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Opfert Europa seine Standards?

Alexandra Reinsberg, Washington21. Dezember 2013

Die dritte Verhandlungsrunde über das transatlantische Freihandelsabkommen - TTIP - ist zu Ende. Die Unterhändler aus Europa und Nordamerika sind zufrieden, Kritiker sind alarmiert.

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Ignacio Garcia Bercero und Dan Mullaney (Foto: picture alliance)
Verhandlungsführer, gut gelaunt: Ignacio Garcia-Bercero (EU, l.) und Dan Mullaney (USA)Bild: picture-alliance/dpa

Am Ende der dritten Verhandlungsrunde zur größten Freihandelszone der Welt steht Zufriedenheit auf beiden Seiten. In Washington D.C., dort wo die Gespräche zwischen Amerikanern und Europäern im Juli dieses Jahres begonnen hatten, trafen sich in der zurückliegenden Woche Unterhändler beider Seiten erneut, um Gespräche über Bedingungen für die sogenannte Transatlantische Handels- und Investment-Partnerschaft (TTIP, Transatlantic Trade and Investment Partnership) fortzusetzen.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelten 24 Arbeitsgruppen über komplexe Themen wie unter anderem Finanzdienstleistungen, Investitionen, Arbeitsrechte und Regulierungen. Dabei zeigte sich, dass beide Seiten insbesondere in Bereichen der Automobil-, Chemie- und Pharmaindustrie sowie in der Informations- und Telekommunikationstechnologie aufeinander zugehen wollen. "Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union sind sich einig, dass wir in diesen Feldern Bestimmungen erarbeiten wollen, ohne unsere Sicherheitsstandards zu gefährden", sagte EU-Verhandlungsführer Ignacio Garcia Bercero im DW-Interview. Dies sei in der zweiten Runde noch nicht so klar gewesen.

Schwierig gestalten sich die Gespräche hingegen im Bereich der Regulierung von Finanzdienstleistungen. Aus Sicht der Amerikaner sind die deutschen Bestimmungen hier zu schwach, sie wollen Finanzdienste nicht in die Gespräche einbeziehen. Aus europäischer Sicht ist dies unverständlich. "Für uns ist es paradox, wenn wir uns einig sind, die Kooperation von europäischen und amerikanischen Behörden zu bestärken, aber den finanziellen Sektor dabei ausklammern", so Bercero. Im Interesse der europäischen Unterhändler liege außerdem eine Einigung über den Handel von Energie und Rohstoffen: "Für uns ist es extrem wichtig, eine klare Garantie zu bekommen, dass US-Gas- und Ölexporte der Europäischen Union garantiert werden." Konkrete Ergebnisse wollte Bercero aufgrund des frühen Stadiums der Verhandlungen jedoch nicht nennen.

Wachstum, Investitionen, Arbeitsplätze

Für William Frenzel, ehemaliger Kongressabgeordneter und Mitglied des Washingtoner Think Tanks Brookings, ist Berceros Zurückhaltung nicht verwunderlich:

"Die zwei Gladiatoren nehmen sich gerade erst in Augenschein. Sie testen was der andere will und wie energisch er seine Ziele verfolgt." Vor allem bei solch großen Handelsabkommen sei bis zum Schluss nichts wirklich entschieden, sagt er. "Wenn man zu früh verkündet, wie man sich geeinigt hat, wird man vielleicht später überrascht." Am Ende müsse man eventuell seine Strategie noch einmal ändern, um das zu bekommen, was man wolle.

William Frenzel (Foto: DW)
William FrenzelBild: DW

Wachstum, Investitionen und Arbeitsplätze - das versprechen sich beide Seiten von der Partnerschaft. Neben dem Abbau von ohnehin niedrigen Zöllen und Bürokratie sollen auch Normen und Zulassungsverfahren vereinheitlicht werden. So gäbe es beispielsweise dann standardisierte Stromstecker für Elektroautos. Laut Münchner ifo-Institut würden durch das Abkommen alleine in Deutschland bis zu 110.000 Arbeitsplätze entstehen, europaweit wären es 400.000.

