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Paris versagt in der Hitzekrise

Anke Hagedorn 18. August 2003

Frankreich hat diesen Sommer unter einer beispiellosen Hitzewelle gelitten. Bis zu 3000 Menschen starben daran. Während sich die Temperaturen legen, werfen Kritiker der Regierung vor, sie hat die Krise schlecht gemanagt.

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An der Seine streitet man über die Schuld an den TotenBild: Illuscope

Die Auswirkungen der Hitzewelle in Frankreich haben dramatische Züge angenommen. Landesweit sollen nach offiziellen Angaben bis zu 3000 Menschen den hohen Temperaturen zum Opfer gefallen sein. Und was macht die französische Regierung? Bislang hatte sie offensichtlich hitzefrei, klagen Kritiker. Diesen Eindruck mussten jedenfalls die Ärzte im ganzen Land gewinnen, die hilflos vor völlig überfüllten Notaufnahmen standen. Das Personal von Altenheimen, das wegen mangelnder Klimaanlagen nicht mehr wusste, wie es gegen die ansteigenden Temperaturen ankämpfen sollte, die Bestattungsunternehmer, die der Flut von Anträgen nicht mehr Herr werden konnten. Die Leichen der Hitzetoten mussten in den Kühlräumen der Krankenhäuser "zwischengelagert" werden.

Wütende Kritik

Statt Hilfsangeboten gab es harte Worte. Auf die wütende Kritik der Notärzte, die einen Notfallplan forderten, reagierte Premierminister Jean-Pierre Raffarin sehr ungehalten und sprach von "Polemik". Erst am Donnerstag (14. August 2003) nahm die Regierung offiziell zum Ausmaß der Hitzefolgen Stellung. Nach einer Krisen- und Koordinierungssitzung unter Leitung von Raffarin bestätigte Gesundheitsminister Jean-François Mattei 1500 bis 3000 Todesfälle im Zusammenhang mit den extremen Temperaturen. Mattei nannte die Lage "außerordentlich ernst" und sagte, die massive Zunahme von Todesfällen habe die Ausmaße einer Epidemie angenommen. Eine viel zu späte Erkenntnis angesichts der hohen Opferzahlen, klagen Kritiker.

Bis Anfang dieser Woche hatte es außer der Umweltministerin Roselyne Bachelot kein Regierungsmitglied für nötig befunden, die Sommerferien zu unterbrechen, um nach Paris zurückzukehren. Erst nach massivem Druck und heftiger öffentlicher Kritik äußerte sich Gesundheitsminister Mattei von seinem südfranzösischen Ferienort aus zu den Hitzefolgen - und dabei ging es ihm in erster Linie darum, die Haltung der Regierung zu verteidigen. Die Grünen forderten denn auch nachdrücklich den Rücktritt des Gesundheitsministers, der bei der Krisenbewältigung sträflich versagt habe.

Schneller handeln

Freilich kann eine Regierung nicht für außergewöhnlich hohe Temperaturen verantwortlich gemacht werden, und ebensowenig kann sie für Regen sorgen. Aber sie muss, so ein Vorwurf an die Politiker, zur Bewältigung der Folgen der Hitze schnell und effizient handeln. In Frankreich gibt es für alle möglichen Krisensituationen einen Notfallplan: für atomare Unfälle, terroristische Angriffe, Flugzeugabstürze. Doch gegen die Auswirkungen des Klimas war man offenbar nicht gewappnet - beziehungsweise man hat seine Folgen unterschätzt.

Statt zu helfen, hat die Regierung Urlaub gemacht und diesen nur hin und wieder unterbrochen, um kritische Stimmen als systematische Opposition abzutun. Die Hitzetoten mussten sich in den Krankenhausfluren erst stapeln, bis sich Premierminister Raffarin am Mittwoch (13. August 2003) endlich zur Ausrufung eines Notfallsplans entschied. Doch dieser gilt bislang nur für den Großraum Paris.

Defizite im System

Die Krise hat grundsätzliche Defizite im französischen Sozialsystem wie den chronischen Personalmangel in Krankenhäusern und Altenheimen wieder deutlich gemacht. Die Folgen der Hitze haben in Frankreich auch die Debatte um die Energieversorgung erneut entfacht: Mehr als 70 Prozent des Stroms werden dort aus atomarer Energie gewonnen. Und gerade die Reaktoren sind besonders hitzeempfindlich. Langfristig muss sich die französische - ebenso wie alle anderen Regierungen auch - Gedanken machen, wie man dem globalen Klimawandel entgegenwirken kann.