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Plädoyer für bilinguale Bildung

Lydia Heller 1. April 2014

Der Russe Irek Sulejmanow möchte Bildung und Forschung in seiner Heimat internationaler ausrichten. Die Idee dazu entstand an der Universität Potsdam, wo er mit Kommilitonen aus ganz Europa zusammentraf.

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Irek Suleymanow am Sitzungstisch @privat
Bild: privat

Zum ersten Mal kam Irek Sulejmanow 2006 mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Deutschland. Schon damals hatte er ein Gespür für Details; einen Blick für die kleinen Unterschiede und die unscheinbaren Dinge, die andere gern übersehen. Seit er wieder in Berlin ist – diesmal als Bundeskanzlerstipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung für angehende Führungskräfte – geht er mittags in ein kleines Café in Charlottenburg, nicht weit von seinem Büro im Deutsch-Russischen Forum. Hier gibt es nur fünf Tische, draußen rauscht unaufhörlich der Verkehr vorbei. Auf den ersten Blick nicht sonderlich einladend. Aber die Wirtin sei freundlich und der Käsekuchen vorzüglich, schwärmt der 28-Jährige: "Wenn man sich wohl fühlt, sind das immer Eindrücke, die mit konkreten Leuten verbunden sind."

Blick über den Tellerrand

Dass die Sichtweise auf ein anderes Land stark durch die eigene Herkunft geprägt ist, fiel Irek Sulejmanow schon bei seiner ersten Reise nach Deutschland auf. 2006, er studierte zu der Zeit Mathematik, Germanistik und Pädagogik in seiner Heimatstadt Uljanowsk, besuchte er einen Sommerkurs an der Universität Potsdam. Er traf auf Kommilitonen aus Spanien, Frankreich und Italien – und alle, stellt er fest, hatten einen anderen Blick auf Deutschland und interessierten sich für die unterschiedlichsten Dinge. "Für uns Russen zum Beispiel ist die Zeit der Wiedervereinigung total spannend. Wir haben ja auch so einen Umsturz erlebt", erzählt Irek Sulejmanow . "Die Spanier dagegen fanden die 90er Jahre in Deutschland längst nicht so interessant, weil es bei ihnen in der Zeit keine Umbrüche gab."

Irek Suleymanow @privat
...Gespür fürs DetailBild: privat

Irek Sulejmanow begann damals zu recherchieren, wie in deutschen Schulen mit Zweisprachigkeit umgegangen wird. Zum einen, weil er aus einer tatarischen Familie kommt und selbst zweisprachig aufgewachsen ist. Zum anderen, weil er sich für Deutschland interessierte. Das sei allerdings eher dem Zufall zu verdanken, lacht er: "Ich komme aus einem kleinen Dorf, wo in der Schule nur Deutsch als Fremdsprache angeboten wurde. Aber es hat mir Spaß gemacht. Nachdem wir die ersten Wörter gelernt hatten, habe ich meine Mutter gefragt, wann wir denn auch Mathematikunterricht auf Deutsch bekommen. Das fand ich wichtig."

"Zweisprachigkeit macht kreativ"

Jahre später in Deutschland begeisterte sich Irek Sulejmanow für das Konzept der staatlichen Europaschulen, in denen Grundschüler zweisprachig unterrichtet werden. Er promovierte über interkulturelle Bildung, organisierte Germanistikkonferenzen in Russland und Runde Tische über russische Politik in Deutschland, engagierte sich für deutsch-russische Schüleraustausche und für mehr internationale Zusammenarbeit an der Universität in seiner Heimatstadt Uljanowsk. Bilinguale Bildung, davon ist Irek Sulejmanow überzeugt, mache offen und kreativ. Und zwar ab dem Moment, in dem man "Sprache nicht mehr als Objekt ansieht, eben einfach als Fach, das man auch noch lernen muss, sondern als Mittel, das Zugang zu neuem Wissen verschafft, egal ob Mathematik, Geschichte oder Kultur."

Irek Suleymanow sitzt am Computer Foto: Lydia Heller
Das Organsieren deutsch-russischer Events gehört zu Ireks AufgabenBild: DW/L. Heller

Kulturelle Grenzen

Doch auch mit perfekten Sprachkenntnissen stößt der junge Wissenschaftler immer wieder an seine Grenzen. Weil er seine Projekte gern langfristig plant, To-Do-Listen schreibt und E-Mails zügig beantwortet, gilt er bei seinen russischen Partnern inzwischen häufig als "der Deutsche", zumal er auch schon in der Deutschen Botschaft in Moskau gearbeitet hat. Und umgekehrt? "In Russland läuft vieles über persönliche Kontakte, das fehlt mir hier manchmal. Die persönliche Dimension könnte in der Zusammenarbeit ruhig mehr berücksichtigt werden", findet Irek. Nicht selten zum Beispiel sei das Interesse an Kooperationen mit russischen Forschungseinrichtungen von deutscher Seite aus eher gering, und oft präge ein negatives Russlandbild die ersten Kontakte. "Aber Leute, die sich schon in Kooperationen befinden, sind meist begeistert. Ein bisschen mehr Gelassenheit schadet also nicht."

Irek Sulejmanow betritt ein Café Foto: Lydia Heller
Zwischen den Terminen: entspannen im StammcaféBild: DW/L. Heller

Lernen von Eberswalde

Für sein aktuelles Projekt am Deutsch-Russischen Forum erforscht Irek Sulejmanow noch bis August deutsche Strategien zur Internationalisierung von Bildung und Wissenschaft und wie man sie auf Russland übertragen kann. Erfolgsgeschichten und Vorzeigeprojekte interessieren ihn dabei eher weniger. Attraktive Standorte wie Berlin, München oder Hamburg, sagt Sulejmanow, müssten sich schließlich wenig Gedanken machen, wie sie ausländische Studenten anlocken können. Uljanowsk könne da eher von Eberswalde lernen, einer Kleinstadt nordöstlich von Berlin. "Da will ja auch niemand hin. Aber die Fachhochschule dort hat sich explizit auf nachhaltige Entwicklung spezialisiert und dafür eng mit der Stadt zusammengearbeitet." Solche Konzepte könnten auch für viele Regionen in Russland spannend sein, glaubt Irek Sulejmanow." Es sind immer Menschen, die gemeinsam Probleme lösen. Und es hilft, wenn sie eine gemeinsame Sprache sprechen."

Irek schwärmt für deutsche Kunst und Brötchen