Opposition zieht Kundus-Bilanz
11. August 2011Nach Ansicht der Oppositionsparteien im Bundestag ist die Kundus-Affäre noch lange nicht abgeschlossen. Vertreter der Grünen, der SPD und der Linken präsentierten am Donnerstag (11.08.2011) getrennt voneinander ihre Sondervoten aus dem Kundus-Untersuchungsausschuss, da sich Koalitionsfraktionen und Opposition nicht auf eine gemeinsame Bewertung einigen konnten. Es habe eine "lange Liste von Fehlern" gegeben - sowohl bei der Entscheidung, zwei Tanklaster in der Nähe des afghanischen Kundus am 4. September 2009 zu bombardieren als auch bei der Untersuchung und Aufklärung des Vorfalls, sagte der Obmann der Grünen im Kundus-Untersuchungsausschuss, Omid Nouripour.
Gegen des Völkerrecht, aber ohne Strafe
Die Grünen kommen zu dem Schluss, dass der zuständige Bundeswehr-Oberst Georg Klein gegen die Einsatzregeln der NATO und auch gegen Vorschriften des Völkerrechts verstoßen habe. Oberst Klein hatte den Luftangriff angefordert. Bei der Bombardierung der zwei von Taliban entführten Tanklaster waren Bundeswehr-Angaben zufolge 91 Menschen getötet worden und elf verletzt. Darunter befanden sich auch viele Zivilisten. Die NATO kommt in ihrem Untersuchungsbericht sogar auf 142 Tote und zahlreiche Verletzte.
Die Bundeswehr und die Bundesanwaltschaft hatten bereits im August 2010 bekannt gegeben, kein Disziplinarverfahren gegen Klein einzuleiten. Es gebe keine Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen, so die Bundeswehr damals. Auch die Bundesregierung entlastete Klein. Noch vor ihrer Sommerpause in diesem Jahr hatten CDU und FDP ihren Abschlussbericht vorgelegt. Doch die Opposition ist anderer Meinung: Alle direkt und indirekt Beteiligten tragen Schuld. Allerdings räumen die Grünen ein, dass Oberst Klein die Entscheidung auf Grundlage falscher Informationen getroffen habe. Diese kamen vermutlich von afghanischen Behörden.
Die SPD dringt nun darauf, zu prüfen, ob das deutsche Recht "eins zu eins ins Ausland" übertragen werden könne, sagte der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold. Der Luftschlag sei militärisch "unzulässig" gewesen und müsse politisch weiter aufgearbeitet werden. Oberst Klein sei auf jeden Fall für die falsche Entscheidung zum Bombenabwurf verantwortlich. Jedoch hätten nach dem Vorfall vor allem die politischen Entscheidungsträger in Deutschland versagt: zunächst der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), dann sein Nachfolger Karl-Theordor zu Guttenberg (CSU) und schließlich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Fehlerhafte Kommunikation
Die Grünen werfen dem damaligen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und dem ehemaligen Staatssekretär im Verteidigungsministerium Peter Wichert vor, dem Ex-Verteidigungsminister Jung Informationen vorenthalten zu haben. Der genaue Ablauf der Bombardierung sei nicht an Jung weitergegeben worden, sagte Nouripour. Man habe offenbar Oberst Klein nicht vorführen wollen. Jungs Nachfolger Guttenberg hatte daraufhin Schneiderhan und Wichert entlassen.
Die SPD nannte diese Entscheidung jedoch "Unsinn". Es sei falsch gewesen, den beiden "die Schuld in die Schuhe zu schieben", sagte Arnold. Zu dem Skandal sei es erst durch die "desaströse Öffentlichkeitsarbeit" von Jung gekommen. Guttenbergs Behauptung, ihm seien ebenfalls wichtige Dokumente vorenthalten worden, sei nur vorgeschoben, meint Arnold. Guttenberg hatte den Angriff zunächst als angemessen bezeichnet und später seine Einschätzung revidiert.
Die Linke äußert noch heftigere Kritik am Verhalten der verantwortlichen Politiker. Der Bombenangriff sei eindeutig völkerrechtswidrig gewesen und Oberst Klein habe seine Kompetenzen weit überschritten, sagte Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Die Bundesregierung habe sich aus Sorge um ihr Abschneiden bei der Bundestagswahl 2009 in "Manipulation, Vertuschung und Grauzonenlaviererei" geflüchtet, statt die Hintergründe des umstrittenen Angriffs in Kundus zu beleuchten, meint Schäfer.
Kritik an der Kanzlerin
SPD und Grüne werfen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel "gravierende Bewertungsfehler" vor. Sie habe sich nicht genügend um Aufklärung bemüht. Auch ihr damaliger Vizekanzler, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), habe sich nicht mit Ruhm bekleckert, beklagen die Grünen. Er sei seinen Verpflichtungen "nur ungenügend" nachgekommen und sei zu passiv gewesen.
Der Bundestags-Untersuchungsausschusses zum Kundus-Anschlag hat bisher 55 Mal getagt und hörte dabei 41 Zeugen an. 145 Vernehmungsstunden liegen hinter den Ausschussmitgliedern.
Autorin: Nicole Scherschun (dapd, dpa)
Redaktion: Dirk Eckert