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Peking verschärft die Spannungen

Matthias von Hein 8. März 2005

China droht Taiwan für den Fall der Unabhängigkeitserklärung offen mit Krieg. Deshalb sollte die EU die geplante Aufhebung des Waffenembargos verschieben, schreibt Matthias von Hein.

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Die Taiwan-Straße macht ihrem Ruf als Krisenherd wieder einmal alle Ehre. Schuld daran ist ein chinesischer Gesetzentwurf, der festschreibt, was schon lange offizielle Politik ist: Schon seit Jahren droht Peking Taipei für den Fall einer formellen Unabhängigkeitserklärung mit Gewalt. Das Gebot der Wiedervereinigung findet sich zudem an prominenter Stelle der Verfassung. Es bleibt also das Geheimnis der Pekinger Führung, warum sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit dem jetzt im Nationalen Volkskongress vorgestellten Anti-Abspaltungsgesetz die Spannungen anheizt. Denn der Gesetzentwurf passt derzeit nicht in die politische Landschaft.

Anders als noch vor einem Jahr ist das Klima an der Taiwan-Straße zuletzt von Tauwetter geprägt gewesen. Die ersten Direktflüge zwischen Taiwan und dem Festland sind Zeichen dieser Entwicklung und auch, dass die taiwanesischen Wähler klug genug waren, ihrem nach Unabhängigkeit strebenden Präsidenten Chen Shui-Bian bei den Parlamentswahlen im vergangenen Dezember einen Dämpfer zu verpassen. Da verhalfen sie erneut der im Bezug auf das Festland konzilianteren Opposition zu einer Mehrheit. Zudem hat die US-Regierung der taiwanesischen Führung unmissverständlich klar gemacht, dass sie eine einseitige Änderung des Status Quo an der Taiwan-Straße nicht dulden würde.

Florierende Wirtschaftsbeziehungen

Nicht zu vergessen ist, dass an dem Krisenherd Taiwan-Straße schon lange kein Blut mehr geflossen ist - dafür aber gewaltige Warenströme und Investitionen. Schätzungen gehen von bis zu 100 Milliarden US-Dollar aus, die taiwanesische Unternehmen auf dem Festland investiert haben. Die Volksrepublik ist bereits jetzt Taiwans größter Handelspartner und rund eine Million Taiwanesen leben dauerhaft auf dem Festland.

Möglicherweise hat sich Peking in den Fäden der eigenen Propaganda verfangen. Auch wenn in China ein Ein-Parteien-Regime regiert, kann es sich im derzeit rhetorisch aufgeheizten Klima keine Führung erlauben, gegenüber Taiwan als schwach zu erscheinen. Immerhin wurde bei der Vorlage des Gesetzentwurfes ausdrücklich betont, man strebe mit aller Kraft nach der friedlichen Wiedervereinigung, Gewalt sei nur das allerletzte Mittel. Doch der Gesetzentwurf enthält eben auch praktische Regelungen. Etwa die, dass Kabinett und Militärkommission über einen Militäreinsatz entscheiden dürfen. Der Volkskongress - nominell immerhin das höchste Verfassungsorgan - muss erst nachträglich informiert werden. "Erst Krieg führen - dann berichten" heißt das auf Chinesisch.

Taiwanesische Trotzreaktion

In einer Art Trotzreaktion hat der taiwanesische Premierminister Frank Xie bereits erklärt, sich angesichts des Anti-Abspaltungsgesetzes für eine Änderung der Verfassung einzusetzen. Die Änderung der Verfassung aber wäre gerade eine der Handlungen, die nach Pekinger Lesart einen Waffengang nach sich zöge - ein sicherheitspolitischer Alptraum. Denn nach einem Eingreifen von Taiwans Schutzmacht USA stünden sich dann zwei Atommächte auf dem Schlachtfeld gegenüber.

Für die Europäer kann dies nur bedeuten, die geplante Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Und sowohl Taipei als auch Peking sollten den jüngst von amerikanischer Seite ins Spiel gebrachten Vorschlag aufnehmen, ein vorläufiges Abkommen zu schließen: Demnach würde Taiwan für die nächsten 15 bis 20 Jahre alle Bestrebungen aufgeben, die formelle Unabhängigkeit zu erlangen. Peking würde im Gegenzug auf die Androhungen militärischer Gewalt verzichten. Auch wenn der Status Quo für beide Seiten Unbequemlichkeiten mit sich bringt - er ist viel zu wertvoll, um durch Machtpolitik aufs Spiel gesetzt zu werden.