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Polen vor 20 Jahren

13. Dezember 2001

- Am 13. Dezember 1981 wurde das Kriegsrecht verhängt. Bisher nicht veröffentlichte Dokumente bringen neuen Aufschluss über die Ereignisse von damals

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Warschau, 12.12.2001, PAP

PAP, poln., 12.12.2001

(...) In der Zentralen Bibliothek der Streitkräfte in Warschau hat eine Sitzung unter dem Motto "Das Kriegsrecht in Polen aus dem Blickwinkel des 20. Jahrhunderts" stattgefunden. General Wojciech Jaruzelski sprach über die reale Gefahr einer Intervention und die Radikalisierung der Solidarnosc. "Ungarn, Budapest, das Jahr 1956 - all das stand wie ein Gespenst vor meinen Augen", sagte er mit Hinweis auf die blutige Niederschlagung der Revolution von 1956 in Ungarn durch die Rote Armee. Angesichts der damaligen politischen und wirtschaftlichen Situation in Polen habe man zu einem Schritt greifen müssen, der eine mögliche Intervention der Sowjetunion verhindern sollte. "Es war uns bewusst, dass man uns - sollte die antisowjetische Aktion in Polen fortgesetzt werden - die Lieferungen von Erdöl aus der UdSSR um 70 Prozent und die von Strom und Gas um 50 Prozent drosseln würde", erklärte er. (...)

"Die Kirche warnte den Papst, dass sich die Lage im Lande radikalisiert. Während Lech Walesa recht versöhnlich war, so blieb die ganze Gewerkschaft jedoch stur und wollte die Konfrontation", fuhr Jaruzelski fort. (...)

Jaruzelski wurde von dem ehemaligen Oppositionellen Adam Borowski unterbrochen. Er stand plötzlich auf und rief: "Herr General, an Ihren Händen klebt Blut! Die Bergleute von 'Wujek', Pfarrer Popieluszko, Pfarre Zych, der Dezember 70."

Zuvor, als der General die Zentrale Bibliothek der Streitkräfte in Warschau betrat, bewarf ihn ein Mann, der sich unter den Journalisten befand, mit Eiern. Wachposten der Regierung und die Polizei schritten sofort ein. Der Mann wurde festgenommen. Er musste wegen Verunreinigung des Teppichs 50 Zloty Strafe zahlen und wurde wieder entlassen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Staatsanwaltschaft andere Vorwürfe gegen ihn erheben wird.

Bischof Tadeusz Pieronek sagte PAP, die Werte, die die Erfahrungen beim Kampf um die Unabhängigkeit den Polen gebracht hätten, müssten "im Alltag verteidigt und weiter entwickelt werden, andernfalls verschwinden sie eines Tages". "Es genügten zwanzig Jahre seit Verhängung des Kriegsrechts, um zu vergessen, welch ein Geschenk die wieder errungene Freiheit darstellt", fuhr Pieronek fort. "Wir gehen damit um, als wäre es ein Geschenk für immer." Das Kriegsrecht sei "eine große Bewährungsprobe" vor der endgültigen Befreiung des polnischen Volkes vom kommunistischen Joch gewesen. Diese Bewährungsprobe hätten die Polen "sehr gut" bestanden. (TS)

PAP, poln., 12.12.2001

Am Vortag des 20. Jahrestages der Verhängung des Kriegsrechts brachte das Institut für Nationales Gedenken (IPN) den Band "Das Kriegsrecht in den Dokumenten der Regierung der Volksrepublik Polen (1980-1983)" auf den Markt. Er enthält 54 Dokumente, die bisher nirgendwo veröffentlicht worden sind.

"Ziel dieses Unterfangens ist es, die schriftlichen Quellen des Machtapparates der Volksrepublik Polen über den Ursprung, den Verlauf und die Folgen des am 13. Dezember 1981 verhängten Kriegsrechts einer möglichst breiten Öffentlichkeit zuzuführen", schreiben die IPN-Historiker Boguslaw Kopka und Grzegorz Majchrzak, die diese Dokumente bearbeitet haben, im Geleitwort des Bandes. Zu finden ist darin unter anderem Material über die Arbeit der dem Innenministerium unterstellten Dienste, Berichte über gemeinsame Sitzungen der Leitung des Innenministeriums und des Ministeriums für Nationale Verteidigung, Aufzeichnungen von Konferenzschaltungen von General Wojciech Jaruzelski und Kazimierz Barcikowski mit dem Parteiaktiv vom Dezember 1981 sowie von Beratungen des Politbüros der PVAP.

