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Philosophie im Hochglanzformat

6. Dezember 2011

Orientierung und Lebensfragen an deutschen Kiosken: Gleich zwei neue Philosophie-Zeitschriften sind jüngst erschienen. Offensichtlich sehen die Macher einen massen-philosophischen Bedarf, der gedeckt werden muss.

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Regal in einem Zeitungsladen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/Bildagentur-online/Klein

Auf dem Cover sind zwei dünne, nackte Kinderbeine zu sehen, die in einem Paar klobiger, brauner Männerschuhe stecken. Darunter in breiten schwarzen Lettern die Frage: "Warum haben wir Kinder?" Die Zeitschrift "Philosophie Magazin" ist eines der neu erschienenen Magazine, die Philosophie massentauglich machen wollen. "Ein Magazin, das seine Fragen auf den Marktplatz trägt, um sie im Licht der Öffentlichkeit zu ergründen", so beschreibt Chefredakteur Wolfram Eilenberger die Zeitschrift im Editorial. Philosophie für alle. Das ist auch der Anspruch des zweiten neuen Philosophie-Magazins, "Hohe Luft" heißt es und will Philosophie bieten "für alle, die Lust am Lesen und Denken haben." Das ist eine sehr breit gefasste Zielgruppe. Potentielle Interessierte werden gleich in der ersten Ausgabe mit der Frage gefordert: "Du sollst nicht lügen. Aber warum eigentlich nicht?"

Philosophie to go

Montage der Cover der Magazine "Hohe Luft" und "Philosophie" (Foto: DW)
Bild: Emotion/Philomagazin/DW-Montage

Doch warum gehen gleich zwei Verlage davon aus, dass die Deutschen gerade das Bedürfnis haben, Lebensfragen in Hochglanzzeitschriften erläutert zu bekommen? Prof. Dr. Michael Quante, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Philosophie e.V., hat darauf diese Antwort: "Ich glaube, dass wir es dort mit zwei Entwicklungen zu tun haben. Die eine ist, dass in unserer Gesellschaft die klassischen Orientierungsinstanzen, also zum Beispiel die Religion, an Bedeutung verlieren. Das heißt, es gibt immer mehr Menschen, die versuchen, ihre Fragen an andere Stelle beantwortet zu bekommen." Zudem sei die Welt durch die Globalisierung, durch eine zunehmende Technisierung und den Umbau der Sozialsysteme viel komplexer geworden. Die neuen Zeitschriften wollen und können da neue Blickwinkel bieten und servieren Gedanken in fein filetierten philosophischen Häppchen. Garniert mit schickem Layout und großformatigen Bildern ist das durchaus reizvoll.

Philosophie als Kassenschlager

Dass die Philosophie aus ihrem akademischen Schatten heraustritt und sich an ein breites Publikum wendet, ist allerdings nicht neu, meint Michael Quante: "Wenn Sie an das 19. Jahrhundert oder an die französischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts denken, dann gab es damals auch durchaus wichtige philosophische Personen und Stimmen, die außerhalb des wissenschaftlichen Betriebs relevante Fragen diskutiert haben." Der Norweger Jostein Gaarder landete 1991 einen Erfolg damit, die Geschichte der Philosophie in "Sophies Welt" für Laien zu erklären. 2007 wurde der Titel "Wer bin ich und wenn ja, wie viele" des deutschen Autors Richard David Precht ein Kassenschlager. Das Buch avancierte zum erfolgreichsten deutschen Hardcover-Sachbuch des Jahres 2008; sein Verfasser zum viel zitierten Medienphilosophen, kaum eine Talkshow kommt mehr ohne ihn aus.

Der Philosoph und Schriftsteller Richard David Precht (Foto: Horst Galuschka)
Er hat der Populär-Philosophie in Deutschland ein Gesicht gegeben: Richard David PrechtBild: picture-alliance / dpa

Jetzt also die Orientierung am Kiosk – die allerdings kein deutscher Trend ist. Im Gegenteil: In Frankreich erscheint das "Philosophie Magazin" bereits seit 2006. "Philosophie ist im gesamten Land, nicht nur wie in Deutschland regional begrenzt, als Schulfach bis zum Abitur Pflicht", weiß Prof. Dr. Claudia Bickmann von der Gesellschaft für interkulturelle Philosophie e.V.. Das führe dazu, dass ein großer Teil der Bevölkerung in Frankreich eine philosophische Grundbildung besitze, so Bickmann: "In etwa 300 philosophischen Salons und einer Vielzahl an Zeitschriften ist das philosophische Leben in Frankreich vielschichtig und lebendig." In den angelsächsischen Ländern sei die Philosophie dagegen eher eine Spezialdisziplin an den Hochschulen.

Philosophie mit gesellschaftlichem Einfluss

In China wiederum, so Bickmann, habe sie den Eindruck, dass die Philosophie zunehmend eine gesellschaftlich relevante Rolle einnehme: "Es hat den Anschein, als sei zeitweilig die Orientierung an der Harmonie stiftenden Lehre des Konfuzius an die Seite der allein vertretenden kommunistischen Partei getreten. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die Partei oder die erneuerte Lehre des Konfuzius richtungweisend wird im Land." Im arabischen Raum dagegen versuche die Philosophie auf die gesellschaftlichen und politischen Aktivitäten einzuwirken. Dabei fände sie "heute gar in den verschiedenen Demokratie-Bewegungen" Ausdruck.

Jeder kann heute Philosoph sein - zumindest lassen einen das die neuen Philosophie-Magazine glauben: Auf der Facebook-Seite des "Philosophie Magazins" kann sich jeder per Mausklick dazu äußern, was im Leben zähle. Dadurch kann die Philosophie allerdings auch an Tiefe und Substanz verlieren. Für Philosophieprofessor Michael Quante ist das ein natürlicher Nebeneffekt, der sich in jeder wissenschaftlichen Disziplin ergebe, die ein breites Publikum einbeziehen wolle: "Ein Professor der Physik oder der Biologie wird auch wenn er einen öffentlichen Vortag hält, fachliche Zugeständnisse an die Verstehbarkeit machen müssen und das ist auch legitim." Philosophie lasse sich populär aufbereiten und könne trotzdem noch eine Wissenschaft bleiben. Dennoch sei die Gefahr da, dass die Philosophie dabei in die Pseudo-Philosophie abrutsche. Die zeichne sich wiederum dadurch aus, dass man "ohne Argumentation und ohne rationale Begründung weltanschauliche Positionen" vertrete.

Autor: Laura Döing

Redaktion: Marlis Schaum