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Orban will keine Flüchtlinge, aber EU-Hilfen

Barbara Wesel 3. September 2015

Es war bekannt, dass Viktor Orban Gegner einer europäischen Flüchtlingspolitik ist. Bei seinem Besuch in Brüssel aber übertraf er noch die Erwartungen, und stieß dabei auf Unverständnis beim EU-Parlamentspräsidenten.

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Viktor Orban und Martin (Foto: picture-alliance/dpa/O. Hosle)
Bild: picture-alliance/dpa/O. Hoslet

Die Hände haben sich der ungarische Premier und der EU-Parlamentspräsident zu Beginn ihres Treffens noch geschüttelt. Damit war der Austausch von Höflichkeiten aber auch schon beendet.

Mit versteinerter Miene verfolgte EU-Mann Martin Schulz, wie Viktor Orban mit dem Finger auf Deutschland zeigte. Die Flüchtlingskrise, so Ungarns Premier, sei überhaupt keine europäische Frage: "Das ist ein deutsches Problem. Die Flüchtlinge wollen gar nicht in Ländern wie Ungarn, Polen oder Estland bleiben." Und im gleichen Atemzug warnte er die Asylsuchenden: "Bitte kommen Sie nicht, es ist zu riskant. Wir können nicht garantieren, dass Sie akzeptiert werden." Die Menschen sollten lieber in der Türkei oder in Serbien bleiben, da seien sie schließlich auch sicher.

Nur folgerichtig, dass Orban die Grenzsicherung für die einzig wichtige Aufgabe seiner Regierung hält. Es sei eine Verpflichtung jedes Mitgliedslandes, die Außengrenzen der Europäischen Union zu sichern und solche Menschenmassen nicht zuzulassen. Wer kommen wolle, solle das auf geregelte Weise tun. "Keiner wird Ungarn verlassen, ohne registriert worden zu sein", fügte er noch hinzu. Eine Erklärung möglicherweise für die widersprüchliche Politik auch heute in Budapest, wo die Behörden Flüchtlinge zuerst in einen Zug steigen ließen, nur um sie am Stadtrand der ungarischen Hauptstadt wieder daraus zu vertreiben und in ein Lager zu schicken.

Flüchtlinge an Bahngleisen (Foto: DW/L. Scholtyssyk)
Letzte Hoffnung auf einen Zug nach WesteuropaBild: DW/L. Scholtyssyk

Ungarn schürt Fremdenangst

In einem Zeitungsinterview hatte der ungarische Premier bereits ausführlich Klischees von Fremdenfeindlichkeit bedient: Man könne eine solche Flut von Flüchtlingen nicht bewältigen, sein Land und die EU würden überrannt, es werde zu einer Explosion kommen in Europa wegen der Masse der Migranten, und es drohten die christlichen Wurzeln verloren zu gehen, wenn zu viele Muslime einwanderten. In Brüssel sprach Orban dann auch noch vor der Angst, die nicht nur in seiner Bevölkerung angesichts der Flüchtlingsströme herrsche.

Trotz allem will Orban Hilfe aus Brüssel: Er verlangt acht Millionen Euro aus der Gemeinschaftskasse, um Flüchtlinge unterbringen, registrieren und versorgen zu können. Alles Aufgaben, vor denen sich Budapest bisher gedrückt hat. Und gleichzeitig schlug der Premier mit seinem offen konfrontativen Auftritt für die anderen osteuropäischen Staaten eine Bresche: Die Slowakei und zwei der baltischen Staaten haben sich bereits zur Ablehnungsfront bekannt. Mit seinen polarisierenden Äußerungen könnte der Ungar die Gräben weiter vertiefen.

Vergeblicher Solidaritätsappell

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz bezog klare Position gegen die Worte des ungarischen Regierungschefs: "Ich bin nicht der Meinung von Viktor Orban." Deutschlands Großzügigkeit gegenüber syrischen Flüchtlingen sei nicht der Grund für die gegenwärtige Krise, entgegnete Schulz und appellierte an den nationalkonservativen Politiker, sich einer gemeinsamen Lösung anzuschließen.

Angela Merkel (Foto: Reuters)
"Deutschland tut nur das Gebotene", sagte Merkel in Bern.Bild: Reuters/D. Balibouse

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte am Rande ihres Schweiz-Besuchs Deutschlands Umgang mit den Flüchtlingen: "Deutschland tut das, was moralisch und rechtlich geboten ist. Nicht mehr und nicht weniger." Gleichzeitig ermahnte sie Orban, Ungarn müsse wie jeder EU-Staat die Genfer Konventionen zum Schutz von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen einhalten.

Trotz des Wunsches vieler Asylsuchender in Deutschland zu bleiben, sagte EU-Parlamentspräsident Schulz in Brüssel, müsse es eine gerechte Verteilung innerhalb der EU geben. "Bei 500 Millionen Einwohnern sollte es möglich sein, 500.000 Flüchtlinge aufzunehmen". Aber Orban machte sofort deutlich, was er von den Verteilungsplänen hält: Eine Quote würde nur noch mehr Menschen anreizen, nach Europa zu kommen.

Bei seinem Rundgang durch die EU-Institutionen in Brüssel holte sich Viktor Orban Widerspruch ab: Gerade als Christ sei man verpflichtet, den Brüdern in Not zu helfen, so der frühere polnische Ministerpräsident. Er warnte darüber hinaus vor einer Spaltung der EU in West- und Osteuropa. Tusk schlug sogar vor, demnächst etwa 100.000 Flüchtlinge auf die Mitgliedsländer zu verteilen, was weit über bisherige Zahlen hinaus geht. Nur die EU-Kommission ist laut Zeitungsberichten noch ehrgeiziger. Dort denke man an die Verteilung von 120.000 Migranten.

Flüchtlingsverbände kritisieren Orban

Belgien Donald Tusk und Viktor Orban EU Parlament Brüssel (Foto: picture-alliance/dpa/O. Hoslet)
EU-Ratspräsident Tusk (l.) appellierte an die christliche Verpflichtung, Menschen in Not zu helfenBild: picture-alliance/dpa/O. Hoslet

"Es ist interessant, wie die ungarische Regierung hier nur von Verpflichtungen zum Schutz der Außengrenzen spricht. Das sind aber nicht die einzigen Pflichten der EU Mitgliedsländer, sie müssen Flüchtlinge auch angemessen aufnehmen und versorgen, und das hat Budapest bisher nicht getan", sagt Mimos Mouzourakis vom Europäischen Dachverband der Flüchtlingsorganisationen. Ungarn habe bisher nichts unternommen, um ein funktionierendes Asylsystem aufzubauen. Es erstaune also nicht, dass die Flüchtlinge weiter ziehen wollten. Bisher nähmen vier bis fünf der 28 Mitgliedsstaaten nahezu alle Asylsuchenden in Europa auf - die anderen drückten sich, indem sie einfach keine Möglichkeiten schafften.

Die Sprache aber, in der inzwischen die Auseinandersetzung geführt wird, nennt Mouzourakis "eindeutig diskriminierend". Und die Herausforderung für die EU sei es jetzt, nicht technische Lösungen für die Flüchtlingskrise zu suchen, sondern einen geordneten Schutz in der Europäischen Union zu schaffen.