Der Band enthält ferner Tonaufzeichnungen von Gesprächen von Kommandeuren von Militäreinheiten, die im Dezember 1981 das Bergwerk "Wujek" gestürmt haben, Protokolle über Sitzungen von Woiwodschaftskomitees der PVAP sowie Ergebnisse von Umfragen des Instituts für Meinungsforschung und Programmstudien beim Komitee für Rundfunk und Fernsehen.

Der Leiter der Ermittlungsabteilung von IPN Witold Kulesza erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur PAP, IPN versuche auch die Verantwortung der Richter für die Aburteilung wegen gewerkschaftlicher Zugehörigkeit zu klären. Wie er sagte, mangele es in Polen bei der Untersuchung des Kriegszustandes an einer "tieferen rechtlichen Reflexion" über dessen rechtswidrigen Charakter.

In der IPN-Niederlassung in Bialystok wurde am Dienstag (11.12.) eine Ausstellung eröffnet, die dem 20. Jahrestag der Verhängung des Kriegsrechts in Polen gewidmet ist. Sie zeigt unter anderem Erinnerungsstücke aus Privat- und Museumsbesitz. Dazu gehören unter anderem Flugblätter, die zum Boykott der damaligen Regierung aufrufen (...), konspirative Post und Dokumente über das Wirken der Kirche zur damaligen Zeit. (...)

IPN-Chef Leon Kieres sagte bei der Eröffnung der Ausstellung, das Institut habe die Pflicht, "eine richtige Beurteilung der Fakten und Ereignisse anzumahnen". (...) Es gehe um die Garantierung der Straflosigkeit für Handlungen, die zu dem Zeitpunkt, da sie vorgenommen wurden, keine Straftat waren. Der Beschluss, das Kriegsrecht zu verhängen, habe alle Mitglieder der Solidarnosc, die ihre gewerkschaftliche Tätigkeit nicht aufgegeben haben und beispielsweise an Streiks teilnahmen", zu Verbrechern" gemacht. Am Tag der Verhängung des Kriegsrechts habe es keine Rechtsgrundlage gegeben, die zur Verurteilung dieser Gewerkschafter berechtigt hätte, und "dennoch habe es dies gegeben". Das Dekret über das Kriegsrecht sei mit Datum vom 14. Dezember in das Gesetzesblatt aufgenommen, jedoch erst am 17. Dezember gedruckt worden.

Kulesza teilte mit, IPN ermittle in über einhundert Mordfällen aus der Zeit vor dem Systemwechsel in Polen, darunter in Mordfällen von Priestern, die die damalige Opposition unterstützten. Es gehe beispielsweise um die Umstände des Todes von Pfarrer Stanislaw Suchowolec aus Bialystok, der 1989 bei einem Brand in seinem Pfarramt ums Leben kam. Auf Täter sei man bei den Ermittlungen nicht gestoßen, sie hätten aber gezeigt, dass die Ursache des Brandes Brandstiftung war. "Wir wollen klären, ob es im damaligen Innenministerium eine Art Verbrechenszentrum gab, das derartige Verbrechen koordiniert hat", fuhr Kulesza fort.

Die IPN-Niederlassung in Kattowitz hat am Dienstag mit der Klärung der Umstände des Verschwindens von Akten aus der Zeit des Kriegsrechts aus dem Internierungszentrum "Szeroka" in Jastrzebie Zdroj begonnen. Staatsanwälte von IPN werden prüfen, ob die Dokumente über die Internierung vernichtet wurden und ob damit möglicherweise die Repressalien verdeckt werden sollten, so die Leiterin der Ermittlungsabteilung bei IPN in Kattowitz, Ewa Koj. Erst müsse geklärt werden, ob die Personen, die nach "Szeroka" gebracht wurden, Repressalien ausgesetzt waren. Dies sei die Voraussetzung für die Aufnahme von Ermittlungen in dieser Angelegenheit. (TS)