Durch eine Partnerschaft könnten die USA und Europa globale Standards setzen und drohende Konkurrenten wie China, Brasilien oder Indien vorerst in Schach halten, hoffen beide Seiten. Der vermutete Zuwachs des EU-Bruttoinlandsprodukts von 0,5 Prozent ist gerade in Zeiten der Schuldenkrise Anlass für Euphorie. Schon jetzt erwirtschaften Europa und die Vereinigten Staaten über 50 Prozent des weltweiten Wirtschaftsvolumens, schon jetzt sind sie wichtige Wirtschaftspartner.

In Chlor getunkte Hühnchen

Um den Handel noch weiter ausbauen zu können, müssen in den TTIP-Verhandlungen nun auch sogenannte nicht-tarifäre Hemmnisse abgeschafft werden. Darunter fallen beispielsweise Standards des Verbraucherschutzes, des Umweltschutzes und Lebensmittelvorschriften. Kritiker befürchten, dass die in der Regel hohen europäischen Standards in den Verhandlungen geopfert werden könnten - auch wenn die Verhandlungsführer zum Ende der dritten Runde wieder betont haben, dass sei nicht der Fall.

Lori Wallach hat als Rechtsanwältin Verhandlungen zu Handelsabkommen seit den 1990er Jahren beobachtet und leitet die Global Trade Watch-Abteilung der weltweit größten Verbraucherschutzorganisation "Public Citizen´s". Sie sei nicht grundsätzlich gegen Handelsabkommen, so Wallach. Gemeinsame Standards könnten beispielsweise dazu führen, dass ein Produkt nicht zweimal überprüft werden müsse. Den TTIP-Verhandlungen würden jedoch nicht die höchsten Standards zu Grunde gelegt, sondern die niedrigsten. So würden etwa zur Desinfektion in Chlor getunkte Hühnchen und genmanipulierte Lebensmittel ohne Kennzeichnung in die deutschen Regal kommen - amerikanischer Standard. "Die Agenda dieser Verhandlungen wurde von den größten US- und EU-Unternehmen bestimmt. Es ist klar, dass diese Verhandlungen dazu dienen sollen, mehr Profit zu machen und einen Standard festzulegen - den niedrigsten. Das ist nicht im nationalen Interesse, nicht im öffentlichen Interesse - die meisten von uns profitieren davon nicht."

Einkaufswagen an Supermarktkasse (Foto: picture alliance)
Genmanipulierte Lebensmittel im Einkaufswagen?Bild: picture-alliance/dpa

Auch die Einrichtung von Schiedsgerichten (ISDS), vor denen Unternehmen gegen Staaten klagen können, wenn sie ihre Investition gefährdet sehen, kritisiert Wallach scharf. Schiedsgerichte sollen Investoren Sicherheit geben, wenn sie in Entwicklungsländern investieren, wo es kein verlässliches Rechtssystem gibt. Von Europa und den USA könne man das nicht behaupten. Ein weiteres Problem, so Wallach: Sei das Abkommen einmal unterschrieben, ließe sich darin kein einziges Wort mehr ändern, bevor nicht alle Vertragspartner zustimmen: "Die Regeln werden festgesetzt, ob es den Menschen, die mit den Folgen leben müssen, passt oder nicht."

Ergebnisse der Verhandlungen bis 2014?

Anfang 2014 werden Verhandlungsführer Karel De Gucht und sein amerikanischer Kollege Michael Froman in Brüssel Bilanz ziehen und sich mit verschiedenen Interessensgruppen treffen. Die nächste Verhandlungsrunde ist für März ebenfalls in Brüssel geplant.

Das ehrgeizige Ziel, bis Ende 2014 Ergebnisse vorlegen zu können, halten sowohl Lori Wallach als auch William Frenzel für unrealistisch. Die vielen nicht handelsspezifischen Themen gefährdeten das Abkommen zusätzlich. Schließlich müssen am Ende der amerikanische Kongress, das Europäische Parlament und alle 28 EU-Mitgliedstaaten dem Deal zustimmen.