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Paragrafen gegen Pornos

28. November 2009

Seit mehr als 50 Jahren prüft eine Bundesbehörde, welche Medien die Jugend verderben könnten. Die setzt sie dann auf eine schwarze Liste. Doch manche Entscheidung ist stark umstritten. Ein Besuch in der Bundesprüfstelle.

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Thomas Salzmann sucht in einem Bücherregal im Archiv der Bundesprüfstelle (Foto: Monika Griebeler/DW)
Thomas Salzmann im ArchivBild: DW/Griebeler

Die Arbeit beginnt bereits am frühen Morgen: Ein russischer Schwarz-Weiß-Film zeigt Ärzte in einem japanischen Internierungslager. Sie foltern eine junge Frau auf brutalste Art und Weise. Selbst wer ab und zu Horrorfilme guckt, kann die Bilder kaum ertragen. Thomas Salzmann schaut sich solche Szenen fast täglich an, im Dienste des Jugendschutzes. Der 33-jährige Jurist arbeitet bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.

Aufbewahrungsboxen in Regalen (Foto: Monika Griebeler/DW)
Im Archiv lagert alles, was geprüft wurdeBild: DW/Griebeler

Die Behörde liegt etwas versteckt im Bonner Westen, zwischen Arbeitsagentur und Bundesfamilienministerium. Seit mehr als 50 Jahren setzt sie allerlei auf eine schwarze Liste, den Index: Filme, Bücher, Musik, Zeitschriften oder Internetseiten, die Kindern und Jugendlichen schaden können. Dazu gehören zum Beispiel Medien, die den Krieg verherrlichen, die zu Gewalt, Verbrechen oder Rassenhass aufrufen und jene, die pornografisch, besonders brutal oder politisch extremistische Veröffentlichungen sind.

Nur mit Abstand geht's ohne Albträume ins Bett

Ob das Medium indiziert wird oder nicht, entscheidet das sogenannte Zwölfergremium. Darin sitzen Lehrer, Sozialarbeiter, Journalisten, Kirchenleute und Abgesandte von Verbänden und Ländern. Sie möchten lieber anonym bleiben. Zu groß ist die Furcht vor Rache, etwa aus der rechten Szene. Salzmann und seine Kollegen bereiten die einzelnen Fälle vor, listen in einem Gutachten kritische Stellen auf, tippen Liedtexte ab und belegen ihre Argumentation mit dem Gesetz. Paragrafen gegen Pornos und Gewalt.

Und genauso nüchtern betrachtet der 33-Jährige auch Filme, wie das schwarz-weiße Folterspektakel: "Natürlich hat jeder Mensch eine gewisse Grenze, wo er auch mal weg gucken muss. Aber wir haben hier einen gewissen Abstand entwickelt. Das muss man auch, damit man sich die Sachen anschauen kann, ohne Albträume zu bekommen", sagt er. Wirklich wütend machen ihn eigentlich nur rassistische Tötungsaufrufe. "Man ist frustriert, gerade wenn junge Leute so etwas schreiben."

Manchmal reicht eine einfache Email

Die Mitarbeiterin sitz an ihrem Schreibtisch und arbeitet mit dem Computer (Foto: Monika Griebeler/DW)
Viel Schreibtischarbeit: Corinna Bochmann verfasst Gutachten, hört CDs und prüft WebseitenBild: DW/Griebeler

Hat Salzmann genug vom auf CD gepressten Rassenhass, nimmt er sich eine andere Akte - einen kinderpornografischen Film oder ein blutiges Computerspiel. Seine Kollegin Corinna Bochmann durchforstet im Büro gegenüber gerade eine österreichische Internetseite. Jugendgefährdend ist hier ein Trailer, der für ein besonders brutales Spiel wirbt. Menschen werden auf Kettensägen aufgespießt, mit einem Rasenmäher pflügt sich die Spielfigur durch eine Gruppe Passanten. Die Schmerzensschreie gehen in der Musik fast unter.

