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Patriarchen mögen's nicht modern

Klaus Krämer19. Juni 2016

Bleibt die Orthodoxie gespalten? Wegen interner Streitfragen droht das erste Konzil der orthodoxen Kirchen seit 1200 Jahren auf Kreta zu scheitern. Der Streit steht auch für die zunehmende politische Spaltung Europas.

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Griechenland Vladimir Putin besucht Athos
Orthodoxe Priester in der griechischen Mönchsrepublik Athos warten auf die Ankunft von Russlands Präsident PutinBild: DW/D.Tosidis

Die orthodoxe Kirche hatte Großes vor. Vom 19. Juni an soll auf Kreta das erste Konzil seit dem Jahr 787 stattfinden. Etwa 350 Bischöfe aus den weltweit 14 eigenständigen orthodoxen Kirchen wollten sich austauschen und versuchen, in strittigen Fragen eine gemeinsame Linien zu finden. Nun haben vier Kirchen ihre Teilnahme an dem Panorthodoxen Konzil abgesagt - zuletzt die russisch-orthodoxe, mit rund 180 Millionen Gläubigen die größte orthodoxe Einzelkirche. Der Heilige Synod mit Patriarch Kyrill begründete seine Entscheidung damit, dass der Gipfel die Orthodoxie zu spalten drohe, statt sie zu einen. Professor Thomas Bremer im DW-Interview über orthodoxe Besonderheiten.

Deutsche Welle: Herr Prof. Bremer, die orthodoxe Kirche ist kein monolithischer Block – wie muss man sie sich vorstellen?

Thomas Bremer: Die orthodoxe Kirche besteht aus 14 selbstständigen Einzelkirchen. Das heißt: Jede dieser Kirchen ist für ein bestimmtes Territorium zuständig und verwaltet ihre Angelegenheiten selber. Alle verstehen sich aber gemeinsam als die eine orthodoxe Kirche.

Der Patriarch von Konstantinopel versteht sich traditionell als der Erste unter den orthodoxen Kirchenoberhäuptern. Warum gibt es zwischen den beiden wichtigsten Kirchenleitungen, dem Patriarchat von Konstantinopel und dem Patriarchat von Moskau, andauernde Schwierigkeiten?

Das kann man damit beschreiben, dass Konstantinopel seit der Antike die erste der orthodoxen Kirchen war, aber das Patriarchat von Konstantinopel heute im Land selber, der Türkei, nur noch sehr klein ist. Es gibt in Istanbul, so ja der heutige Name der Stadt, nur noch einige wenige tausend Gläubige. Dann gibt es Angehörige des Patriarchats auf den griechischen Inseln und in Teilen Griechenlands, die kirchlich zu Konstantinopel gehören. Außerdem beansprucht Konstantinopel die Jurisdiktion über die orthodoxen Gläubigen in nichtorthodoxen Gebieten. Das heißt, die Orthodoxen, die in den USA oder hier in Deutschland leben, gehören traditionell auch zum Patriarchat von Konstantinopel.

Prof. Dr. Thomas Bremer (Bild: Niina Into, Helsinki)
Thomas Bremer lehrt Ökumenik, Ostkirchenkunde und Friedensforschung am Ökumenischen Institut der Universität MünsterBild: Niina Into

Moskau ist dagegen die mit Abstand größte orthodoxe Kirche. Es gibt es rund 180 Millionen Mitglieder in Russland, Weißrussland, der Ukraine und etlichen anderen Staaten. Es gibt einige inhaltliche Auseinandersetzungen, aber im Hintergrund sind auch Fragen nach dem Vorrang innerhalb der Orthodoxie zu sehen.

Nun klingt es ja wie eine Posse: das erste orthodoxe Konzil nach über 1200 Jahren, 55 Jahre Vorbereitung, dann vor zwei Jahren die Terminierung auf 2016 und nun Boykott und die drohende Absetzung. Wie kam es dazu?

