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Pizza für Nordkorea

Esther Felden
20. April 2018

Wie ein südkoreanischer Künstler 500 DVDs mit einem Do-it-yourself-Kochkurs-Video nach Nordkorea schmuggeln ließ, warum es darin ausgerechnet um Pizza ging und wieso das ganze Projekt einen ernsten Hintergrund hat.

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Still aus der Reihe "Pizzas for the People": Junge Frau und Mann an einem Tisch auf dem Boden sitzend, vor sich ein Teller mit einer sternförmigen Pizza
Bild: Hwang Kim

Pizza wie in Italien. Mitten in Pjöngjang. Davon träumte Kim Jong Il. Der ehemalige nordkoreanische Diktator, der zu Lebzeiten als Gourmet bekannt war, liebte dieses italienische Nationalgericht. So sehr, dass er es unbedingt auch nach Nordkorea holen wollte. Vor mittlerweile neun Jahren wurde deshalb die erste Pizzeria des Landes eröffnet: das "Milky Way". Ein Ort für die Eliten - fernab von den sonst allgegenwärtigen Problemen wie Hunger oder Mangelernährung.

Jiang Zemin und Kim Jong Il (links) in Pjöngjang im Jahr 2001
Kim Jong Il (li.) mit Chinas Präsidenten Jiang Zemin 2001 in Pjöngjang: Ein Feinschmecker?Bild: picture-alliance/dpa/Str/Xinhua

Der Diktator ließ nichts anbrennen: Die Zutaten für die Gerichte wurde eigens aus Italien importiert. Und die Köche hatte Kim zur Ausbildung extra nach Rom und Neapel geschickt, damit sie an der Quelle lernen konnten, wie Pizza richtig zubereitet wird. Es sollte ja schließlich authentisch schmecken.

Selbst auf der Internetseite des "Lonely Planet" ist das Restaurant aufgeführt. Die Pizza sei "ziemlich annehmbar", heißt es dort. Und daneben gebe es auch "eine große Auswahl an Nudelgerichten und die allgegenwärtige After-Dinner-Karaoke-Show".

Gleiches Recht (auf Pizza) für alle!

Im März 2009 hatte die in Japan erscheinende und von Exil-Koreanern  herausgegebene Zeitung "Choson Sinbo" als erste über die Eröffnung der Pizzeria berichtet. Weltweit griffen Zeitungen die Meldung damals auf. Auch der südkoreanische Künstler Hwang Kim erfuhr so davon. Die Geschichte ließ ihn nicht mehr los. "Ich fand es sehr skurril. Eigentlich ist in Nordkorea ja der Zugang zu Einflüssen aus anderen Kulturen sehr limitiert und streng geregelt, zumindest für die einfachen Menschen. Die politische Führung hat natürlich solche Privilegien. Jetzt gab es da zwar auf einmal eine Pizzeria in Nordkorea. Aber nur die wenigsten konnten tatsächlich dort essen. Dem normalen Volk wurde das vorenthalten."

Eine Pfanne auf einem kleinen Herd, daneben ein Teller mit einer selbstgemachten Pizza drauf
Fotos als Feedback: Bilder wie dieses erreichten Hwang Kim aus NordkoreaBild: Hwang Kim

Das brachte Kim schließlich auf eine Idee. Er wollte es mit künstlerischen Mitteln schaffen, an der Zensur vorbei Botschaften auf die andere Seite zu senden. Und zwar in Form eines Films speziell für Nordkoreaner. "Grenzüberschreitende Kommunikation ist aufgrund der Rahmenbedingungen in Nordkorea kaum möglich, alles ist sehr eingeschränkt." Doch davon wollte er sich nicht beeindrucken lassen. So entstand das Projekt "Pizzas for the people". Eine Reihe von vier Kurzfilmen mit jeweils zwei Protagonisten, einer Frau und einem Mann, beides Schauspieler aus Südkorea.

