1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Polen: Kaczyński an der Uni

19. Februar 2018

An der Warschauer Universität startet ein Soziologie-Seminar, das sich dem PiS-Parteivorsitzenden Kaczyński widmet. Studenten wollen analysieren, was im Kopf von Polens mächtigem Strippenzieher vorgeht.

https://p.dw.com/p/2svZW
Polen Jaroslaw Kaczynski
Bild: Getty Images/AFP/J. Skarzynski

Auf der polnischen Facebook-Seite "Spott über Uni-Angebote" lachen Studenten über Dozenten, die sich gegenseitig überbieten mit vermeintlich attraktiven Titeln für Lehrveranstaltungen. Seminare wie "Was können wir von den Pferden lernen" oder "Die Existenz der Zwerge" sorgen dort für Furore. Doch seit kurzem übertrifft das Kaczyński-Seminar alles andere.  

"Ich wünsche mir den Livestream davon im Internet, da ich keinen Platz bekommen habe", kommentiert ein Student ironisch. "Kann man dort auch etwas über die wichtigste Katze Polens erfahren?", fragt ein anderer mit einem Augenzwinkern, da Kaczyńskis Liebe für Katzen landesweit bekannt ist.  

Begehrtes Studienangebot

Manche spotten darüber - andere nehmen es sehr ernst: Das Seminar war sofort nach der Ankündigung im Veranstaltungsplan ausgebucht. Nur zwölf Studenten kommen zunächst in den Genuss der Lehrveranstaltung, die sich dem mächtigsten aktiven Politiker Polens widmet. Die angehenden Soziologen sollen das Phänomen Kaczyński von möglichst vielen verschiedenen Seiten beleuchten. Als Lehrmaterial werden Publikationen aus einem möglichst breiten politischen Spektrum gelesen. So sollen sich die Studenten - unabhängig von ihren eigenen politischen Ansichten - mit verschiedenen Meinungen auseinandersetzen. Anschließend schreiben sie darüber Hausarbeiten, die vielleicht auch in einem Sammelband publiziert werden könnten. 

Das Brisante daran: Zum ersten Mal widmet sich ein Seminar auf diese Weise einem aktiven Politiker. Für Nachwuchs-Soziologen ein höchst interessanter Fall, zumal viele junge Polen den altmodisch auftretenden 68-Jährigen für eine charismatische Figur halten. "Jarosław Kaczyński ist einer, der von allen polnischen Politikern stets den größten Mut hat, gegen den Strom zu schwimmen", schreibt ein polnischer Student begeistert in einer Diskussion über das Kaczyński-Seminar in sozialen Medien. 

Kaczyński als Revoluzzer

Hinter der Lehrveranstaltung steckt eine Idee des liberalen Soziologen Paweł Śpiewak. Die politischen Ansichten des Universitätsprofessors sind sehr weit von jenen des national-konservativen Parteichefs entfernt. Trotzdem hält ihn Śpiewak für eine der wichtigsten Leitfiguren der polnischen Politik nach 1989. "Als Einziger von den einflussreichen Politikern der Wendezeit ist er bis heute aktiv und prägt die polnische Politik", sagt der Soziologe im Gespräch mit der DW.

Kaczyński sei "kein pragmatischer Technokrat, wie etwa Donald Tusk, sondern ein Ideologe, ein Revoluzzer, der seit Jahrzehnten mit eiserner Konsequenz gegen den liberalen Mainstream agiert und einen richtigen Rechtsruck in Polen angestoßen hat", meint Śpiewak. Warum ist der PiS-Chef so erfolgreich? Wie kann er vom Hintersitz aus Regierungen lenken, Mehrheiten bekommen und Premierminister wählen und abwählen? Diese Fragen werden im Seminar erläutert.

Proteste gegen Justizreform in Polen
Tausende von Polen protestierten gegen die umstrittene JustizreformBild: picture-alliance/dpa/T.Gzell

Politik über Recht

Das Staatssystem, das die PiS derzeit einführt, definiert Śpiewak als "Autoritarismus". Für Kaczyński sei der politische Wille viel wichtiger als die Rechtsordnung. "Wenn ihm etwa die Selbstverwaltungen nicht gefallen, dann wird er sie demontieren", sagt der Soziologe mit Blick auf die bevorstehenden Kommunalwahlen in Polen in diesem Jahr.

Vielen Polen gefällt die Entschlossenheit der Partei "Recht und Gerechtigkeit": In Umfragen erfreut sich die PiS immer größerer Beliebtheit. Die Zustimmungswerte könnten sogar die 50-Prozent-Marke überschreiten.Einer der Gründe für diesen Erfolg sei die "eiserne Konsequenz" Kaczyńskis, meint Śpiewak. Ein Beispiel dafür ist die versprochene "Entkommunisierung des Landes auf allen Ebenen", also der Versuch, jene Personen loszuwerden, die im Kommunismus (vor 1989) öffentliche Ämter bekleideten. Seit Anfang der 90er Jahre steht dieses Ziel auf seiner politischen Agenda. Mit der Justizreform und der Entlassung vieler Richter löst er das Versprechen ein. 

Kaczyński handelt wie ein Soziologe  

Dennoch will Kaczyński nicht Premierminister werden. Er bleibt lieber Parteivorsitzender und einfacher Abgeordneter. Hochrangige Politiker der PiS müssen sich ohnehin den entscheidenden Rat bei ihm holen und in seinem Sinne agieren. In der Partei wird der "Präses" stets gelobt und fast nie kritisiert. Wer Kritik wagt, fällt schnell in Ungnade und muss gehen. Kaczyński bleibt ein Strippenzieher ohne offizielle Regierungsverantwortung: Auch das hat die Soziologen der Warschauer Universität auf die Idee gebracht, ihm ein ganzes Seminar zu widmen. Es heißt "Die Soziologie von Jarosław Kaczyński". Für Paweł Śpiewak steht dabei nicht nur der PiS-Vorsitzende im Fokus, sondern auch sein "brillantes soziologisches Verständnis". Der Politiker habe "durchdachte Überzeugungen über den sozialen Wandel und die Auswirkungen der Transformation", meint der Soziologe. Man sehe das auch an den "sozialistischen Instrumenten", die er nutze - wie etwa die Einführung des Kindergeldes, das die finanzielle Situation von Millionen Familien verbesserte.  

Um sein Handeln richtig zu deuten, müsse man die langfristigen Visionen von Kaczyński kennenlernen und im Gesamtkontext analysieren. Das soll jetzt in zwölf Seminarsitzungen in Soziologie an der Warschauer Universität beleuchtet werden. Das derzeit begehrteste Seminar des Landes hat am Montag begonnen.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau