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Politik

Orban, Putin und das Öl-Embargo

3. Mai 2022

An diesem Mittwoch will die EU-Kommission ein Öl-Embargo gegen Russland vorschlagen. Ungarns Premier Viktor Orban will das nicht mittragen. Deshalb gehen auch ehemalige Verbündete wie Polen nun auf Distanz.

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Ungarns Ministerpräsident Orban spricht bei seiner ersten Pressekonferenz nach der Wahl
Ungarns Ministerpräsident Orban regiert auch weiterhin das LandBild: ATTILA KISBENEDEK/AFP

Ungarns Premier Viktor Orban steht in diesen Tagen vor seiner vierten Amtszeit in Folge - zum vierten Mal mit einer starken Zwei-Drittel-Parlamentsmehrheit im Rücken. Und diese neue Amtszeit beginnt - mitten im russischen Krieg gegen die Ukraine - mit einem neuerlichen Konflikt zwischen Ungarn und der Europäischen Union, in der Orban seit langem erklärtermaßen die größte Bedrohung für Ungarn sieht.

Diesmal geht es um das in den vergangenen Wochen vieldiskutierte und von der EU geplante Öl-Embargo gegen Russland. Unter den Mitgliedsländern besteht inzwischen ein weitgehender Konsens über die Einführung derartiger Sanktionen, nur in Detailfragen wird noch verhandelt.

Doch als einziges Mitgliedsland der Union hat sich Ungarn grundsätzlich gegen ein solches Öl-Embargo ausgesprochen und will gegen derartige Sanktionen ein Veto einlegen. Zwar besagten einige europäische Medienberichte in den vergangenen Tagen, dass Ungarn den Sanktionen zustimmen könnte, wenn es von Brüssel befristete Ausnahmegenehmigungen für Ölimporte erhält. Doch die ungarische Regierung widerspricht dem entschieden.

Ungarn hat sich festgelegt

Ungarns Außenminister Peter Szijjarto, der auch für Außenwirtschaft zuständig ist, sagte während eines Besuchs in Kasachstan, seine Regierung werde keinerlei Sanktionen zustimmen, die ungarische Öl- und Gasimporte aus Russland unmöglich machten, weil damit Ungarns Energiesicherheit in Gefahr geriete.

Bereits am Sonntag (1.05.2022) hatte sich Orbans Kanzleiminister Gergely Gulyas gegen ein Öl-Embargo ausgesprochen. Detailfragen der DW dazu wollte ein Sprecher der ungarischen Regierung nicht beantworten, verwies aber mit Hinweis auf die Erklärungen von Szijjarto und Gulyas darauf, dass die ungarische Regierung bei ihrer Position bleibe.

Ungarns Außenminister Peter Szijjarto gestikuliert vor der ungarischen Landesfahne
Ungarns Außenminister Peter Szijjarto weist Sanktionen gegen Russland zurückBild: Attila Kisbenedek/AFP/Getty Images

"Die ungarische Regierung hat sich sehr eindeutig festgelegt", sagt der Politologe Peter Kreko vom Budapester Institut Political Capital der DW. "Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass die Regierung ihren Standpunkt noch modifiziert oder ändert, allerdings vertritt sie ihre Veto-Position sehr explizit."

Pokerspiel mit Brüssel?

Offiziell begründet die ungarische Regierung ihre Veto-Absicht mit der starken Abhängigkeit des Landes von russischen Energieträgern. Allerdings belegt Ungarn darin bei weitem keinen Spitzenplatz in der EU.

Russische Lieferungen decken rund 58 Prozent seines jährlichen Erdölbedarfs ab. In der Slowakei beträgt dieser Anteil ganze 96 Prozent, in Litauen und Finnland immerhin noch rund 80 Prozent. Dennoch sind diese Länder nicht gegen ein Öl-Embargo, wobei die Slowakei eine Ausnahmegenehmigung für russische Ölimporte in Anspruch nehmen möchte.

EU prüft kompletten Ölverzicht aus Russland

Möglicherweise spielen deshalb bei Ungarns angekündigtem Nein zu einem Öl-Embargo auch andere Gründe eine Rolle. Konkret könnte es um ein Pokerspiel mit Brüssel gehen: Die EU-Kommission hat die für Ungarn bestimmten Milliardensummen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds bisher nicht ausgezahlt, weil es Bedenken wegen Korruption gab.

Außerdem eröffnete die Kommission vergangene Woche ein Verfahren nach dem neuen Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn. "Vielleicht spielt all das jetzt eine Rolle bei der Entscheidung, die Sanktionen nicht mitzutragen", sagt Kreko. "In jedem Fall ist das Verhältnis zwischen Ungarn und den EU-Institutionen völlig vergiftet."

Orban soll "zum Augenarzt"

Dabei ist das angekündigte ungarische Veto nur ein weiterer Meilenstein einer ungarischen Außenpolitik, die das Land innerhalb der EU und international immer weiter in die Isolation treibt. Als einziges EU-Land fand Ungarn bisher immer noch keine scharfen Worte der Verurteilung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Premier Orban verurteilte den Krieg lediglich nominell, Putin-kritische Worte kamen ihm nicht über die Lippen. Antirussische Sanktionen trug Ungarn bisher nur zähneknirschend mit, Waffentransporte in die Ukraine über sein Territorium gestattet die Regierung nicht.

Russlands Staatschef Putin und Ungarns Ministerpräsident Orban schütteln sich die Hand vor den Staatsfahnen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Oktober 2019.
Zwei, die sich verstehen: Putin (l.) und OrbanBild: Kremlin Press Office /AA/picture alliance

Wegen dieser Positionen haben inzwischen sämtliche frühere Verbündete Ungarns unter den östlichen EU-Staaten mit Budapest gebrochen, darunter Polen, Tschechien, die Slowakei und Slowenien. Am schmerzlichsten dürfte dabei für Orban der Bruch mit Polen sein.

Der polnische Vize-Regierungschef und starke Mann im Land, Jaroslaw Kaczynski, hatte Orban vorgeworfen, blind zu sein für russische Kriegsverbrechen in der Ukraine und dem ungarischen Premier polemisch empfohlen, "zum Augenarzt" zu gehen.

Trotz und Irrationalität

"Ungarns außenpolitische Stellung in Europa war noch nie so schlecht wie derzeit", sagt der Politologe Peter Kreko. "Die Orban-Regierung hat sich in eine Sackgasse manövriert. Ehrlich gesagt, ist mir das Kalkül hinter Orbans Außenpolitik unerklärlich, ich sehe keinerlei rationales Vorgehen und keine vernünftige Strategie dabei. Die ungarische Außenpolitik scheint nur noch von Trotz und Irrationalität bestimmt und bewegt sich in einer Abwärtsspirale."

Wegen seiner Putin-freundlichen Haltung steht Viktor Orban nun auch in einer anderen Kontroverse zunehmend am Pranger. Oleksij Danilow, der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine, beschuldigt den ungarischen Premier, Teile der Westukraine, in denen eine ungarische Minderheit lebt, vereinnahmen zu wollen. Daher habe Ungarn mit Putin zusammengearbeitet und der russische Präsident habe Orban vorab über den Angriff auf die Ukraine informiert.

Der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine Oleksij Danilow spricht an einem Rednerpult
Scharfe Kritik aus Kiew: der ukrainische Politiker Olekskij DanilowBild: Photoshot/picture alliance

Großer Imageschaden

Die Anschuldigungen sorgten für viele Schlagzeilen in Ungarn. Außenstaatssekretär Tamas Menczer und Regierungssprecher Zoltan Kovacs bezeichneten die Äußerungen als "Lügen" und "Fake-News", die erfunden würden, weil Ungarn keine Waffen an die Ukraine liefere.

Demonstranten mit Fackeln und Fahnen der Ukraine zeigen ihre Solidarität mit der Ukraine bei einer Kundgebung auf dem Heldenplatz in Budapest
Nicht ganz Ungarn steht hinter Putin. Solidaritätsbekundung mit der Ukraine in BudapestBild: Marton Monus/REUTERS

Tatsächlich sehe er keinerlei Anzeichen, dass Ungarn westukrainisches Territorium einnehmen wolle, sagt der Politologe Peter Kreko. "Orban schien sehr überrascht von dem Krieg gegen die Ukraine, und Ungarn schickt weder Waffen noch Soldaten ins Land. Solche Erklärungen wie die von Danilow haben keine Basis und sind unverantwortlich, solange dafür keine Beweise vorgelegt werden. Dennoch bleibt für Ungarn wegen seiner Putin-freundlichen Außenpolitik auch bei solchen Erklärungen unterm Strich eines übrig: Es trägt einen großen Imageschaden davon."

Porträt eines lächelnden Mannes mit Brille und blonden Locken
Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter