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Polen steht vor einem Machtwechsel

Oliver Schulz25. September 2005

Am Sonntag wählen die Polen ein neues Parlament, zwei Wochen später einen neuen Präsidenten. Für beide Abstimmungen wird die Opposition favorisiert.

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Die Stimmenabgabe hat begonnenBild: AP

Bei der Parlamentswahl in Polen am Sonntag (25.9.2005) dürfte die gegenwärtigen Regierungspartei SLD (Demokratisches Linksbündnis) die Macht verlieren, in Umfragen erreicht sie derzeit nur noch sechs Prozent (41 Prozent bei den letzten Wahlen 2001). Zusammen mit der liberalen "Bürgerplattform" (PO) will die rechtspopulistische Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) eine Regierung bilden. In aktuellen Umfragen erreichen die beiden Parteien mit 33 Prozent für die PO und 27 Prozent für die PiS die absolute Mehrheit.

Politik... und Familie

Aber auch in Polen drohen langwierige Koalitionsverhandlungen. Denn zwei Wochen nach dem Parlament sind die mehr als 30 Millionen Wahlberechtigten zum ersten Wahlgang der Präsidentenwahl aufgerufen (9.10.). Auch im Rennen um die Präsidentschaft liegt die PO vorne. Ihr Kandidat Donald Tusk bekommt in Umfragen über 40 Prozent der Stimmen. Zu einer Regierungsbildung kommt es möglicherweise aber erst nach der Stichwahl am 23. Oktober. Der Grund: Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski sagte, er werde mit einer Koalitionsvereinbarung bis nach einer eventuellen Stichwahl warten. Schließlich ist sein Zwillingsbruder Lech Präsidentschaftskandidat und könnte ihn im Zweifelsfall zum Ministerpräsidenten ernennen.

Wahlen in Polen Plakate
Leicht verunstaltet: Donald Tusk (PO) und Lech Kaczynski (PiS; rechts). Dennoch wird wohl einer der beiden der nächste polnische Präsident werdenBild: AP

Im Wahlkampf ging es vor allem um Wirtschafts- und Sozialpolitik. Hier fahren die mutmaßlichen Wahlgewinner PO und PiS, obwohl sie beide aus dem Umfeld der Gewerkschaftsbewegung "Solidarnosc" hervorgingen, keine einheitliche Linie. Während die PO auf Vereinfachung des Steuersystems und Wirtschaftsliberalisierung setzt, fordert die PiS einen starken Staat und möchte bei der Privatisierung von Staatsbetrieben bremsen. Jan Rokita von der PO, dem die größten Chancen für das Amt des Ministerpräsidenten eingeräumt werden, und der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski betonen dennoch, die Bildung einer Koalition sei möglich.

Skeptische Wähler

Das zweite große Wahlkampfthema waren Untersuchungen zu Korruptionsfällen an der Schnittstelle von Politik und Wirtschaft. Beobachter sehen darin den Grund für das voraussichtlich schlechte Abschneiden der amtierenden Regierungs- und Präsidentenpartei SLD. Sie kommt seit Jahren nicht aus Skandalen wegen Korruption, Vetternwirtschaft und Vorteilsnahmen heraus. Ihr Kandidat für das Präsidentenamt, Wlodzimierz Cimoszewicz, hat Mitte September das Rennen aufgegeben. Ihm wurde vorgeworfen, er habe Anlagegeschäfte nicht korrekt offen gelegt. Der derzeitige Präsident Kwaśniewski darf kein drittes Mal kandidieren. Ihm werden Ambitionen für eine internationale Karriere nachgesagt, etwa als UNO- oder als NATO-Generalsekretär.

Kwasniewski Gerhard Schröder und Jacques Chirac in Nancy
Der scheidende polnische Präsident Aleksander Kwasniewski (rechts) mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac und dem deutschen Kanzler Gerhard Schröder (mitte)Bild: AP

Die Skepsis der Wähler gegenüber der Politik ist hoch. Die Wahlbeteiligung lag bei den letzten Parlamentswahlen 2001 bei rund 46 Prozent, es wird mit einem weiteren Rückgang gerechnet. Die Internetzeitung "Café Babel" beklagt in einem Hintergrundbericht die Kraftlosigkeit des Wahlkampfs und die schlechte Stimmung im Land: "Fast jeder fünfte Pole ist ohne Arbeit, die beste polnische Universität findet man in internationalen Rankings auf Platz 400, im Korruptionsindex von Transparency International liegt Polen mit Peru auf gleicher Augenhöhe und in der Provinz Lubelskie, mitten in Europa, hungern Kinder." Die Friedrich-Ebert-Stiftung berichtet unter Berufung auf Meinungsforschungsinstitute von einer Teilung der polnischen Gesellschaft. Ein wachsender Anteil in der Bevölkerung von derzeit etwa 20 Prozent gibt sich optimistisch. Hier findet man vor allem Gutverdienende, Akademiker und Bauern, also Bevölkerungsgruppen, die vom EU-Beitritt tendenziell profitiert haben. Demgegenüber steht eine Gruppe von etwa 25 Prozent mit geringer Qualifizierung und schlechtem Einkommen, die immer pessimistischer in die Zukunft blicken.