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Ostalgie 25 Jahre nach Mauerfall?

Wolfgang Dick6. Oktober 2014

25 Jahre nach dem Mauerfall gibt es eine Ostalgie: Spreewaldgurken, Hallorenkugeln und Trabbis rufen Erinnerungen an die DDR wach. Verbirgt sich hinter dieser Nostalgie auch eine politische Überzeugung?

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Zimmer im "Ostel"
Bild: Daniel Helbig

Übernachten und Wohnen wie zu DDR-Zeiten geht noch in einem Hotel. Das "Ostel" liegt im Berliner Stadtteil Friedrichshain. Die Gründer um Helbig haben lange gebraucht, bis alle originalgetreuen Tapeten und Möbel zusammen waren, um die 60 Zimmer im DDR-Look zu gestalten. Aber die Mühen für diese Geschäftsidee haben sich gelohnt. Die Zimmer sind gut gebucht. "Die Gäste wollen einfach erleben, wie das früher mal war", sagt Hotelbetreiber Daniel Helbig und versichert, es gehe vielen Besuchern einfach um "entschleunigtes Leben" ohne Fernseher, Telefon oder sonstigen Luxus.

Zurück in DDR-Zeiten wollen jedoch nur noch zehn bis fünfzehn Prozent der 16 Millionen Menschen, die den Versuch eines sozialistischen Staates hautnah miterlebten. Das bestätigen Umfragen mehrerer deutscher Forschungsinstitute. Die Mehrheit freut sich, dass sie heute in einem wiedervereinigten Deutschland etwas mehr Wohlstand und Freiheit als in den Jahren der DDR (1949-1990) genießt.

Ostalgie boomt

Und trotzdem erlebt Silke Rüdiger zum Beispiel einen ungebrochenen Ansturm auf ihren Internet-Versandhandel mit ehemaligen DDR-Produkten. Diese werden noch von wenigen Manufakturen hergestellt. Die Auswahl reicht von Kleidung, Musik und Filmen bis hin zu Original-Geldscheinen oder Original-Orden. Ein 100 Ostmark-Schein kostet jetzt 25 Euro.

Orden "Held der Arbeit"
Früher nur für gute Arbeit -heute im Internet bestellbarBild: picture-alliance/ZB

Ein echter Orden, der nur selten für besonders herausragende Arbeitsleistung von der damaligen Regierung Erich Honeckers verliehen wurde, ist für rund 350 Euro sogar mit Originalschachtel zu erhalten. Der Orden "Held der Arbeit" benötigt jetzt nur noch einen Mausklick und kommt per Postversand ins Haus. "Am besten laufen die Lebensmittel nach Rezepten aus DDR-Zeiten", schwärmt Online-Shop-Betreiberin Rüdiger. Rotkäppchensekt aus Freyburg, Senf aus Bautzen, Gurken aus dem Spreewald, Malzkaffee der Marke "imNU" zum Überbrühen, ClubCola als Imitat des US-Originals oder Schokolade in Kugelform.

Verlorene Heimat

"Die Menschen erinnern sich gerne an ihr früheres Alltagsleben. Sie haben das alles als nicht schlecht empfunden, aber vieles ist mit dem Mauerfall verschwunden", erklärt Silke Rüdiger ihren Erfolg. Ein politisches Zeichen wolle sie auf keinen Fall mit ihrem Angebot setzen. Auch ihre Kunden wollten das mit dem Einkauf der DDR-Devotionalien nicht. "Wer eine Hallorenkugel lutscht, der schmeckt ein Teil seiner Kindheit", sagt Silke Rüdiger.

Sandmännchen-Sammlung
Das "Sandmännchen" war sehr beliebt im Kinderprogramm des DDR-FernsehensBild: Dirk Grüner

Auch Dirk Grüner hat die Erfahrung gemacht, dass es den vermeintlichen Ostalgikern nicht um ein vermisstes politisches System gehe, sondern um Emotionen. "Da stehen Leute mit Tränen in den Augen und betrachten einfach nur Gegenstände, die ihren Alltag prägten", erzählt Grüner. Für sein "Ostalgie Kabinett" in Langenweddingen bei Magdeburg sammelten Grüner und seine Eltern in liebevoller Kleinarbeit rund 20.000 Exponate aus DDR-Zeiten. "Leute fragen vor allem bei Küchengeräten, ob sie das noch kaufen können, weil sie von der Qualität nach wie vor begeistert sind". Dirk Grüner muss dann immer um Verständnis bitten: Das Museum wäre in kurzer Zeit ausverkauft und könnte nichts mehr zeigen.

