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"Lahm ist meine Nr. 1"

20. Mai 2010

Wie geht es im Trainingslager vor einer WM zu? Was bedeutet der Ausfall Ballacks für das Team? Wer übernimmt seine Führungsrolle? Olaf Thon, der frühere Nationalspieler und WM-Experte der Deutschen Welle, antwortet.

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Portrait Olaf Thon. Copyright: Olaf Thon
WM-Experte Olaf ThonBild: Olaf Thon

Mit dem FC Schalke 04 wurde Olaf Thon Uefapokal-Sieger und holte zweimal den DFB-Pokal. Mit dem FC Bayern München feierte er drei deutsche Meistertitel. Und Thon gehörte zur deutschen Nationalmannschaft, die 1990 in Italien Weltmeister wurde. Zurzeit arbeitet Thon als Trainer beim nordrhein-westfälischen Fünftligisten VfB Hüls. Für die Deutsche Welle analysiert der 44-Jährige das Geschehen vor und während der WM in Südafrika.

Fußballnationalspieler Michael Ballack schaut auf Krücken gestützt beim Training zu. Foto: AP
Michael Ballack hätte gerne bei den Trainingseinheiten auf Sizilien mitgemachtBild: picture alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Erst ein Trainingslager zur Regeneration auf Sizilien, jetzt eines in Südtirol. Olaf Thon, Sie gehörten zur Weltmeister-Mannschaft 1990, haben selbst solche Trainingslager vor WM-Turnieren mitgemacht. Was bringen die eigentlich?

Olaf Thon: Das ist ja jetzt eine Weiterentwicklung, ein modernes Trainingslager mit Frauen, Freunden, Verwandten, was auch immer, um die Saison ein bisschen abzuschütteln. Aktive Erholung, das ist natürlich schön, wenn man so etwas nutzen kann. Das hätte ich auch gerne gemacht, aber ich bin zu früh geboren. Ich war ja auch 1986 bei der WM in Mexiko und 1998 in Frankreich dabei. Also ich finde das toll, was sich Jogi Löw mit seinem Team alles einfallen lässt.

Plaudern Sie mal aus Ihrem persönlichen Nähkästchen. Geht es bei diesen Trainingskicks auch mal richtig zur Sache, z.B. wenn Spieler sich Hoffnungen auf einen Stammplatz machen oder um ihn fürchten?

Deutsche Spieler, darunter Pierre Littbarski, bejubeln im WM-Finale 1990 den Elfmeterhelden Andreas Brehme. Foto: AP
Littbarski (r.), Weltmeister von 1990Bild: AP

Absolut. 1986 in Mexiko habe ich nicht von Anfang an gespielt. Im Training habe ich alles versucht. Wenn ich an meine direkten Konkurrenten denke: Pierre Littbarski hat mir mehrmals den "Scheibenwischer" gezeigt, was denn mit mir los sei. Ich habe ihm gesagt: Ich möchte ins Team und ich gebe alles. Es ist natürlich klar, dass ein Spieler, der Stammspieler und fast zehn Jahre älter ist, einem jungen Spieler wie mir sagt: Junge, so geht es nicht. Da gibt es Reibereien oder auch Kopfballduelle mit Karl-Heinz Rummenigge, mit denen ich versucht habe, gerade am Anfang meiner Karriere auf mich aufmerksam zu machen. Franz Beckenbauer (Anm. der damalige Teamchef der Nationalmannschaft) hat mich auch immer unterstützt und gut gefunden, dass ich mich zu hundert Prozent einsetze. Das ist ja auch das, was man oft bei jungen Spielern vermisst, dass sie sich zu tausend Prozent einsetzen, wenn es um eine Weltmeisterschaft oder einfach nur um einen Wettkampf geht. Das möchte ich bei der WM gerade von Spielern wie Lukas Podolski sehen, dass sie sich zerreißen für Deutschland.

Dieses erste Trainingslager auf Sizilien wurde von der Hiobsbotschaft der schweren Verletzung Michael Ballacks überschattet. Was bedeutet sein WM-Aus für die deutsche Mannschaft?

Philipp Lahm bei einem Zweikampf im WM-Qualifikationsspiel in Russland. Foto: AP
Führungsspieler LahmBild: AP

Am Anfang haben wir alle gesagt, da brauchen wir gar nicht mehr zur WM zu fahren. Aber das wäre natürlich vermessen und unklug. Weil wir eine sehr gute Nationalmannschaft haben, hängt es nicht an einem. Aber die Erfahrung gerade im Mittelfeld fehlt dann doch. Ob ein Sami Khedira oder andere Spieler wie Heiko Westermann oder Philipp Lahm das ausgleichen können, mag ich bezweifeln. Wir sind durch den Ausfall von Michael Ballack nicht besser geworden, sondern eher schlechter. Als er noch gesund war, habe ich mir ausgemalt, er könnte mit Bastian Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld spielen, um dann ab und zu nach vorne zu gehen und mit seiner Kopfballstärke, mit seinem guten Schuss aus der zweiten Reihe erfolgreich zu sein. Das ist jetzt alles hinfällig. Das heißt auch für Jogi Löw, neu zu überdenken: Wen kann ich jetzt dazuholen? Torsten Frings ist kein Thema mehr. Das haben Löw mit seinem Team auf der einen Seite und auch Frings gesagt. Für mich ist Philipp Lahm der erste Anwärter für diesen Posten neben Schweinsteiger.

Trauen Sie Philipp Lahm zu, dass er auch die Führungsrolle übernimmt, die ein Kapitän zweifelsohne hat?

Absolut. Denn er hat auch beim FC Bayern, als es nicht so gut lief, Verantwortung übernommen, hat sich gegen den großen FC Bayern aufgelehnt, um Veränderungen herbeizuführen. Das rechne ich ihm sehr hoch an. Es zeigt auch seine Qualität, im zwischenmenschlichen Bereich ein Team voranzubringen, zu führen, als wirklich gestandener Bundesliga- und Nationalspieler voranzugehen. Ich sehe keinen besser geeigneteren Mann als ihn. Wenn wir ihm z.B. Miroslav Klose gegenüberstellen, der sicherlich seine Verdienste und auch eine große Erfahrung hat, aber nicht im Team gesetzt ist und auch keine gute Saison beim FC Bayern gespielt hat. Deshalb scheidet er absolut aus. Ein Kapitän der deutschen Nationalmannschaft muss immer gesetzt sein. Und das ist Klose nicht. Philipp Lahm wäre das, daher ist er meine Nummer eins.

Die Fragen stellte Stefan Nestler
Redaktion: Joachim Falkenhagen.