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Plagiatsvorwurf

18. Februar 2011

Die Affäre um Karl-Theodor zu Guttenbergs Doktorarbeit weitet sich aus. Ist das Internet eine Gefahr für die Wissenschaft, weil es das Kopieren zu leicht macht? Ein Gespräch mit dem Plagiatexperten Volker Rieble.

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Karl-Theodor zu Guttenberg Foto: Oliver Lang/dapd
Vorerst wird er seinen Doktortitel nicht führenBild: dapd

Der Jurist Professor Volker Rieble ist seit 2004 Inhaber des Lehr­stuhls für Arbeitsrecht und Bürger­liches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München und hat mehrere Bücher zu dem Thema verfasst. Zu Karl-Theodor zu Guttenbergs Doktorarbeit hat er deutlich Stellung bezogen: In der Wochenzeitung "Die Zeit" gab er dem Verteidigungsminister eine "Fünf", die Arbeit entspräche nicht den wissenschaftlichen Standards.

Deutsche Welle: Herr Professor Rieble, haben Sie schon mal abgekupfert?

Als Student, klar. Wenn man in der Vorlesung sitzt oder eine Klausur schreibt und mal einen Blick zum Nachbarn wirft, das passiert schon.

Wo verläuft denn die Grenze zwischen Abkupfern und Plagiat?

Nun, Abkupfern ist Plagiat, und selbstverständlich habe ich damals eine Prüfungstäuschung begangen, als ich vielleicht zwei Sätze oder die entscheidende Idee vom Nachbarn in der Klausur übernommen habe, das ist nicht in Ordnung. Aber vielleicht gelten auch für Studenten noch nicht die gleichen harten Maßstäbe wie für professionelle Wissenschaftler.

Durch den Fall zu Guttenberg erfährt das Thema Plagiat ein großes Interesse in unserer Gesellschaft. Welche Rolle spielen die neuen Medien dabei, Plagiate aufzudecken?

Zunächst einmal ermöglichen die neuen Medien, zunächst das Internet natürlich, Plagiate zu vollziehen. Denn ich kann mir heute viel leichter das Original im Netz besorgen, und es dann einfach mit zwei Tasten – einmal Copy, einmal Paste – in meinen Text einfügen. Und erst dann kommt sozusagen die Kompensation, dass das natürlich auch leicht herausgefunden werden kann. Wenn sie jetzt schauen, was bislang in der Dissertation des Doktoranden zu Guttenberg gefunden worden ist, dann sind das ja bislang nur Ähnlichkeiten oder Identitäten mit Textstellen, die man im Internet auch finden kann. Die eigentliche Plagiatforschung in Bezug auf dieses Buch hat noch gar nicht angefangen, nämlich zu schauen, welche Werkübereinstimmungen es zu Print gibt.

Machen die neuen Medien den Wissenschaftlern das Betrügen zu einfach?

Aber ja! Denn die können bei der Plagiatserforschung über das Internet - so wie das auch Andreas Fischer-Lescano, der die kopierten Stellen in zu Guttenbergs Dissertation fand, getan hat - nur Wortidentitäten finden. Wenn sich der Plagiator der Mühe unterzieht, ein kleines bisschen umzuformulieren, so dass die Satz- und Wortstellungen anders sind, dann geht die Wortidentitätssuche ins Leere. Das ist ja das Erschreckende an diesem Fall, aber auch an vielen anderen Plagiatsfällen, dass diejenige, die Fremdtexte als eigene Texte ausgeben, sich noch nicht einmal die Mühe des Nacherzählens machen. Wenn aber nacherzählte Texte vorliegen, dann erfordern sie einen interpretatorischen Akt, dann muss also derjenige, der dem Plagiat auf der Spur ist, Original und Kopie nebeneinanderlegen und wirklich wertend vergleichen – und das ist eine relativ schwierige, mühsame und zeitraubende Angelegenheit.

Wieso streben so viele Menschen – auch so vielbeschäftigte Politiker wie zu Guttenberg – nach Doktortiteln und Doktorehren?