Die fertige Mini-Serie wird am kommenden Sonntag erstmals in Deutschland gezeigt, beim diesjährigen TheaterfestivalHeidelberger Stückemarkt. Auch Hwang Kim wird dann da sein und nach dem Film über Zensurumgehung sprechen sowie Fragen aus dem Publikum beantworten.

DVDs der Reihe Pizzas for the People in einem Koffer
Pizza-for-the-People-DVDs: Wie sollten die Filme an der Zensur vorbei nach Nordkorea kommen?Bild: Hwang Kim

Die einzelnen Episoden von "Pizzas for the People" sind jeweils etwa fünf Minuten lang und drehen sich um verschiedene Themen. "Das Ganze kommt daher wie eine Art Mischung aus Seifenoper und Homevideo", erklärt Kim. "Wir wollten versuchen, Nordkoreanern in leise satirischem Ton etwas über westlichen Lebensstil zu erzählen." Es geht beispielsweise um K-Pop oder Weihnachten. Und eben die Zubereitung einer Pizza.

Pizza mit Peperoni-Paste

"Damit Sie nicht immer monatelang auf einen freien Tisch im italienischen Restaurant Milkyway in Pjöngjang warten müssen - hier eine Anleitung, wie man leckere Pizza auch zu Hause machen kann", sagt die junge Frau in die Kamera. Sie steht in einer Küche, trägt eine Schürze. Dann beginnt sie mit ihrem 'Tutorial': Sie erklärt, wie man Pizzateig richtig zubereitet und welche Zutaten man braucht. "Die großen Paprika, die es in Europa gibt, haben wir in Korea nicht. Aber auch kleine Paprika genügen. Ansonsten braucht man noch Tomaten, Mais und Wurst. Und natürlich Käse. Aber der ist schwer zu bekommen. Wer keinen hat, kann stattdessen auch Tofu nehmen." Den Teig, so die Frau weiter, könne man mit einer leeren Schnapsflasche ausrollen. Dann die Pizza belegen und ab in den Ofen.

Schnitt.

Still aus der Reihe "Pizzas for the People": Junge Frau und Mann essen Pizza
Pizza-for-the-People-Protagonisten: Wie eigentlich muss eine Pizza schmecken?Bild: Hwang Kim

Im nächsten Bild sieht man die junge Frau gemeinsam mit einem Freund. Beide sitzen auf dem Boden an einem Tisch und wollen zum ersten Mal in ihrem Leben Pizza probieren. Nach den ersten Bissen fangen beide an zu lachen. "Soll das so schmecken?", fragt er. Darauf sie: "Woher soll ich das wissen?"

Der Mann bestreicht daraufhin seine Pizza mit koreanischer Peperoni-Paste und kaut den nächsten Bissen genüsslich. Sie will es ihm zunächst nicht nachmachen - weil  es dann nicht mehr dem Originalrezept entspricht. Aber dann probiert sie doch. Auch ihr schmeckt die Pizza mit koreanischer Note besser - beide sind zufrieden. Damit endet die erste Episode von "Pizzas for the People".

Was sollen die Menschen in Nordkorea damit anfangen?

Interessiert ein solches Video die Bevölkerung in Nordkorea überhaupt? Und haben die Menschen nicht drängendere Probleme als Essen aus Italien? Diese Fragen stellte sich Hwang Kim im Vorfeld. Und er stellte sie auch im Exil lebenden Nordkoreanern. "Ich habe mich bei ihnen erkundigt, ob meine Filmidee in Nordkorea gut ankommen würde. Alle haben mir versichert, dass die Leute so etwas auf jeden Fall sehen wollen. Sie seien ganz verrückt nach allem, was aus dem Ausland kommt."

Still mit zwei als Rappern verkleideten Schauspielern aus der vierteiligen Reihe "Pizzas for the People"
Auch um den in Südkorea so beliebten K-Pop geht es in einer der EpisodenBild: Hwang Kim

Auf dem Schwarzmarkt im Land zirkulieren unzählige DVDs mit Filmen oder Seifenopern vor allem aus Südkorea. Auch Bücher und Musik-CDs kann man kaufen. Die Produkte sind heiß begehrt, meint Kim. "Auch wenn die Menschen kaum etwas zum Leben haben, versuchen trotzdem viele, ihr weniges Geld zu sparen, um DVDs zu kaufen. Ich würde es als eine Art kulturellen Hunger beschreiben, der weit verbreitet ist, auch wenn das tägliche Leben der Menschen hart ist."

