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Pfingsten beim Tischgebet

8. Juni 2014

Feuerzungen und Reden vor einer Menschenmenge, so wird Pfingsten dargestellt. Aber es muss gar nicht so dramatisch sein. Klaus Möllering erzählt für die evangelische Kirche, dass das auch beim Tischgebet geschehen kann.

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Pfingstdarstellung im Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg
Pfingstdarstellung im Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg (um 1180)Bild: gemeinfrei

Zu schön, um wahr zu sein

Plötzlich kommt ein Brausen vom Himmel, und die Jünger Jesu, die zuvor ängstlich beieinanderhockten, können in vielen Sprachen verständlich zu aller Welt von ihrem Glauben sprechen – in Jerusalem, beim ersten Pfingstfest. So schön diese Geschichte klingt, wie der Heilige Geist zu Pfingsten über alle kam – mir kam dieses Wunder eigentlich immer zu schön vor, um wahr zu sein.

Ein Abendessen in Amerika

Gerade als Jugendlicher erlebte ich doch immer wieder: Glauben gehörte in die Kirche – und da hatte er seine feste Form; fremde Sprachen brauchten enorm viel Anstrengung, bis man sich damit wirklich verständigen konnte; und andere Länder hatten so andere Sitten, dass die Grenzen zwischen Kulturen und Völkern oft unüberwindbar erschienen. Das hatte ich besonders intensiv zu Beginn meines Austauschjahres in den USA erlebt. Da hatte es bald so viel Ärger mit der amerikanischen Gastfamilie gegeben, dass ich in eine andere Familie wechseln musste. Bei Johnstons in Cincinnati lief es besser zwischen uns. Eigentlich war dort ein südkoreanischer Austauschschüler vorgesehen gewesen. Aber als der sich verspätete, nahmen sie eben mich auf. Und als Chansoo dann doch noch kommen durfte, auch noch ihn. „Wo Platz für einen ist, ist auch Platz für zwei“, war ihre gastfreundliche Überzeugung. So kamen Chansoo und ich zusammen.

Und dann kam, irgendwann in jedem Herbst, der Tag, an dem ich durch ihn zum ersten Mal etwas mehr begriff von Pfingsten. Von dem Geist, der hilft, sich über alle Grenzen von Sprache, Kultur und Tradition hinweg zu verstehen. Diese Grenzen merkte ich zwar schon an mir selbst - so vieles in Cincinnati war anders als zuhause. Aber noch deutlicher merkte ich das an Chansoo, dem noch viel mehr ungewohnt war. Beide waren wir, er aus Asien, ich aus Europa, ja fremd dort - und uns doch gerade darin ganz nah. Wie wir auch bei jenem Abendessen mit dem denkwürdigen Tischgebet erfuhren.

Es war üblich bei unserer Gastfamilie, dass reihum einer das Tischgebet sprach. Und nun war Chansoo zum ersten Mal dran. Unbeholfen kamen die ersten, bekannten Worte von ihm auf Englisch, aber jeder am Tisch merkte, wie viel Anstrengung ihn das noch kostete. Das Gebet stockte - und dann floss ihm plötzlich in einem Schwall mit vielen koreanischen Lauten und unbekannten Worten das Herz über. Nie werde ich diesen Moment vergessen, in dem Chansoo’s Züge sich lösten und er mit geschlossenen Augen in seiner Muttersprache alles, was ihm auf der Seele lag, vor Gott ausbreitete. Den Kummer, mit Englisch noch an so viele Grenzen zu stoßen; den Dank, in eine solch gastfreien Familie geraten zu sein; die Bitte, ihn darüber doch bald auch sein Heimweh vergessen zu lassen – und dennoch mancher Seufzer, wie weit weg Familie und Freunde hier waren. Und ganz gewiss hatte auch der Dank für das köstliche Essen vor uns auf dem Tisch nicht gefehlt, als dann sein „Amen“ kam.

Verständnis über Grenzen von Kulturen und Kontinenten hinweg

Wir schauten uns an - ergriffen, gerührt, verblüfft, mit einem Lächeln. Denn keiner von uns anderen konnte Koreanisch. Aber wir waren uns sicher, ob Deutscher, ob Amerikaner, wir alle am Tisch hatten genau verstanden, was Chansoo gebetet hatte. So nahe hatte uns das einander gebracht, trotz allem, was uns unterschied.

Ja – was war das, was uns da so bewegt hatte? Vielleicht so etwas wie ein Funke, der überspringt? Jedenfalls etwas Verbindendes, über alle Unterschiede hinweg. Ein besonderer Geist, dessen Wirken auch der Rest unserer oft so zerrissenen Welt weiß Gott dringend nötig hätte!

Denn dieser Geist lässt Trennendes nicht einfach wie durch ein Wunder verschwinden, sondern hält Menschen zusammen, über alle Verschiedenheit hinweg. So hat die Freundschaft zu Chansoo, ein Leben lang gehalten. Und obwohl wir in unterschiedlichen Erdteilen gelebt haben – unsere Lebenswege sind sich dennoch in manchem erstaunlich ähnlich: Beide haben wir Theologie studiert, wir sind beide Pfarrer geworden. Aber der Geist, der uns verbindet, geht offenbar noch über die Grenzen unseres Lebens hinaus.

Denn vor wenigen Wochen habe ich erfahren, dass mein Freund Chansoo ganz überraschend gestorben ist. Ich habe seinen Töchtern eine lange Mail geschrieben und darin ihren Vater und unsere lange Freundschaft gewürdigt. Die eine Tochter hat sofort geantwortet und gefragt, ob sie mich anrufen könne. Sie wolle noch so viel wie möglich erfahren über ihren Vater, der doch, so sagte sie, in ihr weiterlebe. Wenn sie demnächst anruft, dann werde ich ihr auch davon erzählen, wie Chansoo mich damals beim Tischgebet in Cincinnati etwas davon erleben ließ, was alle Christen immer wieder zu Pfingsten feiern - weltweit.

Pfarrer Klaus Möllering Berlin
Pfarrer Klaus Möllering BerlinBild: GEP

Zum Autor:

Klaus Möllering (Jahrgang 1953) arbeitet seit 2009 als Pfarrer und Seelsorger im Seniorenwohnstift Augustinum in Kleinmachnow bei Berlin. Seit vielen Jahren ist er Autor kirchlicher Radio- und Fernsehsendungen. Denn er war ab 1986 zunächst acht Jahre als evangelischer Beauftragter beim WDR tätig, danach zwölf Jahre als Beauftragter für Deutschlandradio und Deutsche Welle. Von 2007 bis 2008 leitete er in Berlin die Evangelische Medienakademie und die Evangelische Journalistenschule. Klaus Möllering ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter.