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Pier Paolo Pasolinis "Schweinestall"

Jochen Kürten3. November 2014

Die Filme des italienischen Regisseurs Pasolini sind schwer zu entschlüsselnde Kunstwerke. Verstehen kann man sie, wenn überhaupt, nur im Zusammenhang mit seinem übrigen Werk und mit dem Blick auf den Menschen Pasolini.

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Filmstill "Der Schweinestall" von Pier Paolo Pasolini (Foto: Filmgalerie 451)
Bild: Filmgalerie 451

Endzeitstimmung auf der Leinwand. Menschen, die durch öde Wüstenlandschaften irren. Gewalt und Brutalität, dazu Spielarten der Sexualität, der Versuch Tabus im Kino niederzureißen. All das kennzeichnet das Werk Pier Paolo Pasolinis. Doch es ist ein Ringen um Wahrheiten, um menschliche Eigenarten vor dem Hintergrund politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen, die der Regisseur thematisiert. Die Filme Pasolinis sind nichts für Voyeure und Anhänger des Kommerzkinos.

Das wird gerade auch in Berlin wieder deutlich, wo noch bis Anfang Januar die große Ausstellung über den italienischen Künstler zu sehen ist. Der Martin-Gropius-Bau stellt Fotos, Filminstallationen, Texte, Briefe und andere Dokumente aus. Gezeigt werden soll "der vielgesichtige Pasolini, der melancholische Narziss der frühen Lyrik, der unorthodoxe Marxist der 50er und 60er Jahre und auch der Gesellschaftskritiker und Provokateur."

Europäische Zusammenarbeit

Pasolini ist ohne Zweifel einer der Künstler aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts mit dem komplexesten Werk. Die gesamteuropäische Bedeutung Pasolinis spiegelt allein die Tatsache wider, dass die Berliner Schau ein Gemeinschaftsprojekt deutscher, französischer, spanischer und italienischer Museen ist.

Italienischer Filmregisseur Pier Paolo Pasolini
Pier Paolo PasoliniBild: picture-alliance/dpa

Parallel zur Ausstellung im Gropius-Bau waren im Zentrum Berlins auch sämtliche filmischen Arbeiten Pasolinis wiederzuentdecken, das Kino Arsenal widmete dem Künstler eine ausführliche Retrospektive. Darüberhinaus erscheinen einige seiner Werke in Deutschland nun erstmals auf DVD. Dazu gehört Pasolinis Film "Der Schweinestall" aus dem Jahre 1969. Ein Werk, das vielfach interpretiert wurde, über dessen "Handlung" lange Untersuchungen geschrieben wurden und das doch jeden Betrachter auch heute noch vor große Herausforderungen stellt.

Deutsche Geschichte

Pasolini erzählt hier zwei Filmhandlungen parallel, die nur über wenige inhaltliche Elemente miteinander verknüpft sind. Zum einen verfolgt der Zuschauer die Erlebnisse eines Einsiedlers irgendwo in einer kargen Steinwüste, der mit später hinzustoßenden Herumtreibern eine Räuberbande gründet und Reisende überfällt, tötet und teilweise verspeist. Im zweiten Strang stellt Pasolini Mitglieder einer alten deutschen Industriellenfamilie mit Nazivergangenheit vor. Im Mittelpunkt dabei: der Sohn, der sich weniger von Frauen als von Schweinen angezogen fühlt sowie der Vater, der mit einem Rivalen um sein Industrieimperium ringt.

Filmstill "Der Schweinestall" von Pier Paolo Pasolini (Foto: Filmgalerie 451)
Anne Wiazemsky als Ida in Pasolinis "Schweinestall"Bild: Filmgalerie 451

Verzichtet die erste Erzählung fast vollkommen auf Sprache, besteht die andere vor allem aus Dialogen. Spielt die Wüstenepisode in einer nicht näher klassifizierten Zeit, ist der zweite Handlungsstrang im Deutschland der 1950er Jahre angesiedelt. Gedreht hat Pasolini ihn freilich in einer berühmten historischen Villenanlage in Norditalien. Die Figuren tragen deutsche Namen, werden aber von italienischen Schauspielern verkörpert.

Kritik am Kapitalismus

Es gibt Aussagen Pasolinis zu seinem verrätselten Werk: "Mein Film ist eine Verurteilung - teilweise explizit, teilweise implizit - der kapitalistischen Gesellschaft.“ Oder: "Die Gesellschaft, jede Gesellschaft frisst sowohl ihre ungehorsamen Kinder wie jene, die weder gehorsam noch ungehorsam sind; Kinder haben gehorsam zu sein, punktum." Das bietet zumindest einen Schlüssel zum Verständnis des Films.

Filmstill "Der Schweinestall" von Pier Paolo Pasolini (Foto: Filmgalerie 451)
Jean-Pierre Léaud als Industrieerbe Julian Klotz mit Hang zu SchweinenBild: Filmgalerie 451

Der Publizist Georg Seeßlen hat zu der nun veröffentlichten DVD ein langes Essay geschrieben: "Aufgewachsen zwischen einer pazifistisch-katholischen Mutter und einem militärisch-faschistischem Vater, die eine über alles geliebt, den anderen über alle gehasst", heißt es da über Pasolinis Herkunft. Der lehnte sich in seinem Werk mit drastischen Bildern gegen den einen Teil auf, verstieß dabei nicht selten lustvoll gegen die Schmerzgrenzen des Publikums.

Auseinandersetzung mit Tabus

Zum anderen, so Seeßlen, erwies er der Mutter als Kind "eines italienischen Kleinbürgertums, das er verabscheute" seine Referenz, indem er sich in seinen Filmen auf die Suche begab "nach tieferen Wurzeln, ganz direkt in der Sprache der Mutter, bei den Bauern, den Menschen der 'Dritten Welt'."

Cover "Der Schweinestall" von Pier Paolo Pasolini (Foto: Filmgalerie 451)
Bild: Filmgalerie 451

All das, und noch viel mehr, die Auseinandersetzung mit der Katholischen Kirche, kapitalistische Strukturen, Sexualität etc., flossen ein in seine Filme. Insbesondere das Spätwerk Pasolinis, der 1975 vermutlich von einem jugendlichen Stricher am Strand von Ostia bei Rom in der Nacht von Allerheiligen zu Allerseelen ermordet wurde, ist geprägt von diesen filmischen Tabuverletzungen. Das macht Pasolinis Werk auch heute noch zu einem faszinierenden wie schwierig zu rezipierenden Erlebnis.

Pier Paolo Pasolini: Der Schweinestall: Italien 1969, 98 Minuten, auf DVD in Deutschland erstmals erschienen beim Anbieter "Filmgalerie 451".