Per Mittelsmann über die Grenze

In den folgenden Monaten nahm das geplante Filmprojekt konkrete Formen an. Die Dreharbeiten fanden in Südkorea statt. Im Frühjahr 2010 war der Film dann fertig produziert und auf insgesamt 500 DVDs gebrannt. Aber wie sollten sie zu ihrem Zielpublikum gelangen? "Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Schmuggel floriert. Auf diese Weise gelangen immer wieder Waren oder Geld ins Land. Natürlich ist das offiziell verboten, aber die nordkoreanische Regierung drückt da ein Auge zu, weil es gut für ihre Wirtschaft ist," sagt Hwang Kim.

Er beschloss, solche Schmuggelkanäle auch für sein Projekt zu nutzen - und stellte über Mittelsmänner Kontakt zu Schmugglern im chinesisch-nordkoreanischen Grenzgebiet her.

Der südkoreanische Künstler Hwang Kim von hinten, telefoniert mit dem Handy
Am vereinbarten Treffpunkt wartete Hwang Kim (von hinten) auf einen SchmugglerBild: privat

Insgesamt fünf Männer wurden beauftragt, jeweils 100 DVDs über die Grenze zu bringen und dann auf den Schwarzmärkten anzubieten. "Ich habe die Videos nicht an die Schmuggler verkauft, sondern sie ihnen einfach gegeben und gesagt, dass ich es ihnen überlasse, ob sie sie verkaufen oder gratis an die Menschen verteilen. Ich denke, ein paar von ihnen haben sicher auch Geld dafür genommen, vielleicht umgerechnet einen Euro. Aber genau sagen kann ich das nicht."

Fan-Post aus Nordkorea

Auch, wie viele Menschen seine Filme tatsächlich gesehen haben, weiß er nicht. Er muss sich auf die Berichte seiner Schmuggler verlassen. Die sagten ihm, dass alle Exemplare ausverkauft waren. "Sie waren mein einziger Kommunikationskanal, wobei man sagen muss, dass dieser Kanal nicht so zuverlässig ist. Ich habe zwar eine gewisse Beziehung zu ihnen aufgebaut, aber komplett vertrauen kann ich ihnen nicht."

Eine Hand mit einem Strück Pizza
Zugespieltes Beweisfoto: Offenbar haben zumindest manche Zuschauer versucht, Pizza zu backenBild: Hwang Kim

Es sei üblich, dass Schmuggler ihren Auftraggebern etwas aus Nordkorea mitbringen - eine Art Beweis dafür, dass sie ihren Job erledigt haben. "Das können beispielsweise Briefe oder Unterschriften sein. Auch ich habe Reaktionen bekommen. Zum Beispiel Fotos von Menschen, die nach dem Anschauen des Videos selbst Pizza gebacken haben." Und: Auch Fanbriefe an die weibliche Darstellerin seien dabei gewesen.

Nachschub-DVDs von "Pizzas for the People" gab es aber trotzdem nicht. Die Geschichte sei abgeschlossen, sagt Hwang Kim. Stattdessen entwickelte er 2013 ein Folgeprojekt: ein Experiment, bei dem eine Echtzeit-Kommunikation zwischen Nord- und Südkoreanern ging - auch wenn keiner der Protagonisten bei der Ausstrahlung tatsächlich physisch im Norden war. In welchem Rahmen kann man in seinem geteilten Heimatland Grenzen überwinden? Die Frage beschäftigt Hwang Kim auch weiterhin. Bei der Veranstaltung in Heidelberg kann er darüber mit einem Publikum sprechen, das die Erfahrung, auseinandergerissen zu sein, aus eigener Erfahrung kennt.