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Sierens China

Frank Sieren25. Juni 2014

Die neue Irak-Krise ist für China bedrohlicher als für die USA, meint DW-Kolumnist Frank Sieren. Denn China hat in den vergangenen Jahren viel im Irak investiert und ist auf das Öl von dort angewiesen.

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Öl Irak
Das Halfaya-Ölfeld im Süden des Irak, das von der China National Petroleum Corporation im Verbund mit Total (Frankreich) und Petronas (Malaysia) ausgebeutet wird.Bild: Getty Images

Bislang konnte man den Chinesen zur ihrer Strategie im Irak nur gratulieren. Ohne auch nur einen Soldaten in das Zweistromland geschickt zu haben, ist Peking der Gewinner der beiden Irak-Kriege. Amerika hingegen hat sich dort nur aufgerieben. Fast 4.500 amerikanische Soldaten sind allein im jüngsten Irak-Krieg umgekommen, darüber hinaus über 100.000 Zivilisten. 79 Milliarden US-Dollar hat der Krieg gekostet. Die Kriegsdividende hingegen blieb bis heute aus.

China beherrscht die irakische Öl-Produktion

Denn obwohl man es vielleicht vermuten würde, sind inzwischen nicht amerikanische Firmen die neuen Herren über die Ölfelder des Landes, was ja auch der damalige amerikanische Präsidenten Georg W. Bush gehofft hatte. Doch nachdem die GIs den Irak erobert und acht Monate später Saddam Hussein, den irakischen Diktator, aus seinem Erdloch gezogen hatten, kam alles anders: PetroChina war der erste ausländische Konzern, der nach dem Sturz von Hussein eine Förderlizenz im Irak erhielt. Danach schnappten die Chinesen den US-Unternehmen mit deutlich günstigeren Angeboten die Förderrechte für ein Ölfeld nach dem anderen vor der Nase weg.

Mittlerweile beherrschen die Chinesen rund 50 Prozent der Ölproduktion des Landes. Die drei mit Abstand größten Ölfelder Rumaila, Halfaya und West-Qurna werden von den Chinesen oder im Joint Venture mit nicht-amerikanischen Firmen betrieben. Die demokratisch gewählte irakische Regierung konnte es sich einfach nicht leisten, Konzessionen zu machen, angesichts der antiamerikanischen Stimmung im Land. Und so warteten die Amerikaner vergeblich darauf, dass sich die irakische Regierung dafür erkenntlich zeigte, dass die Weltmacht sie in die Lage versetzt hatte, die Wahlen zu gewinnen. Enttäuscht zog sich Washington Ende 2011 zurück und überließ den Chinesen, die stets die günstigeren Angebote machen konnten, das Ölgeschäft. Inzwischen ist China der größte Investor im Irak. 80 Prozent des irakischen Öls geht nach China.

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DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

ISIS-Vormarsch macht Peking nervös

Nun, da die ISIS-Truppen auf Bagdad zustürmen und auf dem Weg dorthin schon in vielen Städten ihre schwarze Flagge gehisst und Scharia-Gerichte eingeführt haben, wird auch Peking nervös. Die von den Chinesen betriebenen Ölfelder ganz im Süden des Landes sind zwar noch weit von dem Einflussgebiet der ISIS-Truppen entfernt, Auswirkungen auf Chinas Ölgeschäft hat der Blitzkrieg der Gotteskrieger aber schon jetzt. Kurzzeitig hatten die Kämpfer vergangene Woche bereits die größte Raffinerie des Landes in der Stadt Baidschi unter ihre Kontrolle gebracht. Die Ölfelder im Süden mussten daraufhin ihre Produktion herunterfahren, weil weniger Öl nachgefragt wurde.

Auch die ISIS-Kämpfer haben also die strategische Bedeutung der Ölfelder und Raffinerien erkannt. Denn auch das eigene Kalifat, von dem die Radikalen träumen und das dort entstehen soll, wo heute noch Syrien und der Irak offiziell ihre Grenzen ziehen, kann nicht allein davon überleben, täglich fünfmal Richtung Mekka zu beten.

Ungestörte Ölförderung ist fraglich

So unübersichtlich die Lage zurzeit auch ist: Dass chinesische Firmen in den nächsten Monaten oder sogar Jahren im Irak ungestört Öl fördern können, ist sehr unwahrscheinlich. Denn auch die neuen 300 amerikanischen Militärberater können wenig ausrichten, wenn der irakische Präsident Nuri al-Maliki die Sunniten und Kurden weiterhin ausgrenzt. Und politische Alternativen zu ihm sind derzeit nicht in Sicht. Gleichzeitig will Washington sich nicht wieder in einen Bodenkrieg hineinziehen lassen.

Die Chinesen haben also allen Grund sich Sorgen zu machen. Kurzzeitige Förderausfälle lassen sich zwar verkraften. Langfristig brauchen sie aber das irakische Öl. Bis 2030 werden sie 800 Millionen Tonnen Öl pro Jahr verbrauchen. Zwei Drittel müssen importiert werden.

Politik der Nicht-Einmischung steht auf dem Prüfstand

Insofern steht die Alltagstauglichkeit von Chinas Außenpolitik zur Debatte. Vergangenen Sonntag (22.06.) überbrachte der chinesische Botschafter in Bagdad, Wang Yong, der irakischen Regierung die Botschaft aus Peking, dass man die Maßnahmen der irakischen Regierung unterstütze, die "Sicherheit im Land wieder herzustellen" und eine Reihe irakischer Städte "wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen." Dafür musste ein Vertreter der irakischen Regierung allerdings versprechen, dass die Regierung alles tun werde, um die "Sicherheit der Botschaftsmitarbeiter und der ausländischen Arbeiter" zu garantieren. Rund 10.000 Chinesen arbeiten im Irak. Das wird nicht reichen, um Chinas Interessen zu schützen.

Die große Frage der nächsten Jahre wird sein, ob die Strategie, sich auf das Geschäft zu konzentrieren und sich ansonsten aus den inneren Angelegenheiten eines Landes herauszuhalten, funktioniert, wenn man es mit religiös motivierten Fanatikern zu tun hat. Das gilt nicht nur für den Irak, sondern auch für Libyen und vor allem Afghanistan, wo Peking künftig nicht nur mit der Regierung, sondern auch mit den Taliban sprechen muss.

China und USA einig im Ziel

Im Irak jedoch ist die Lage viel komplexer: Denn al-Maliki wird nicht nur von den USA, sondern gleichzeitig auch vom Iran unterstützt, dessen engster Verbündeter wiederum Peking ist. Al-Malikis Gegner, die syrischen Dschihadisten, wurden von den arabischen Öl- und Gasoligarchen mitfinanziert. Zu ihnen hält Peking ebenfalls enge Kontakte. Noch im Mai hat Peking mit den Saudis einen Vertrag über die Lieferung chinesischer Drohnen vereinbart. Amerikanische ScanEagle-Drohnen für das irakische Militär sind bereits zugesagt. Dass nun im Irak amerikanische und chinesische Drohnen erstmals aufeinander treffen, ist also durchaus wahrscheinlich. Und das, obwohl beide Lieferanten das gleichen wollen: Einen berechenbaren stabilen Irak.

Unser Kolumnist Frank Sieren gilt als einer der führenden deutschen China-Spezialisten. Er lebt seit 20 Jahren in Peking.