Es gab schon die Vermutung, dass es gewisse Schwierigkeiten geben könnte. Der erste Auslöser war dann die Absage des Patriarchats von Bulgarien, von Sofia vor etwa zwei Wochen. Das war überraschend, weil die Vorbereitungen in den vergangenen zwei Jahren sehr im Konsens abliefen. Alle Dokumente sind einstimmig verabschiedet worden – entweder von den Oberhäuptern der Kirchen oder von delegierten Bischöfen aus den Kirchen. Eigentlich waren alle über den Zeitplan informiert und darüber, was passieren soll. Dann klang es doch merkwürdig und überraschend, als die Bulgaren sagten, es war zu schlecht vorbereitet und wir brauchen mehr Zeit, wir sollten das Konzil verschieben. Man hat ein bisschen den Eindruck, als sei vielen gar nicht bewusst gewesen, worauf sie sich da eingelassen haben. Und jetzt, wo es real werden sollte, ist ihnen klar geworden, dass sie das doch nicht so haben wollen.

Bulgarien, Georgien, Antiochien und Russland verlangen inzwischen eine Verschiebung des Treffens. Was genau soll bei diesem Konzil besprochen, verhandelt werden?

Es gibt genau sechs Texte. Sie beziehen sich auf die Sendung der orthodoxen Kirche in der Welt von heute, auf die Beziehung zu anderen christlichen Kirchen, auf das Fasten, auf das Verständnis der Ehe, darauf wie eine Kirche die Autonomie, also eine bestimmte Stufe von Selbstständigkeit erwerben kann, und auf die Diaspora, also auf die orthodoxe Kirche in nichtorthodoxen Ländern. Diese sechs Themen sind aus einer langen Liste übrig geblieben, und nur zu diesen Themen konnte man sich im Vorfeld auf Entwürfe einigen.

Griechenland Papst Franziskus auf Lesbos mit Bartholomeos I. (Bild: Reuters/A. Konstantinidis)
Ökumene: Beim Besuch eines Flüchtlingslagers auf Lesbos traf sich Papst Franziskus im April mit dem Patriarch Bartholomaios von KonstantinopelBild: Reuters/A. Konstantinidis

Wie ist das Prozedere bei den zu besprechenden Themen?

Nur diese Entwürfe sollten diskutiert werden. Es steht ausdrücklich in der Geschäftsordnung des Konzils, dass keine anderen Themen aufgebracht werden dürfen. Es geht nur darum, diese Texte zu akzeptieren, sie zu verwerfen oder verändert zu akzeptieren. In der Geschäftsordnung steht auch, dass die Entwürfe nur einstimmig angenommen werden dürfen, das heißt: Eigentlich hat jede Kirche ein Vetorecht.

Nun haben die vier genannten Kirchen kalte Füße bekommen und sind wegen der Inhalte für eine Verschiebung. Was haben sie damit gewonnen?

Wenn das Konzil jetzt nicht stattfinden wird, weiß ich nicht, was passieren wird – ob man mit großer Energie daran arbeiten wird, es möglichst bald stattfinden zu lassen, oder ob man für längere Zeit nichts unternimmt.

Und wenn nicht?

Es gibt ja durchaus auch Orthodoxe in den westlichen Gesellschaften. Es gibt in den USA eine lebhafte Diskussion von orthodoxen Theologinnen und Theologen, die sich kritisch mit den Texten des Konzils auseinandersetzen. Sie sagen: Das ist nicht das, was wir heute brauchen. Wir brauchen andere Antworten. Es ist zu befürchten, dass die Orthodoxie es zum einen schwerer haben wird, ihre Einigkeit zu beweisen. Was sie momentan zeigt, ist eine große Uneinigkeit. Das andere ist, dass sie den Anschluss zu verlieren droht an die Moderne und an die Menschen, die in der Moderne leben – sowohl im Westen als auch in ihren eigenen Ländern, also in Osteuropa, Russland, Serbien und Georgien.

Professor Thomas Bremer ist einer der führenden deutschen Ostkirchen-Experten. Er studierte römisch-katholische Theologie, Slawistik und Klassische Philologie. Danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Katholisch-Ökumenischen Institut der Universität Münster. Von 1995 bis 1999 amtierte er als Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde in Berlin. Seit 1999 ist Bremer Professor für Ökumenik, Ostkirchenkunde und Friedensforschung am Ökumenischen Institut der Universität Münster.

Das Interview führte Klaus Krämer