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Pech für tschetschenische Flüchtlinge

Miodrag Soric19. Januar 2004

Der Europarat hat am Wochenende (17./18.1.) angekündigt, seine Präsenz in Tschetschenien drastisch reduzieren zu wollen. Es droht eine menschliche Tragödie in der Region, meint Miodrag Soric.

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Eine Lüge schleppt zehn andere nach sich. Wie oft schon hat der Kreml in den vergangenen Monaten den Krieg in Tschetschenien für beendet erklärt? Ein Dutzend Mal bestimmt. Einmal mehr verkündete am vergangenen Wochenende der für die Kaukasusrepublik zuständige Minister Stanislaw Iljassow, dass die Lage stabil sei. Folglich müssten die tschetschenischen Flüchtlinge, die zu Zehntausenden in Nachbarregionen wie Inguschetien leben, bis zum 1. März in ihre alte Heimat zurückkehren, so der Minister.

Krieg in Teschetschenien ist noch nicht vorbei

Die Wahrheit ist, dass der Krieg keinesfalls vorbei ist. Erst vor wenigen Tagen kamen elf russische Soldaten bei Kämpfen mit Rebellen ums Leben. Die Privatarmee des angeblich "gewählten" tschetschenischen Präsidenten Achmed Kadyrow verbreitet nach wie vor unter Zivilisten Angst und Schrecken. Praktisch täglich kommt es in Tschetschenien zu Geiselnahmen, Dutzende von Menschen verschwinden Monat für Monat spurlos. Morde, Vergewaltigungen und andere Verbrechen werden nicht geahndet. Hilfsgelder, die der Kreml für Tschetschenien vorgesehen hat, leiten korrupte Offiziere der russischen Armee in die eigenen Taschen um. Von einem geregelten Aufbau des Landes kann nicht die Rede sein.

Vor diesem Hintergrund ist es menschenverachtend, wenn der Kreml Zehntausende von Flüchtlingen im Winter aus provisorischen Unterkünften in Inguschetien ins benachbarte Tschetschenien treiben will. Sollte dieses Vorhaben tatsächlich in die Tat umgesetzt werden, droht eine menschliche Tragödie.

Europarat zieht sich aus "Sicherheitsgründen" zurück

Ausgerechnet in dieser Situation will der Europarat seine Beobachter aus Tschetschenien zurückziehen - aus Sicherheitsgründen, wie es heißt. Schon zuvor hatte die OSZE ihre Vertreter aus dem Kaukasus zurückgerufen. Westliche Journalisten dürfen schon lange nicht mehr Tschetschenien bereisen, dort unabhängig recherchieren. Niemand könne dort für die Sicherheit der Journalisten sorgen, verkündet der Kreml lapidar.

In Wirklichkeit will die russische Regierung keine westlichen Beobachter im Kaukasus, will keine Klagen über Menschenrechtsverletzungen hören. Sicher haben auch tschetschenische Terroristen Schuld daran, dass westliche Beobachter dem Grenzland zwischen Europa und Asien den Rücken gekehrt haben. Am Ende sind die Zivilisten, die Flüchtlinge die Dummen. Um sie kümmert sich praktisch niemand mehr, nicht der Kreml, nicht die OSZE und jetzt auch nicht mehr der Europarat

"Freie Hand" für russische Regierung

Die russische Regierung hat jetzt freie Hand, nach Gutdünken im Kaukasus zu verfahren. Ende Januar wird der amerikanische Außenminister Colin Powell Moskau besuchen. Er will das Thema Kaukaus ansprechen. Nicht einmal die größten Optimisten glauben, dass dies die Lage der Flüchtlinge ändern werde. Moskau verfolgt mit immer größerem Misstrauen, wie die USA in Georgien und in den zentralasiatischen GUS-Staaten Militärstützpunkte eröffnet. Eine neue Politik der Konfrontation zwischen Washington und Moskau bahnt sich an. Auch das wird den Flüchtlingen in und um Tschetschenien nicht helfen.