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„Mehr war nicht zu erreichen"

11. September 2008

Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, hat sich vom EU-Ukraine-Gipfel viel erhofft. Aber mehr sei im Moment nicht zu erreichen gewesen, sagte er der Deutschen Welle.

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Ruprecht Polenz (CDU)Bild: DW-TV

DW-Ukrainisch: Herr Polenz, wie bewerten Sie das Ergebnis des EU-Ukraine-Gipfels und das für nächstes Jahr angekündigte Assoziierungs-Abkommen?

Ruprecht Polenz: Die Erwartungen in Kiew waren sicherlich sehr hoch gespannt. Man spricht dort immer wieder über die Frage einer EU-Mitgliedschaft. Aber eigentlich sollte man wissen, dass das Nachbarschaftsprogramm der beste Weg ist, an einen Punkt zu kommen, also wenn man die Reformen durchgeführt hat, an dem man dann auch die Mitgliedschaftsfrage stellen kann. Im Augenblick ist das zu früh. Insofern verstehe ich die Kommentatoren, die sagen, in diesem Assoziierungsabkommen steht im Grunde nicht wesentlich Neues drin. Aber ich glaube, mehr war jetzt, was die verstärkte Zusammenarbeit angeht, nicht zu erreichen.

In welchen Fragen hätte man denn mehr Fortschritt erreichen sollen?

Ich hätte mir persönlich gewünscht, dass wir vor allen Dingen in den Fragen der Visa-Genehmigung weiterkommen. Das betrifft insbesondere Erleichterungen für junge Menschen, die in Westeuropa die Möglichkeit haben sollten, beispielsweise zu studieren, und auch für Geschäftsleute. Natürlich bei gleichzeitiger Wahrung der Sicherheitsinteressen, dass eben durch Visa-Erleichterungen Missbrauch nicht Tür und Tor geöffnet wird.

Eines der Ziele des Abkommens sollen Gespräche über Visa-Freiheit sein. Wovon wird sie abhängen?

Dies hängt sehr davon ab, dass das Wirtschaftsgefälle zwischen der Ukraine und dem Westen Europas abnimmt. Denn die Frage der Reisefreiheit ist natürlich immer mit der Versuchung verbunden, eine Touristen-Reisefreiheit zu nutzen, um dann doch einen Daueraufenthalt in anderen Ländern anzustreben, weil man es dort wirtschaftlich viel positiver findet. Ich weiß aber, wie wichtig es gerade für den Osten der Ukraine ist, nicht nur nach Westen schauen zu können, sondern auch nach Westen reisen zu können.

Die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine ist in dem Dokument nicht erwähnt. Ist denn Ihrer Meinung nach das Abkommen der Aufgabe gewachsen, die Ukraine EU-reif zu machen?

Wenn man es mit Leben erfüllt, sicherlich. Man muss dazu sagen, dass seit der Orange Revolution die jeweiligen Regierungen leider nicht alle Kraft auf Reformprozesse konzentrieren konnten, sondern vielfach mit sich selbst beschäftigt waren. Die aktuelle Regierungskrise hat sicherlich auch nicht geholfen, die Position der Ukraine gegenüber der EU zu stärken. Es ist zwar in Demokratien nichts Außergewöhnliches, dass es zu Regierungskrisen kommt. Aber die jetzige in der Ukraine kam zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Es gibt Stimmen, die sagen, die Ukraine könne nie Mitglied der EU werden. Das ist eine falsche Position. Die Möglichkeit sollte nicht ausgeschlossen werden. Aber ob sie real besteht, hängt einerseits von den Reformprozessen in der Ukraine ab, aber andererseits auch davon, wie gut jetzt die EU mit 27 Mitgliedern funktioniert, ob der Lissabon-Vertrag nicht nur ratifiziert wird, sondern sich dann auch in der Praxis bewährt. Denn eine EU, die immer größer, aber gleichzeitig auch immer schwächer wird, ist nicht im Interesse ihrer jetzigen Mitgliedsländer und sicherlich auch nicht im Interesse derer, die mal dazukommen wollen.

Der Kaukasus-Konflikt hat gezeigt, dass die Ukraine sich in einem gewissen Sicherheitsvakuum befindet. Eine NATO-Mitgliedschaft scheint in absehbarer Zeit nicht möglich, nicht zuletzt, weil das Land in dieser Frage gespalten ist. Kann eine Zusammenarbeit mit europäischen Partnern zur Sicherheit der Ukraine beitragen?

Die weitere Annäherung an die NATO ist der Ukraine natürlich möglich durch die Umsetzung von Reformen, die vor einer möglichen Aufnahme in Sachen Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung, Justizreform verlangt werden. Die Zusammenarbeit mit der EU auf sicherheitspolitischem Gebiet könnte ich mir intensiver vorstellen. Hier bin ich persönlich von dem Ergebnis des Gipfels enttäuscht, weil ich eine Chance sehen würde, weiter daran zu arbeiten, dass die Ukraine stärker in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik einbezogen wird. Bekanntlich wirkt die Ukraine an vielen NATO-Operationen mit, auch in Europa. Deshalb spricht vieles dafür, nach Wegen zu suchen, wie die Ukraine stärker an dieser gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik beteiligt werden kann.

Das Gespräch führte Eugen Theise