Mangelnde Anerkennung

Professor Klaus Schroeder
Klaus Schroeder: "Die Leute suchen die Übersichtlichkeit des alten Systems"Bild: FU Berlin

"Viele Menschen aus der ehemaligen DDR fühlen sich immer noch heimatlos und fremd im vereinten Deutschland. Das Leben in der DDR war einfach übersichtlicher", beschreibt Klaus Schroeder die Hintergründe der Ostalgie. Der promovierte Soziologe und Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin hat sich intensiv mit der DDR und den Entwicklungen der Wiedervereinigung beschäftigt. Haupterkenntnis: Mit dem radikalen Umbau auf die Marktwirtschaft fühlten viele Menschen zwischen Sachsen und Thüringen ihre Lebensleistung und damit ihre Biografie entwertet und missachtet. Von heute auf morgen waren 1990 viele Firmen und viele ihrer Erzeugnisse einfach weg.

Deshalb machten sich heute viele Erinnerungen an Gegenständen fest. Motto: Wir waren gar nicht so schlecht, wie der Westen behauptete. Das Bemühen um eine Anerkennung auf Augenhöhe treibe noch ganz andere Blüten, berichtet Professor Schroeder. "40 Prozent der jungen Menschen mit DDR Eltern sprechen von der DDR nicht als einer Diktatur und sogar 50 Prozent argumentieren, in Westdeutschland habe auch keine reine Demokratie geherrscht." Klaus Schroeder sieht in diesen Ansichten auch wieder das Bemühen, gleichrangig mit dem Westen wahrgenommen zu werden. Aufpassen müsste die deutsche Gesellschaft, wenn das Nachhängen an alten Zeiten umschlagen würde in unwahre Verklärung der Geschichte. Gefährlich sei nicht eine erinnernde Ostalgie, sondern die inzwischen eingetretene, politische Gleichgültigkeit.

Stefan Wolle, Historiker und wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums in Berlin hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Er versucht deshalb, dem verklärenden Blick immer wieder ein Stück der harten Realität hinzuzufügen. Im DDR-Museum endet die Ostalgie spätestens in einem nachgebauten Verhörraum der Staatssicherheit - jener Polizei, die jeden Versuch des Widerstands gegen die Regierung in der Bevölkerung überwachte und bestrafte. Aus Lautsprecherboxen sind Verhöre aus Originalprotokollen zu hören. "Hier wird die aufmüpfigste Schulklasse plötzlich sehr ruhig", berichtet Wolle und stellt zufrieden fest, dass der Höhepunkt einer ideologisch geprägten Ostalgie überschritten ist. "Für die junge Generation ist die DDR nur noch Geschichte".

DDR Museum Berlin Ausstellung Ostalgie
Nachgebaut im DDR-Museum: ein Verhörraum der StasiBild: DDR Museum Berlin
Wartburg als Rallaye-Auto beim Rennen Dresden Bajul 2008
Altes DDR-Auto im Rallye-Einsatz in AfrikaBild: Ingo Speckmann

Die DDR Vergangenheit taucht heute vor allem noch auf vier Rädern auf, nachdem die meisten Fahrzeuge aus DDR Produktion verschrottet wurden. Sogar auf Ralleys in Afrika wurden DDR-Autos in Rennversion schon gesichtet. Neben dem Kleinwagen "Trabant", der liebevoll "Trabbi" oder schlicht "Pappe" genannt wurde, galt der "Wartburg" als nahezu unerreichbares Auto. Mehr als zehn Jahre mussten Menschen in der DDR auf die Chance warten, einen Wagen zu erhalten. Ingo Speckmann verleiht diese Autos heute für Hochzeiten und zum reinen Freizeitvergnügen: "Die Leute freuen sich und denken bei den Autos oft an den menschlichen Zusammenhalt in der DDR". Speckmann ist überzeugt, dass die gegenseitige Hilfe, fehlende Ersatzteile selbst zu basteln, die DDR-Bürger zusammengeschweißt habe. Das alles gebe es heute nicht mehr, bedauert der Trabbi-Verleiher. Er ist in diesem Bedauern offenbar nicht alleine.