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Politik direkt Forum vom 25. 12. 2008

29. Dezember 2008

"Ist der Kapitalismus unmoralisch?"

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Der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, präsentiert sein neues Buch "Das Kapital. Ein Plädoyer für den Menschen". (AP Photo/Matthias Schrader)Bild: AP

Informationen zum Thema:

Marx hat doch recht - Der Bischof und sein weltberühmter Namensvetter

"Das Kapital" von Marx gibt es jetzt zwei Mal. Das Original von Karl - und die Antwort darauf, vom Münchner Erzbischof Reinhard Marx. Der ist nicht etwa plötzlich Kommunist geworden - Gott bewahre: Bischof Marx nimmt den Atheisten Marx auseinander. Der Kirchenmann erkennt aber auch an, dass die Kritik an einem ausufernden Kapitalismus im 19. Jahrhundert genauso stimmte wie heute - in seinem "Kapital" bezeichnet er wilde Börsenspekulationen als "Sünde".

Unsere Frage lautet:

"Ist der Kapitalismus unmoralisch?"

Antworten unserer Zuschauer:

Peter Pommeranz, Venezuela:

"Ja, meiner Meinung ist der Kapitalismus in seiner jetzigen Form sehr, sehr unmoralisch und die Verantwortlichen sollten nicht so tun, als ob sie im Namen aller handeln. Die Menschen müssen sich zurückbesinnen auf gerechtere, sittliche und moralische Handlungsweisen. Kapitalismus und soziale Marktwirtschaft wie Ludwig Erhardt sie vorgelebt hat, ist ok."

René Junghans, Brasilien:

"Das ist ein zweischneidiges Schwert. Ich bin für den Kapitalismus, denn in einer freien Marktwirtschaft, die ohne Kapitalismus nicht möglich wäre, hat der Erfolg, der am schlausten und am fleißigsten ist. Wer studiert und einen Beruf erlernt hat, der hat im Kapitalismus zweifellos die besten Chancen. Auf der anderen Seite gibt es ja Millionen Menschen, die weder Zugang zu einer Schule hatten, noch jemals einen Beruf erlernten, daher isoliert leben, ohne Zugang zu einer guten Anstellung und genügend Geld. Für solche Menschen ist Kapitalismus natürlich 'unmoralisch'. Ich habe Erfolg im Leben gehabt, also sehe ich den Kapitalismus sehr positiv. Vom Kommunismus halte ich absolut nichts."

Michael Croft, Großbritannien:

"Ich neige dazu, die Frage mit ‚Ja‘ zu beantworten. Es gibt Superreiche, während andere in bitterster Armut leben. Und es gibt die, die zwar bescheiden leben, aber trotzdem in der kapitalistischen Ideologie gefangen sind, weil sie vom Geld abhängig sind. Ich habe meine Ersparnisse verloren, weil ich in Aktien einer Bank investiert habe, die eine Tochterfirma der isländischen Kaupthing-Bank war. Ich und 8000 weitere, vorwiegend britische Aktionäre dieser Bank blicken finanziell einer ungewissen Zukunft entgegen. Meine Angst vor dem Verlust meiner Ersparnisse hat mich selbst überrascht. Immer weiter wachsender Materialismus und die Tendenz alles zu privatisieren, gehen einher mit einer offensichtlichen Unfähigkeit von Regierungen, belastbare Sozialsysteme aufzubauen. Das hat dazu geführt, dass Geld nicht mehr nur ein Zahlungsmittel ist, sondern ein Lebenselixier. Das Geld hat das menschliche Gespür ersetzt, das einen früher vor kommenden Gefahren geschützt hat. Der Kapitalismus hat uns diesem natürlichen Gefühl entfremdet. Jetzt wird überall nur noch ums blanke Überleben gekämpft."

Charles Smyth, Großbritannien:

"Der Kapitalismus ist das einzige Wirtschaftssystem, bei dem jeder Einzelne von den Anstrengungen einiger Weniger profitiert. Das liegt daran, dass am Markt frei und unreguliert mit Geld und Waren gehandelt werden kann. Darüber hinaus ist der Kapitalismus das einzige System, das den Schutz von Privateigentum garantiert. Nur wenn ein Staat - wie jetzt im Fall der Finanzkrise - in den Markt eingreift, versagt der Kapitalismus und wird zum Buhmann gestempelt. Der Erzbischof Marx sollte sich wieder auf die Lehren der katholischen Kirche konzentrieren. Denn genauso wie sein Namensvetter versteht er absolut nichts von Wirtschaft und vom Kapitalismus."

April Rain DiMayo, Philippinen:

"Wie Friedrich Nietzsche gesagt hat: Der Kapitalismus an sich kann nicht in Kategorien wie Gut und Böse bewertet werden. Die (egoistische, d. Red.) Natur des Menschen ist unmoralisch."

Peter Tsavalos, Südafrika:

"Jedes System, von dem nicht auch die Breite der Bevölkerung profitiert, wird über kurz oder lang von skrupellosen und korrupten Elementen unserer Gesellschaft beherrscht. Das gilt für den Kommunismus sowjetischer Prägung genauso wie für den neoliberalen Kapitalismus. Die Gesellschaft muss den Mut aufbringen, ihr Wirtschaftssystem zu kontrollieren, sonst fällt sie Leute wie Madoff, Mugabe und Bush zum Opfer. Politiker, denen das Wohl der Bevölkerung gleichgültig ist – egal ob sie sich Kommunisten, Sozialisten oder Demokraten nennen – sind unmoralisch."

