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Polarisierte Parteienlandschaft

Tamas Szabo8. April 2002

Die Ungarn wählen in zwei Schritten ein neues Parlament. Im Wahlkampf ging es vor allem um den geplanten Beitritt des Landes zur EU. Aber auch nationalistische Stimmen im Parteienchor finden Gehör.

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Parlament in BudapestBild: Illuscope

Ungarn erlebte einen heißen Wahlkampf. Zwar bejahen fast alle demokratischen Parteien die soziale Marktwirtschaft und den Beitritt in die EU. Und dennoch ist die Parteienlandschaft polarisiert. Den konservativen Flügel besetzt die größte Regierungspartei, die Fidesz-MPP. Ihre Galionsfigur ist der amtierende Ministerpräsident Viktor Orbán: jugendlich, intelligent und gerade wegen seines Alters unbelastet von der kommunistischen Vergangenheit - Eigenschaften, die bei den letzten Wahlen vor vier Jahren Bonuspunkte für ihn bedeuteten.

Doch das Image des 39-Jährigen ist inzwischen angekratzt. Ihm und seiner Partei werden immer wieder Korruption, Machtmissbrauch - etwa die Einschränkung der Kontrollfunktion des Parlaments -, politische Einflussnahme auf die öffentlich-rechtlichen Medien sowie Druck auf die Journalisten vorgeworfen. Der Verband der ausländischen Journalisten in Ungarn verweist auf die zunehmenden Angriffe regierungsnaher Medien auf die im Land tätigen Auslandskorrespondenten.

Nationalismus und Wirtschaftsaufschwung

Ausländische Firmen und potentielle Investoren beklagen sich wegen des hemmungslos nationalistischen Kurses der Orbán-Regierung: Öffentliche Aufträge würden oft ohne Ausschreibung an einheimische Firmen vergeben; kommt es doch zu öffentlichen Ausschreibungen, würden ausländische Bewerber klar benachteiligt. Dabei kann die Orbán-Regierung durchaus auf wirtschaftliche Erfolge verweisen: Die Wirtschaft wuchs 2001 um 3,8 Prozent, die hohe Inflation ging im selben Jahr auf rund neun Prozent zurück, die Arbeitslosigkeit sank auf 5,4 Prozent.

Auch in der Außenpolitik gibt es Erfolge. Ungarn ist seit 1999 NATO-Mitglied und die EU-Beitrittsverhandlungen gehen gut voran. Nach dem Willen der Regierung soll das Donauland 2002 der EU beitreten. "Wir freuen uns über alle solchen Entscheidungen der EU, die die vollständige Mitgliedschaft Ungarns nach vorne bringen", sagte Premier Orbán. "Es liegt in unserem Interesse, dass nach unserer vollständigen Vorbereitung wenig Zeit bis zur Mitgliedschaft verstreicht."

Ungarn ist überzeugt: Die Beitrittsverhandlungen können bis Ende 2002 abgeschlossen werden und 2004 wird das Land Mitglied der EU.

Parlamentsboykott der Sozialisten

Die stärkste Oppositionpartei sind die Sozialisten (MSZP). Sie werfen Orbán und seiner Regierung vor, die nationalen Interessen gegenüber der EU und den Nachbarländern vor vernachlässigt zu haben, ja sprechen gar von Verrat. Deshalb boykottiert die MSZP seit Februar die Sitzungen des Parlamentes.

Weil die Sozialisten die gute Wirtschaftslage nicht leugnen können, erklären sie sie einfach zu ihrem eigenen Erfolg. Erst die konsequente Wirtschaftspolitik der Jahre 1994 bis 1998, als die Sozialisten mitregierten, hätten den spektakulären Aufschwung ermöglicht. MSZP-Spitzenkandidat Péter Medgyessy, ein Finanzexperte, verspricht ein Füllhorn wirtschaftlicher Wohltaten: Wohlstand für alle, Verringerung der öffentlichen Lasten, Förderung der Investitionstätigkeit und Ausbau der Infrastruktur. Wie erhitzt das politische Klima in Ungarn derzeit ist, lässt sich daran erkennen, dass Medgyessy erst nach heftigen innerparteilichen Kämpfen als Kandidat akzeptiert wurde. Selbst in der MSZP ist er unbeliebt und umstritten.

Wahlen in Ungarn
Wahlveranstaltung auf dem Heldenplatz in BudapestBild: AP

Sonderrolle für "Wahrheitspartei"

In der Parteienlandschaft spielt die 'Partei des ungarischen Lebens und der Wahrheit' (MIÉP, gegründet 1993) eine Sonderrolle. Die Partei des Schriftstellers István Csurka gilt als antisemitisch und ausländerfeindlich. Sie propagiert einen sogenannten dritten Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus, ist gegen die NATO-Mitgliedschaft Ungarns und hat Bedenken gegen den EU-Beitritt. Stattdessen macht sie sich für die Revision der Grenzen des Landes stark. Während des Kosovo-Kriegs arbeitete sie einen konkreten Plan für den Anschluss von Teilen der Vojvodina an Ungarn aus. Aber auch nach dem 11. September 2001 zündelte die Rechtsaußen-Partei: Sie kritisierte die USA und äußerte Verständnis für die Terroraktionen in New York und Washington.

Im Parlament bilden die 14 Abgeordneten der MIÉP eine Art Opposition innerhalb der Opposition, weil sie bei Abstimmungen oft die Regierung unterstützen. Die MIÉP hat gute Chancen, über Direktmandate wieder ins Parlament einzuziehen. Sie ist bereit zu einer Regierungskoalition mit der Fidesz-MPP, aber auch zur Tolerierung einer Fidesz-Regierung.

Gute Aussichten auf den Einzug ins Parlament haben auch die Liberalen. Ihr 'Bund der Freien Demokraten' (SZDSZ), der in Ungarn eher den linken Kräften zuzuordnen ist, kann nach jüngsten Prognosen mit sechs bis sieben Prozent der Stimmen rechnen.

Zur Wahl, die in zwei Runden am 7. und 21. April stattfindet, sind 7,5 Millionen Bürger aufgerufen. Experten erwarten mit Stimmenanteilen um die 40 Prozent ein Kopf-an-Kopf-Rennen der zwei großen Volksparteien - der national-konservativen Bürgerpartei Fidesz-MPP und den oppositionellen Sozialisten (MSZP). Prognosen sind schwierig, weil der Anteil der Wechselwähler hoch ist. Aber jetzt schon jetzt sicher ist: Eine Neuauflage der gegenwärtigen Regierungskoalition aus Bürgerpartei und Kleinlandwirten ist nicht möglich. Denn die Landwirtspartei hat sich in ihrer Regierungszeit an den Rand der Bedeutungslosigkeit manövriert.