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Pendler zwischen den Kulturen

Suzanne Cords25. Juni 2014

Vor 20 Jahren folgte der Inder Sanjay Mathur dem Ruf der Humboldt-Stiftung nach Deutschland. Heute leitet er an der Kölner Uni den Lehrstuhl für Chemie und ist gleichzeitig internationaler Botschafter der Hochschule.

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Sanjay Mathur (Foto: DW/ Suzanne Cords)
Bild: DW/S. Cords

Fast hätte es damals nicht geklappt mit dem Stipendium. Denn als die frohe Botschaft an der Universität von Jaipur eintrudelte, hatte Sanjay Mathur schon einen Job in der Industrie in Neu Delhi angenommen – und erfuhr erst einmal nichts davon, dass die Alexander von Humboldt-Stiftung ihn als Stipendiaten angenommen hatte. Ein Kollege hatte den Brief ungeöffnet zur Seite gelegt und vergessen. Erst Monate später erreichte das Schreiben den rechtmäßigen Adressaten, und der konnte sein Glück kaum fassen. "Die Stiftung hat einen exzellenten Ruf in Indien. Alle Forscher in meiner Heimat träumen davon, dort einen Platz zu bekommen", sagt Sanjay Mathur.

Rückkehr verschoben

Man schrieb das Jahr 1994, als Sanjay Mathur sich nach Saarbrücken aufmachte. Dort widmete er sich an der Universität des Saarlandes nicht nur der Chemie, sondern vor allem erst einmal der deutschen Sprache. Als Postdoktorand hatte er wenig Zeit für einen Sprachkurs, aber seine Gastgeber empfahlen ihm, an Übungen und Seminaren auf Deutsch teilzunehmen. "Dieses Hören und Verstehen in der Praktikumszeit hat mir enorm geholfen", erinnert er sich.

Den Sprung in die unabhängige Welt der Wissenschaft schaffte Mathur, als er als Mitverantwortlicher eines Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft angeworben wurde. "Erst dadurch habe ich eine Doktorandenstelle bekommen, und meine deutschen Kollegen rieten mir zu habilitieren." Das war natürlich nicht in ein paar Monaten zu schaffen, und so verschob Sanjay Mathur die Rückkehr nach Indien auf unbestimmte Zeit.

Die Universität von Kalkutta (Foto: DW/Prabhakar Mani Tewari)
Auch die Uni von Kalkutta würde Professor Mathur gern abwerbenBild: DW/Prabhakar Mani Tewari

Am Leibniz-Institut für neue Materialien bekam er als frischgebackener Professor später ein Mandat als Gruppenleiter - und wieder fiel seine Entscheidung für Deutschland aus, trotz verlockender Jobangebote aus der Heimat. "98 Prozent der Stipendieninhaber kehren zurück, aber bei mir war die berufliche Entwicklung einfach zu rasant", so Mathur. "Ich wollte mir die Möglichkeiten nicht entgehen lassen, die sich mir in Deutschland boten."

"Ein Stück Internationalität"

2006 kam der Ruf an die Uni Würzburg, doch in Saarbrücken setzte man alles daran, den Professor für Anorganische Chemie zu halten. Sogar der damalige Wirtschafts- und Arbeitsminister des Saarlands, Hanspeter Georgi, mischte sich ein und bat den Inder: "Bleiben Sie uns erhalten, mit Ihnen verbinden wir ein Stück Internationalität."

Extra für Sanjay Mathur wurde ein Doppelmodell eingeführt, das es ihm ermöglichte, seine Abteilung in Saarbrücken weiterzuführen und gleichzeitig eine Professur an der Uni Würzburg anzunehmen.

