1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Orbanisierung" verhindern

17. Januar 2012

Die EU-Kommission eröffnet drei Verfahren gegen Ungarn. Sie kritisiert vor allem die Angriffe der Regierung Orban auf die Unabhängigkeit der eigenen Zentralbank. Bernd Riegert kommentiert:

https://p.dw.com/p/13l4E

Berauscht von der eigenen Machtfülle hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban nach seinem fulminanten Wahlsieg im April 2010 versprochen, er werde mit einer anderen Politik das ehemals kommunistisch regierte Land völlig umkrempeln. Zumindest dieses Versprechen hat der konservative Regierungschef gehalten. Ungarn ist auf dem Weg in die "Orbanisierung" und Europa lässt nun endlich die Alarmglocken schrillen. Gestützt auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament hat Orban, der gerne nationalistische Töne anschlägt, an allen wichtigen Schaltstellen in Politik und Justiz versucht, getreue Gefolgsleute zu installieren.

 Das Fass läuft über

Deutsche Welle Bernd Riegert
Bernd Riegert, Europa-RedaktionBild: DW

Als er im vergangenen Jahr die kritischen Medien mundtot machen wollte, regte sich Widerstand in Europa. Die Mediengesetze mussten auf Druck aus Brüssel zumindest abgemildert werden. Und das alles während Ungarn sogar den Vorsitz in der Europäischen Union führte. Jetzt, ein Jahr danach, hat Viktor Orban das Fass zum Überlaufen gebracht. Eine neue nationalistisch verbrämte Verfassung und eine Beschneidung der Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank waren zuviel für die EU-Kommission in Brüssel. Sie versteht sich als Wächterin der EU-Verträge und hat deshalb völlig zu Recht drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet.

Solche Verfahren sind an sich nichts Ungewöhnliches. Jährlich führt die Kommission Hunderte Verfahren, weil bestimmte EU-Gesetze nicht richtig in nationales Recht umgesetzt wurden. Auch Deutschland stand schon oft am Pranger, zum Bespiel mit dem VW-Gesetz oder der Finanzierung der Landesbanken. Die Verfahren gegen Ungarn haben aber eine neue Qualität. Diesmal geht es um politische Grundfesten der europäischen Demokratie. Selten ist ein Mitgliedsland auch so unwillig und uneinsichtig wie Ungarn. Der ungarische Ministerpräsident Orban, der sich persönlich von den EU-Bürokraten angegriffen fühlt, eilt am Mittwoch (18.01.2012) selbst nach Straßburg, um im Europäischen Parlament gegen die Verfahren Stellung zu beziehen. Auch das ein ziemlich einzigartiger Vorgang.

Ungarn braucht die EU

EU hat gute Chancen, sich am Ende mit ihrer Auffassung durchzusetzen, denn wie das Schicksal es will, hat Ungarn Europas Unterstützung in diesen Wochen bitter nötig. Viktor Orban hat mit seiner fatalen Wirtschaftspolitik das Land an den Rand des Ruins geführt und braucht nun Rettungskredite von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds. So lange die Vorwürfe aus dem Vertragsverletzungsverfahren im Raum stehen, darf die Regierung Orban kein Geld bekommen. Die Zustimmung der ungarischen Wähler bricht massiv ein. Wären heute Wahlen, würde Orbans Fidesz-Partei wahrscheinlich keine Mehrheit mehr im Parlament bekommen.

Auf dem Weg in die Eskalation

Sollte Viktor Orban nicht einlenken und den Bedenken der EU-Kommission Rechnung tragen, dann ist die nächste Krise der Europäischen Union schon absehbar. Die ungarische Regierung könnte den Konflikt mit Brüssel zu einem Kampf für Würde und Souveränität stilisieren. Die Kommission muss zusammen mit dem Europäischen Gerichtshof das Recht durchsetzen, notfalls mit Geldstrafen oder einem Entzug von Stimmrechten. Letzteres könnte aber nur auf einer anderen Rechtsgrundlage geschehen. Die Gefahr ist groß, dass die Rechtsradikalen in Ungarn von diesem Streit profitieren. Schon jetzt gehen sie in Budapest auf die Straße und fordern den Austritt aus der EU. Die rechtsextreme Jobbik-Partei ist ja bereits als drittstärkste Kraft im Parlament vertreten, spielt aber wegen der großen Mehrheit der konservativen Fidesz keine große politische Rolle. Viktor Orban, der mitunter in seiner Rhetorik autoritäre und nationalistische Züge erkennen lässt, hat es selbst in der Hand, den weiteren europäischen Weg Ungarns zu bestimmen. Lenkt er am Mittwoch ein, lässt sich der Konflikt schnell lösen. Setzt er dagegen auf die nationalistische Karte, stehen der EU, einmal ganz abgesehen von der Schuldenkrise, stürmische Zeiten bevor.

Viktor Orban, der einmal aus einer Demokratiebewegung kam, erscheint heute mehr als eine Mischung aus überheblichem Berlusconi und demokratiefernem Putin. Ein "lupenreiner Demokrat" an der Donau? Das hat die EU nicht verdient.

Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Tamas Szabo