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Pin-up-Girls und Gummibärchen

Alexander Kudascheff23. Juli 2003

Brüssel ist ein Moloch. Brüssel erfindet ständig neue Richtlinien und Verordnungen. Brüssel regelt und reguliert gerne alles - so lautet ein weit verbreitetes Vorurteil. Ein Vorurteil? Oder doch nicht?

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Ein paar Kostproben der letzten Tage:

1) Die europäische Kommission hat die Gesundheitsrisiken beim Tätowieren und beim Piercing untersucht. Das Ergebnis: es gibt Risiken. Also Vorsicht bei schmutzigen Nadeln, so Brüssel. Immerhin: Brüssel plant keine überflüssige EU-Richtlinie.

2) Die europäische Kommission ermahnt Deutschland, endlich die Steuerunterschiede bei selbst gedrehten Zigaretten einzuebnen. Denn eine Zigarette sei nach der EU-Direktive 95/59 über Steuern im Gemeinschaftsbinnenmarkt immer eine Zigarette. Also - rauf mit den Steuern, auch wenn die deutschen Studenten darüber wenig amüsiert sein werden.

3) Brüssel betrachtet die geplante LKW-Maut auf deutschen Autobahnen argwöhnisch. Da werde der Wettbewerb verzerrt, heißt es. Doch von ebenso energischen Gegenmaßnahmen Brüssels gegenüber den Mautgebühren in Spanien, Frankreich oder Italien hört man nichts. Ganz zu schweigen von der Dauersubvention für französisches Dieselbenzin.

4) Brüssel will einheitliche Versicherungstarife für Frauen und Männer - weil Brüssel gegen die Benachteiligung von Frauen ist - und verbannt gleichzeitig die Pin-up-Girls von den Seiten 1 bis 3 europäischer Boulevardzeitungen.

Moralapostel als Regulierungskommissar

Soweit so gut, soweit so schlecht. Doch Brüssel ist unermüdlich tätig. Und nun hat es die Werbung entdeckt. So wie die Studenten 1968 sich gegen die Manipulation der Bürger durch die Werbung engagierten, so kämpft der irische Verbraucherkommissar Byrne gegen falsche Versprechungen. Ob ein Waschmittel so weiß wie kein anderes wäscht, ob Gummibärchen Kinder froh machen und Erwachsene ebenso, ob Zahnpasta den Zahnschmelz härtet, ob ein Schokoriegel mobil macht - all das soll, so will es Brüssel ernsthaft, wissenschaftlich erhärtet sein - und von Brüssel geprüft werden. Das ist der Regulierungswahnsinn auf seinem Höhepunkt.

Denn: niemand bestreitet, dass Werbung nicht dreist lügen darf. Wenn also behauptet wird, ein Mundwasser bekämpfe erfolgreich Krankheitserreger, dann muss schon was dran sein. Wer behauptet, ein Joghurt sei kalorienarm, kann nicht zuviel Fett wegretuschieren. Aber: der Bürger ist ein selbständiger Konsument. Er kann, er sollte selbst entscheiden, was er für eine weichzeichnende Übertreibung und was für blanke Wahrheit hält. Er entscheidet am Regal, was er von der Werbung hält. Und nicht David Byrne, der Moralapostel als Regulierungskommissar. Und wer sich um die Gesundheit der Europäer sorgt: es geht nicht um einen Schokoriegel, der mobil macht oder nicht. Es geht um Essgewohnheiten. Wer zuviel isst, wird zu dick. So einfach ist das. Und dagegen helfen Aufklärung, aber keine Werbeverbote.