Der Politiker Hanspeter Georgi (Foto: Wikipedia)
Der Politiker Hanspeter Georgi setzte sich für Mathurs Verbleib im Saarland einBild: cc-by-sa/EPei

2009 allerdings nahm er dann endgültig seinen Hut und wechselte nach Köln, wo er den Institut für Anorganische Chemie leitet und wichtige Forschungsreihen im Bereich erneuerbare Energien durchführt. In seinem Fach gilt Sanjay Mathur international längst als Koryphäe, und noch heute versuchen indische Universitäten regelmäßig, ihn abzuwerben. Doch das ist für ihn keine Alternative.

Botschafter der Uni

"Ich fühle mich einfach hier im System zuhause, habe meine Netzwerke hier, meine Kontakte. Ich kann aus Deutschland viel mehr für Indien tun, als wenn ich in Indien wäre", ist er überzeugt.

Seine früheren Kommilitonen und Kollegen aus Jaipur sind längst selbst aktive Forscher und leiten in seiner alten Heimat namhafte Institute. "Diese langjährigen persönlichen Kontakte erleichtern die Zusammenarbeit", so Mathur. Die Universität zu Köln hat in Indien sogar ein Büro eröffnet, und der Professor wurde als Internationaler Botschafter berufen. "Diese Ernennung bedeutet mir sehr viel, weil es mir die Möglichkeit gibt, meine bikulturelle Identität wahrzunehmen", betont er.

So vertritt er seine deutsche Uni, steigert ihren Bekanntheitsgrad und arbeitet an einem Fahrplan, um die gemeinsamen Aktivitäten und Partnerschaftsnetzwerke mit hochrangigen Hochschulen in Indien zu intensivieren. Deshalb stehen regelmäßig Workshops und Seminare auf seiner Agenda, in denen es um das Thema Internationalisierung geht. "Als Wissenschaftler spielt die Mobilität eine enorm große Rolle, weil die Projekte immer internationaler werden und die Forschung sehr interdisziplinär ist", weiß Mathur. Er selbst beschäftigt in seinem Fachbereich an der Uni Köln Mitarbeiter aus 13 verschiedenen Ländern.

Alumnus Sanjay Mathur

Austausch ist längst Standard

Wissenschaftler aus aller Welt arbeiteten schon vor 150 Jahren zusammen, so der Professor, doch in Zeiten der Globalisierung und des Internets sei das zunehmend einfacher geworden – und selbstverständlicher. Früher sei niemand freiwillig als Wissenschaftler für ein paar Monate nach Indien gegangen, berichtet Sanjay Mathur, da habe man viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. "Heute ist das ganz anders, der Austausch rund um den Globus ist längst Standard geworden."

Und so ist der Chemiker nicht nur häufig zu Gast in Indien, sondern organisiert auch Symposien in den USA und hat Gastprofessuren an zwei Universitäten in China inne. Doch naturgemäß liegt ihm seine Heimat besonders am Herzen; im Rahmen der alljährlichen Kölner Indienwoche ist Sanjay Mathur an vorderster Front mit dabei und organisiert Kolloquien - zum Beispiel zum Thema, wie Ausländer Karriere und Familienleben in Deutschland erfolgreich unter einen Hut bringen können.

Tipps vom Experten

Überhaupt gibt er seinen Landsleuten regelmäßig wichtige Tipps, zum Beispiel nicht den gleichen Bewerbungsbrief an 100 Professoren zu schreiben und alle mit "Dear Sir" anzureden, egal ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. "So etwas kommt in Deutschland überhaupt nicht gut an", weiß Mathur aus Erfahrung. Er selbst kennt sich als Dauerpendler zwischen den Kulturen längst mit den Regeln aus. Deutschland ist seine zweite Heimat geworden und vieles, was er hier schätzt, würde er gern nach Indien exportieren: die Transparenz und Ruhe des Hochschulsystems zum Beispiel oder die Förderung des Nachwuchses. Seine Zukunft sieht der rührige Professor auf alle Fälle gelassen - und global.

Indienwoche 2014 in Köln
Bei der Kölner Indienwoche trifft der Professor viele LandsleuteBild: Ruth Heap