Peinliche Pannen bei der deutschen Polizei
4. April 2012Der Fahndungserfolg scheint auf den ersten Blick beeindruckend. Nur eine Woche nachdem in der norddeutschen Hafenstadt Emden ein elfjähriges Mädchen in einem Parkhaus ermordet wurde, präsentierte die Polizei den mutmaßlichen Täter und dessen Geständnis. Doch von einem Ermittlungserfolg will inzwischen keiner mehr sprechen. Im Gegenteil. Der "Fall Lena" könnte in Deutschland zum Synoynm für behördliches Versagen werden, denn der junge Mann war der Polizei bereits lange vor seiner Festnahme einschlägig bekannt. Er hatte sich selbst pädophiler Neigungen bezichtigt, doch seine Selbstanzeige war letztlich folgenlos geblieben.
Warum hatte die Polizei nicht sofort reagiert? Die Frage, ob das Verhalten der Beamten mitverantwortlich ist für den Mord, ist noch nicht abschließend beantwortet, fest steht aber: Die ermittelnden Polizisten haben Fehler begangen. Nun wird gegen sie ermittelt.
Ein Albtraum für alle Beteiligten
Bernhard Witthaut, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, bezeichnet Pannen wie jene, die in Emden geschehen sind, als "Albtraum für jeden Polizisten". Diese würden sich nun fragen, "ob dieser Mord hätte verhindert werden können". Diese Frage wird auch in den Medien diskutiert. Vor allem Boulevard-Blätter sparen nicht mit Schuldzuweisungen, als seien alle Fragen schon geklärt. Weder, was einen lediglich Verdächtigen anbelangt, noch in Bezug auf die Arbeit der Polizei.
Vorsicht vor einer weiteren Vorverurteilung
Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, der renommierte Jurist Christian Pfeiffer, wies in einem Interview mit der ARD darauf hin, dass auch die Fehler der Polizei erst genau untersucht werden müssen. Dass die Selbstanzeige des jungen Mannes nicht ernst genug genommen wurde, sei wohl ein Fehler gewesen, aber dennoch, so Pfeiffer, könne man nicht einfach behaupten, er wäre andernfalls "in Untersuchungshaft gekommen und Lena würde noch leben".
Andererseits sieht Pfeiffer durchaus ein schwerwiegendes Fehlverhalten bei der Polizei. Wenn die Beamten den Jungen ernst genommen und sich intensiver um ihn gekümmert hätten, "dann hätte etwas in Gang kommen können, das die ganze Geschichte gedreht hätte".
Kein Verständnis für die Tatenlosigkeit
Rudolf Egg erhebt aus demselben Grund schwere Vorwürfe. Egg, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle von Bund und Ländern, ist ebenfalls der Ansicht, dass die Behörden auf die Selbstanzeige des jungen Mannes anders hätten reagieren sollen. Wenn jemand zur Polizei ginge, sich pädophiler Neigungen beschuldige und sage, er wolle dem ein Ende setzen, müsste die Polizei dem gezielt nachgehen, so Egg. Die Beamten müssten sich etwa nach einer möglichen Therapie erkundigen – das sei aber nicht geschehen. In einem Fernsehinterview sagte Egg: "Man kann so jemanden nicht einfach wieder gehen lassen". Dass ein Hausdurchsuchungsbeschluss gegen den mutmaßlichen späteren Kindsmörder nicht vollzogen worden ist, kann Rudolf Egg nicht nachvollziehen. "Das kann schon mal ein paar Tage dauern, in der Regel würde man das aber unverzüglich machen".
Immer wieder Pannen
Die Liste von Ermittlungspannen bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen ist lang. Gerade in jüngster Zeit sind mehrere zweifelhafte Vorgänge bekannt geworden. Bei der Jagd auf den "Maskenmann", einem pädophilen Gewalttäter aus Norddeutschland, waren Akten vorzeitig vernichtet worden. Die Strafverfolgung wurde so erheblich behindert.
Bei der Aufklärung der Straftaten der rechtsextremen "Zwickauer Terrorzelle" wurde im Nachhinein bekannt, dass deren Mitglieder schon lange im Visier der Ermittler gestanden hatten, aber den Fahndern entwischen konnten. Sie konnten untertauchen und in der Folge vermutlich mindestens zehn Menschen ermorden.
Die hier aufgezählten Kriminalfälle haben etwas gemeinsam. Ob es sich um rassistische Straftaten handelt oder um Verbrechen, denen Kinder zum Opfer fallen: Die Öffentlichkeit nimmt an solchen Fällen großen Anteil. Die mediale Begleitung der Aufklärungs- und Ermittlungsarbeit setzt die Behörden dabei unter zusätzlichen Druck.
Wer ermittelt gegen den Ermittler?
Halten die Beamten diesem Druck nicht stand oder begehen aus anderen Gründen schwere Fehler, wird ihr Verhalten untersucht, die Ermittler werden selbst zum Gegenstand von Ermittlungen. Eine übergeordnete Behörde ordnet dann an, dass das Verhalten von Staatsanwaltschaft und Polizei untersucht wird.
In den Augen mancher Beobachter haben solche Untersuchungen aber einen Schönheitsfehler, sozusagen eine "gefühlte" Unverhältnismäßigkeit. Ermittelt wird in der Regel in Fällen, in denen ein mutmaßliches Fehlverhalten von Polizei und Staatsanwaltschaft zu schwerwiegenden Folgen geführt hat. Im Fall von Lena aus Emden zu ihrem tragischen Tod. Das Fehlverhalten der Beamten hat aber in der Regel nur disziplinarische Folgen, wie einen Beförderungsstopp oder die Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz. Es sei denn, die Beamten wären selbst straffällig geworden, hätten gegen Gesetze verstoßen.
Schnelle Aufklärung ist nötig
Die jetzt im Zentrum der Ermittlungen stehenden Behörden haben ein ureigenes Interesse an der schnellen Aufklärung aller Vorwürfe. Gerade die Polizei muss befürchten, in den Augen der Öffentlichkeit an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Bernhard Witthaut, sagte am Mittwoch (04.04.12), er sei "zutiefst überzeugt“, dass die Untersuchungen mit aller Gründlichkeit geführt werden und fügte hinzu: "Meine Kollegen in ganz Deutschland fragen sich, ob dieser Mord zu verhindern gewesen sei."