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Essen lockt mit künstlichem Atoll

31. Mai 2010

Ruhr-Atoll heißt eines der großen Projekte in der Europäischen Kulturhauptstadt Essen. Auf dem Baldeney-See dümpeln fünf künstliche Inseln, riesige Kunstwerke zum Anfassen. Eine Reise ins Ruhrgebiet.

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Baldeneysee in Essen mit künstlichen Inseln der Ausstellung Ruhr-Atoll, Europäische Kulturhauptstadt 2010. Aufgenommen 26.05.10 (Foto: Per Henriksen Deutsche Welle)
Mit Muskelkraft den Eisberg umrundenBild: DW

Mit Tretbooten können die Besucher zu den Inseln des Ruhr-Atolls schippern. Betreten und Anfassen ausdrücklich erlaubt. Besonders Kinder finden es toll, auf den bis zu 300 Quadratmetern großen Konzept-Kunstwerken zu klettern, freut sich der Erfinder der Inselgruppe, der Aktionskünstler Norbert Bauer. Er will Kunst zum Anfassen: "Das ist immer für mich so ein ganz wichtiger Aspekt. Der geht hier auch voll wieder auf, wenn ich die Kinder sehe, wie die auf der Insel rumturnen, wie die die Mausefalle suchen, die wir irgendwo auf der Insel versteckt haben. Ich finde, Kunst sollte und darf auch immer Spaß machen. Ich bin nicht bereit, dass immer so bierernst zu nehmen."

Norbert Bauer, Künstler (Foto: DW/Per Henriksen)
Norbert Bauer, geistiger Vater des AtollsBild: DW

Vom Stauwehr des sechs Kilometer langen Baldeney-Stausees blickt der Spaziergänger Johannes Limbeck versonnen auf die Inseln, die einen Eisberg, ein gestrandetes U-Boot, ein Teehaus und eine rostiges Wasserwerk darstellen: "Inwiefern die jetzt von großer öffentlicher Bedeutung sind, kann ich nicht sagen. Aber es ist mal interessant hier oben zu stehen und auf dem Baldeneysee etwas anderes zu sehen als Bötchen."

Nicht immer nur Boote gucken

Johannes Limbeck ist einer von drei Millionen Besuchern, die jedes Jahr einen Ausflug zum Ruhr-Stausee in Essen-Baldeney machen. Diese zufälligen Besucher will Konzept-Künstler Norbert Bauer mit dem Ruhr-Atoll erreichen. Kunst gehöre nicht ins Museum, meint Bauer. "Kunst muss man anfassen. Ich erreiche die Menschen, die nicht ins Museum gehen." Im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt 2010, die Essen und weitere 52 Städte im Ruhrgebiet bilden, konnte das Projekt Ruhr-Atoll mit Hilfe von Sponsoren verwirklicht werden. Ein alter Traum von Norbert Bauer: „Ich bin mehrere Marathonläufe gelaufen. Und irgendwann in diesem Trainingsprogramm waren es dann irgendwelche Endorphin-Ausschüttungen, die mich veranlasst haben, diese Bilder zu sehen. Das ist jetzt etwa 15 Jahre her." Vor fünf Jahren lud Bauer Konzeptkünstler ein, ein Modell für eine Insel zum Thema "Energie und Bewegung" zu entwickeln. Mit einem Kuratorium suchte er 24 Inselmodelle aus, von denen aus finanziellen Gründen nur fünf tatsächlich gebaut wurden.

Schrille Insel: "Projekt zur Rettung der natürlichen Ressourcen" von Ilya Kabakov (Foto: DW/Per Henriksen)
Schrille Insel: "Projekt zur Rettung der natürlichen Ressourcen" von Ilya KabakovBild: DW

Eisberg und absurdes Theater

Der künstliche Eisberg, an dem auch ein Polarforscher mitgearbeitet hat, thematisiert den Klimawandel. Im Innern sind Geräusche verschiedener Klimaphänomene zu hören. Nachts hallen Donnergrollen und Meeresrauschen über den stillen und spiegelglatten Baldeneysee im grünen Ruhrtal. Aus dem See ragt der grau-schwarze Turm eines gestrandeten U-Bootes. Die Waffe soll die Konflikte und Kriege um Energieressourcen darstellen, erklärt Holger Krüssmann, Sprecher von Ruhr-Atoll. "Aber den Effekt, den wir haben, wenn wir dieses Objekt betreten, ist, dass die Waffe durch die Gestaltung innendrin zu einem Kapellchen wird, quasi zu einem Kirchenraum wird in seiner Anmutung", sagt Holger Krüssmann. Denn der Schriftzug "Ich kann, weil ich will, was ich muss“ durchbricht den U-Boot-Turm. Er ist mit Pressebildern beklebt, die in einer Art Kirchenfenster-Optik angeordnet sind.

Lieblingsobjekt von Atoll-Erfinder Norbert Bauer ist die Insel "Projekt zur Erhaltung der natürlich Ressourcen", die der weltbekannte russische Aktionskünstler Ilya Kabakov entworfen hat. Die Kabakov-Insel sei eigentlich ein Stück Absurdistan erzählt Norbert Bauer strahlend. Sein Freund Kabakov habe die ganze Diskussion um Erneuerbarkeit und Nachhaltigkeit ins lächerliche Gegenteil verkehrt. Schnaufend, quietschend wird Wasser durch rostige Leitungen und Kessel gepumpt: "Das durchläuft dann eine Reihe völlig abstruser Filter, wird durch Windenergie und Dieselmotor angetrieben, durchläuft dann ein Laboratorium, was gar keines ist, und fließt dann wieder ungefiltert in die Ruhr zurück. Ich habe mich da erinnert gefühlt an absurde Maschinen. Es hat mir unglaublichen Spaß gemacht, das mit einem Maschinenschlosser umzusetzen. Da waren schon auch Spiel und Spaß dabei so ein bisschen", bekennt Norbert Bauer.

Unterseeboot von innen: Pressebilder werden zu Kirchenfenstern (Foto: DW/Per Henriksen)
Unterseeboot von innen: Pressebilder werden zu KirchenfensternBild: DW

Kunst steht zum Verkauf

Der Pressesprecher von Ruhratoll, Holger Krüssmann, hat diese Deutung für die Kabakov-Insel parat: "Das Projekt zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen ist von einer so wunderschönen Ironie, denn es klopft und klappert und dreht sich. Trotzdem wird nichts anderes getan, als Wasser von links nach rechts zu schöpfen."

Am Ende des Jahres, wenn Essen nicht mehr Kulturhauptstadt ist, sollen die Inseln vom Baldeneysee auf andere Gewässer geschleppt werden. Die Kunst im Öffentlichen Raum soll weiter sichtbar sein. Norbert Bauer sucht Käufer für die Objekte. Die absurde Insel von Kabakov soll rund 300 000 Euro kosten.

Autor: Bernd Riegert
Bilder: Per Henriksen
Redaktion: Gero Rueter