erwarten Sie von einer neuen Bundesregierung, egal von welchen Parteien sie gebildet würde?

Dass sie alles tut, was Arbeitsplätze schafft. Das heißt, was der Wirtschaft Rahmenbedingungen organisiert, in denen die Wirtschaft wachsen kann. Nur dadurch werden wir das Problem des Arbeitsmarktes lösen können, und wenn mehr Menschen arbeiten, fließen automatisch auch mehr Steuern. Und deswegen halten wir diesen Weg für richtig.

Sie sind 1990 durch die Wende in der damaligen DDR in die Politik gekommen. Sie waren früher Chefarzt in einem Krankenhaus, ein sehr angesehener Beruf. Was müsste geschehen, damit auch der Beruf des Politikers in den Augen der Bürger wieder angesehener würde?

Die Politiker müssten darauf verzichten, der Bevölkerung Dinge zu versprechen, an die sie zwar selber glauben, aber deren Einhaltung sie nicht gewähren und sichern können. Und das erlebe ich immer wieder als eine große Versuchung im Politikerdasein, dass man seine eigenen Hoffnungen als Versprechungen formuliert, ohne sicher zu sein, dass man alles umsetzen kann. Das sage ich ohne Vorwurf, denn es ist nie genau vorhersehbar, für welche Absicht man dort Mehrheiten finden wird. Deshalb liegt eine gewisse Verführbarkeit in dem System der Demokratie, aber ich bin gerne bereit, damit zu leben.