Horacio Velasco, Philippinen:

"Ein Kapitalismus ohne ethische Grenzen und soziale Verantwortung ist in der Tat zutiefst unmoralisch. Er dreht sich nur um Profitmaximierung durch Konkurrenz am Markt, und diese Konkurrenz am Markt ist kumulativ. Diese Tatsache ignorieren die meisten Kapitalisten und erliegen so dem Trugschluss, dass sie sich um die Auswirkungen ihres Tuns nicht zu scheren haben."

Klaus Uhle, Kanada:

"Der Kapitalismus westlicher Prägung ist nicht moralischer oder unmoralischer als andere praktizierte Wirtschaftssysteme. Momentan hat er schlechte Karten in der Öffentlichkeit durch die von Wallstreet ausgehende, selbstverschuldete weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise. Er ist erfolgreicher als jedes andere Wirtschaftssystem wie Plan- oder Staatswirtschaften. Er ist in der Lage, die Bevölkerung und den Markt mit den Gütern zu versorgen, die gebraucht werden. Besonders die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen und sich zu reformieren - man sagt auch neu zu erfinden - zeichnet ihn gegenüber anderen Systemen aus. So wird auch diesmal aus Fehlern gelernt werden, Finanzaktionen werden reguliert werden, Hedgefonds werden stark eingeschränkt werden usw. Sowohl Wallstreet als auch die sogenannte Londoner City waren die Schwerpunkte und Auslöser dieser Krise, die ohne weiteres hätte verhindert werden können, bei weniger Freiheit von ungezügelten Spekulationsmöglichkeiten."

Martin Burmeister, Venezuela:

"Das System 'Kapitalismus' ist nicht unmoralisch. Es sind nur einige, wenige Menschen, die dies System zu unmoralischen Handlungen egoistisch ausnutzen. Derartiges Verhalten sollte wie eine Straftat gerichtlich verfolgt werden. Leider wird in der Öffentlichkeit und den Medien zu oft das System mit dem Tun und Handeln einiger Personen verwechselt."

Gerhard Seeger, Philippinen:

"Eigentlich bräuchte der Kapitalismus nicht unmoralisch zu sein. Er wurde es durch gierige, gewissenlose Menschen, welche die Freiheiten die dieses System bietet, ausnutzen, um sich auf Kosten anderer zu bereichern. In sehr oft regelrecht betrügerischer, krimineller Weise. Gerade die jüngste Vergangenheit hat – wieder einmal – zahlreiche Beispiele geliefert. Mit (...) mehr Ehrlichkeit, Verantwortungsbewusstsein für die Allgemeinheit und noch so Einigem könnten Kapitalismus und soziale Marktwirtschaft durchaus zusammen funktionieren."

Michael Scharna, Costa Rica:

"Nein. Unabhängig von Kommunismus, Kapitalismus und anderer "ismen", ist die Vorstellung von Moral ein Konstrukt ihrer Zeit. Deshalb liegt es in der Hand der jeweiligen Machthaber und Politiker, das geschaffene Vermögen 'moralisch' gerecht oder ungerecht zu verwalten und zu verteilen!"

Lee Davis, USA:

"Kapitalismus ist ein Werkzeug. Bei einem Hammer fragt man auch nicht, ob er moralisch ist. Das Problem ist, dass wir den Kapitalismus zur Leitlinie unseres Lebens gemacht haben."

Wolfgang Hoebler, Mexiko:

"Der Kapitalismus ist nicht unmoralisch - aber ja die zahlreichen Schurken wie Madoff, die die Möglichkeiten der Systeme des Kapitalismus nutzten, um viele Menschen zu betrügen."

Olaf Henny, Kanada:

"Mit Sicherheit nicht! Der Kapitalismus ist die einzige Wirtschaftsform, die genug Reichtum generiert, um dauerhaft ein soziales Netz zu bezahlen."

Amin Zoqurti, Jordanien:

"Es ist klar, dass der Kapitalismus sehr erfolgreich ist. Die meisten der Entwicklungsländer benutzen ihn. Aber ist er moralisch? Ich glaube das nicht. Es gibt viele arme Leute, die kein Wasser und Essen haben und in der Nähe von sehr reichen Leuten leben! Manchmal (sogar) im gleichen Bezirk! Warum sind manche arm und manche reich? Oft weil ihre Eltern so waren!"

Erwin Scholz, Costa Rica:

"Geld ist weder gut noch schlecht.

Tun hilft es was einer möcht,

wenn das Kapital zur Hand,

nicht komplett raubt den Verstand."

Douglas Titus, USA :

"Der Sozialismus ist unmoralisch! Wir haben erlebt, wie in der Sowjetunion die Abhängigkeit der Menschen vom Staat deren Herzen und Seelen zerstört hat. Der Kapitalismus ist nicht perfekt. Aber die Marktwirtschaft funktioniert, wenn der Staat sich raushält. Aber was ist mit den Opfern des Marktes? Auch da sollte sich der Staat raushalten. Hier Hilfe zu leisten ist Sache der Kirchen und privater Organisationen."

Die Redaktion von ‚Politik direkt‘ behält sich das Recht vor, Zuschriften zu kürzen.