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Polens Verfassungskrise verschärft sich

Jo Harper / ch10. März 2016

Das polnische Verfassungsgericht urteilt, es sei durch die Reformen der Regierung entmachtet worden. Ein schwerer Vorwurf, doch die Regierung in Warschau will sich über das Urteil hinwegsetzen.

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Richter in Roben (Foto: "picture-alliance/dpa/P. Supernak)
Bild: picture-alliance/dpa/P. Supernak

Kaum an der Macht, ging im vergangenen Oktober die Partei Recht und Gerichtigkeit (PiS) daran, die Arbeitsweise des polnischen Verfassungsgerichts zu reformieren.

Der Streit zwischen der Regierung und ihren Gegnern, die sich im "Komitee für die Verteidigung der Demokratie" zusammengeschlossen haben, spitzte sich zu, nachdem die Regierung drei Verfassungsrichtern die Anerkennung verweigerte, die noch von der Vorgängerregierung ernannt worden waren.

Stattdessen benannte die neue Regierung eigene Kandidaten. Präsident Andrzej Duda, der selbst der PiS nahesteht, vereidigte sie, doch bisher lehnt es das Verfassungsgericht ab, sie in seinen Reihen aufzunehmen, so dass sie ihre Ämter nicht antreten können.

Der Vorsitzende des Gerichtshofs, Andrzej Rzeplinski, sagte, die Verfassung gebe dem Tribunal das Recht, das neue Gesetz zu prüfen. Die Regierung aber bestreitet das. Sie behauptet, durch das neue Gesetz habe das Gericht nur zwölf amtierende Richter und damit nicht genug, um das nötige Quorum zu erreichen.

Warnung vor Ansehensverlust im Ausland

An den Beratungen, die Dienstag begonnen haben, nahmen nur zwölf Richter teil. 13 Richter müssten es nach der von der Regierung vorgesehenen Änderung sein. Wie erwartet wurde die Entscheidung von zwei Richtern abgelehnt, die Präsident Duda neu vereidigt hatte.

Kritiker der Regierung sagen, diese kehre zum konfrontativen Politikstil zurück, der schon die PiS-Regierung von 2005 bis 2007 gekennzeichnet habe. Das Verfassungsgericht sei eine der wenigen Instanzen, die die Regierung kontrollieren. Der Verfassungsstreit "dürfte dem Ansehen der polnischen Regierung im Ausland schaden und die Spaltung der Gesellschaft noch verstärken", sagte der Soziologe Gavin Rae von der Universität Warschau der Deutschen Welle.

Verfassungsgerichtspräsident Andrzej Rzeplinski (Foto: picture-alliance/dpa/P. Supernak)
Verfassungsgerichtspräsident Andrzej Rzeplinski ist empört über die Angriffe der RegierungBild: picture-alliance/dpa/P. Supernak

Kompromissangebot verweigert

Am Wochenende hatte der PiS-Europaabgeordnete Michal Ujazdowski einen Kompromissvorschlag vorgelegt, doch die große Ablehnung auf beiden Seiten lässt vermuten, dass der Streit anhalten wird. Ujazdowski hatte vorgeschlagen, die drei umstrittenen, von der amtierenden Regierung ernannten Richter sollten ihre Ämter ausüben, eine freiwerdende Stelle solle jedoch ein von der Vorgängerregierung ernannter Richter einnehmen.

Doch Ministerpräsidentin Beata Szydlo wiederholte am Montag ihren Standpunkt, wonach ihre Regierung die Entscheidung des Gerichts nicht hinnehmen will. Sie sagte, die Vorgängerregierung der Bürgerplattform (PO) habe das Verfassungsgericht schon im Juni vergangenen Jahres mit dem Versuch politisiert, eine Gesetzgebung der PiS im Fall eines Wahlsiegs zu verhindern. Mit dem PO-Abgeordneten Rafel Grupinski hat sich diese Woche nun auch ein Politiker der Bürgerplattform gegen den Ujazdowski-Vorschlag gewandt. Er sieht darin eine "Ermutigung zum Verfassungsbruch".

"Wenn die Regierung schon vorher sagt, sie werde das Urteil des Verfassungsgerichts nicht akzeptieren, ist das eine ernste Angelegenheit", sagte der in Warschau praktizierende britische Rechtsanwalt Nicholas Richardson der Deutschen Welle. "Das Verfassungsgericht ist per definitionem der oberste Schiedsrichter, wenn es um die Verfassungsmäßigkeit und Gültigkeit von Gesetzen geht. Wenn eine Regierung eine solche Entscheidung einfach missachtet, hat das weitreichende Auswirkungen für den Rechtsstaat und für den Schutz des Bürgers gegen eine willkürliche Machtausübung des Staates."

Demonstranten mit Spruchbändern (Foto: picture-alliance/dpa/R. Guz)
Polen gehen gegen die Politik der Regierung auf die StraßeBild: picture-alliance/dpa/R. Guz

Internationaler Druck

Währenddessen schaut man auch im Ausland auf Polen und den Zustand der polnischen Demokratie. Die Europäische Kommission untersucht gerade, ob die jüngsten Reformen mit europäischem Recht im Einklang stehen. Die Kommission hatte im Januar ihre Prüfung eingeleitet und will ihr Urteil am 11. März bekanntgeben.

Polens Außenminister Witold Waszczykowski hatte an Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans geschrieben, die Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit in Polen seien "grundlos".

Auch die sogenannte Venedig-Kommission, ein Expertengremium des Europarates, prüft die Angelegenheit - auf Bitte von Außenminister Waszczykowski. Die Venedig-Kommission will ihr Ergebnis ebenfalls diese Woche vorlegen.

PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski, dem man nachsagt, dass er hinter den Kulissen die Strippen in der Regierung zieht, griff diese Woche die EU-Kommission an, nachdem am Wochenende ein regierungskritischer Bericht in der polnischen Presse auftauchte. "Es soll niemand glauben, wir würden einen Rückzieher machen", polterte Kaczynski: "Wir kümmern uns selbst um polnische Belange und polnische Probleme. Wir werden uns nicht zu einer Kolonie machen lassen."

Obwohl die Chancen gering sind, dass Polen sein EU-Stimmrecht verliert, glauben viele, dass der Streit die internationale Stellung Polens schwächen wird: Zum Beispiel, wenn das Land Unterstützung dafür sucht, die NATO-Truppenpräsenz in Mitteleuropa zu stärken - das wichtigste Thema beim für Juli geplanten NATO-Gipfel in Warschau.

Umfragen zeigen unterdessen, dass durch die Krise die Unterstützung der PiS unter eher gemäßigten Wählern zurückgeht. "Bis jetzt konnte das Verhalten der Regierung mit sehr viel Wohlwollen noch als politisches Wie-du-mir-so-ich-dir-Spiel durchgehen", sagt Rechtsanwalt Richardson: "Aber wenn die Regierung die Ankündigung der Ministerpräsidentin in die Tat umsetzt, scheint die Regierung über dem Gesetz zu stehen. So ein Eindruck ist, gelinde gesagt, für keine Regierung einfach."