Die Prüfstelle kontrolliert diese Seite regelmäßig. "Wir schreiben den Betreiber jetzt an, bitten Ihn, den Trailer von der Seite zu nehmen. Dann ist da zumindest nichts jugendgefährdendes mehr", erklärt Bochmann. Manchmal funktioniert das. Neben ihr auf dem Schreibtisch vor der langen Fensterfront stehen aufgereiht mehrere Gesetzbücher, ein Duden und ein Englischwörterbuch. Wer Jugendliche schützen will, muss ihre Sprache verstehen, also auch Wörter wie "battle", "pimp" oder "cranken".

Bibliothek der Abscheulichkeiten

Einer der ersten Titel auf dem Index waren die Tarzan-Comics. Sie galten in den 1950er-Jahren als nervenaufpeitschend und verrohend. Heute ist diese Ansicht längst überholt. Deshalb kontrolliert die Prüfstelle alte Fälle nach 25 Jahren erneut, erklärt Corinna Bochmann: "Zu der Zeit hatte es sicher seine Berechtigung. Aber inzwischen sind die Sehgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen anders. Mit heutigen Maßstäben sind viele Sachen deshalb nicht mehr als jugendgefährdend einzustufen."

Alte Videokassetten in einer Schublade (Foto: Monika Griebeler/DW)
Auch manche Altfälle bleiben auf der schwarzen Liste: Die Schulmädchenreport-Filme sind weiterhin indiziertBild: DW/Griebeler

Alle alten Fälle lagern im Archiv am Ende des Flures. Die Räume sehen aus wie eine gut sortierte Bibliothek der Grausamkeiten. Fast 7000 Titel stehen inzwischen auf dem Index. "Aber nicht weil wir so indizierungswütig sind", sagt Salzmann mit einem Lächeln. Was auf der schwarzen Liste steht, darf weder beworben, noch ausgestrahlt werden. Erwachsene können die Medien zwar noch unter der Ladentheke kaufen - aber in der Praxis kommt die Indizierung einem Verbot gleich.

Zwischen Kunstfreiheit und Jugendschutz

Der wohl bekannteste Fall der vergangenen Monate ist das aktuelle Rammstein-Album "Liebe ist für alle da": Die Bundesprüfstelle fand den Text des Liedes "Ich tu dir weh" zu sadomasochistisch. Rammstein kritisierte das Urteil als "kleinbürgerliches Kunstverständnis", Fans schrien Zensur und beklagten eine mangelnde Realitätsnähe der Behörde. Vorwürfe, die immer wieder laut werden.

Salzmann wiegelt ab: "Zensur gibt es in Deutschland zum Glück nicht." Und fern von der Realität sieht er sich auch nicht: "Wir lachen auch mal über den einen oder anderen Text. Wir sind schon mitten im Leben hier mit dieser Arbeit." Eine Entscheidung wie im Fall Rammstein ist für ihn kein Werturteil über die Band oder ihre Fans, sondern vielmehr eine simple Abwägung von Kunstfreiheit und Jugendschutz. "Sollten es Texte sein, die Interpretationsraum bieten, dann wird das auch diskutiert. Deshalb gehen manche Entscheidungen so aus, andere wiederum so."

Thomas Salzmann (Foto: Monika Griebeler/DW)
Die Skorpions auf den Index? Das wurde zumindest diskutiert, erzählt Thomas SalzmannBild: DW/Griebeler

Das versucht Salzmann jetzt auch den Rammstein-Fans zu erklären. Auf seinem Schreibtisch liegt ein dicker Stapel ausgedruckter Emails, die er noch beantworten muss. Aber nicht immer ist die Prüfstelle in Erklärungszwang, sagt der blonde 33-Jährige: "Also für Eltern zum Beispiel, die darauf achten, was ihre Kinder hören, ist sie ein gewisser Leuchtturm, an dem man sich vielleicht orientieren kann.“

Autorin: Monika Griebeler
Redaktion: Conny Paul