Der Doktor ist – und zwar gerade, weil die große Masse der Doktoranden immer noch redlich arbeitet und gescheite Arbeiten abgibt – immer noch ein Titel, der etwas gilt, der etwas wert ist, der auch eine gewisse Seriosität vermittelt, gerade deswegen, weil ein normaler Doktorand eben ein bis drei Jahre in den Geisteswissenschaften an seinem Buch sitzt, und ein dickes Brett genüsslich und langsam bohrt. Und das wird auch anerkannt – übrigens auch im Berufsleben, durch bessere Bezahlung, bessere Stellenangebote und dergleichen.

Gibt es den typischen Plagiator?

Nein, den typischen Plagiator gibt es nicht. Die Fälle sind ganz unterschiedlich. Es gibt das Zeitnot-Plagiat: da hat einer seine Arbeit wirklich zu 95 Prozent fertig und dann fängt der neue Beruf an, oder die Ehefrau macht Druck, und man bedient sich ganz zum Schluss bei Fremdstellen, um es irgendwie vom Tisch zu kriegen. Das sind im Kern wirklich auch vielfach Menschen, die unter einem ganz großen Druck stehen – bei denen man menschliches Verständnis haben kann. Es gibt daneben diejenigen, bei denen das Plagiieren eigentlich zur Arbeitsmethode gehört – das sind die, denen sowieso nichts eigenes einfällt, die – mit Verlaub – einfach blöd sind. Und dementsprechend überhaupt nur mit dem Umarrangieren von Fremdtexten leben können. Und dann gibt es vielleicht auch Hochstaplertypen, die auch einen gewissen Genuss dabei finden, dem Wissenschaftsbetrieb zu zeigen, dass man sich doch relativ leicht durchmogeln kann.

Angenommen, ich würde mich im Internet informieren und auf Seiten stoßen, die Hausaufgaben für Studierende anbieten, sogar bis zu Doktorarbeiten. Ist das eine Alternative für jemanden, der den Doktortitel braucht?

Den Doktortitel kann man sich relativ leicht kaufen. Sie können im Ausland bei verschiedenen sogenannten Hochschulen Titel erwerben, die man allerdings im Inland nur eingeschränkt führen kann. Es gibt auch im Inland Promotionsvermittlungsagenturen – da ist ja vor kurzem gerade eine aufgeflogen – die sogar Kontakte zu deutschen Doktorvätern und Müttern vermitteln, wobei merkwürdigerweise der eine oder andere der Professoren in diesem Fall auch selbst mal die Hand aufgehalten hat. Und es gibt schließlich die ganz harte Nummer: dass man sich von einem bezahlten Ghostwriter die eigene Doktorarbeit schreiben lässt. Der Tarif liegt in den Geisteswissenschaften bei 20.000 – 40.000 Euro, das ist ein gutes Geschäft für beide Seiten. Der Ghostwriter kann, wenn er gut ist, so was in acht bis zehn Wochen schreiben. Derjenige, der das einkauft, der erspart sich zwei bis drei Jahre Mühe – also ist das auch für ihn lohnend. Das müsste aber unter normalen Umständen auffliegen, denn der Betreuer der Arbeit müsste es merken, wenn der Kandidat, von dem was er abgibt, gar nichts selbst geschrieben hat.

Wie schätzen Sie denn die Arbeit eines Doktorvaters ein in der heutigen Zeit – ist er seriös?

Ich bin selber Doktorvater und würde nicht sagen, dass das, was ich mache, unseriös ist. Der Doktorvater ist ein Betreuer, ein Coach, ein Partner des Doktoranden, dem er dabei hilft, auf dem Weg zur eigenen wissenschaftlichen Arbeit nicht abzugleiten, nichts falsch zu machen. Dazu gehört auch eine Instruktion über die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens: wie zitiert man, auch die Diskussion über Ideen gehört mit dazu, allerdings darf der Doktorvater nicht so weit gehen, sozusagen dem Doktoranden die eigenen Ideen unterzujubeln – dann wäre es ja keine eigene wissenschaftliche Arbeit mehr. Aber so funktioniert es in der großen Masse der Fälle. Und ich würde sagen, dass das Promotionswesen in Deutschland nicht insgesamt korrupt oder infiziert ist, sondern dass wir eben eine gewisse Missbrauchszahl haben, wie in jedem gesellschaftlichen Bereich, nur mit dem Unterschied, dass die Wissenschaft nicht hinreichend effektiv durchgreift.

Das Gespräch führte Conny Paul

Redaktion: Sabine Oelze