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Operationen und Geburten im Keller

Inna Kuprianowa / Markian Ostaptschuk7. August 2014

Für die Menschen in den umkämpften Städten der Ostukraine wird die Situation immer schwieriger - das gilt auch für die ärztliche Versorgung. Krankenhäuser nutzen inzwischen Kellerräume zum Schutz vor Artilleriefeuer.

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Menschen in Horliwka suchen Schutz in Kellerräumen (Foto: EPA/IGOR KOVALENKO)
Bild: picture-alliance/dpa

"Erst hörten wir eine Explosion, dann eine zweite. Jemand rief, 'auf dem Boden legen'. Etwas später kam der Aufruf: 'Alle schnell in den Keller'. Und wir liefen den Ärzten hinterher", erzählt Julia. Sie ist hochschwanger und war gerade in der ostukrainischen Stadt Horliwka bei einer Untersuchung im örtlichen Krankenhaus, als der Artilleriebeschuss erfolgte. "Zwei Tage verbrachten wir in diesem Keller. Insgesamt waren wir 16 Mütter mit ihren Babys und elf schwangere Frauen", sagt Julia.

In den Kellerräumen des Krankenhauses seien bereits Betten aufgestellt gewesen. Entbunden hätten Frauen in einem separaten Raum, berichtet sie. Die kurzen Pausen des Artilleriefeuers sei von Ärzten und Hebammen dazu genutzt worden, weitere Matratzen und Decken in den Keller zu tragen. Auch sie hätten dort übernachtet. "Während der ganzen Zeit, die wir alle zusammen im Keller verbrachten, wurden fünf Kinder geboren", berichtet Julia.

Krankenhäuser in der Ostukraine verlegen ihre Patienten in Kellerräume (Foto: EPA/IGOR KOVALENKO)
Krankenhäuser verlegen ihre Patienten in KellerräumeBild: picture-alliance/dpa

"Solche Angst hatte ich noch nie"

Eines von ihnen ist Iljuscha. Der Junge kam zur Welt, während nur wenige Meter vom Krankenhaus entfernt Granaten einschlugen und die Stadt von Explosionen erschüttert wurde. "Ich hatte einfach Angst, nach der Untersuchung das Krankenhaus zu verlassen, denn in jedem Moment konnten die Wehen beginnen. Deshalb bin ich dort geblieben. Solche Angst hatte ich noch nie", erzählt Iljuschas Mutter Swetlana.

Jetzt, wo sie mit ihrem Baby das Krankenhaus verlassen hat, denkt Swetlana voller Dankbarkeit an die Ärzte. "Während der Zeit, in der sie uns das Leben retteten, haben deren Angehörige vielleicht viel schlimmer unter dem Artilleriefeuer gelitten", sagt sie.

Keine Warnung vor Beschuss

Trotz des Beschusses der Stadt geht die Arbeit im Krankenhaus von Horliwka weiter. "Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, wie wir vorgehen werden, wenn es zu Gefechten kommt", sagt die Ärztin Elena. Sie und ihre Kollegen hätten sich auf diese Situation vorbereitet. "Wir haben uns vorgenommen, bei der Arbeit nicht panisch zu werden, das ist wichtig", betont Elena.

Warnungen vor Artilleriefeuer gibt es in der Regel nicht. Jederzeit müssen die Menschen in den betroffenen Städten der Ostukraine mit einem Beschuss von allen Konfliktseiten rechnen. "Deshalb arbeiten wir im Krankenhaus möglichst nahe des Kellers. Denn meist werden die oberen Etagen der Gebäude von Geschossen getroffen", sagt die Ärztin.

Mangel an Medikamenten

Die meisten Krankenhäuser in der Ostukraine arbeiten derzeit unter solchen Bedingungen, betont Tamara Zyhanok von der regionalen Gesundheitsbehörde. "Hier herrscht ein regelrechter Krieg und wir haben es mit einer Katastrophe zu tun."

Ein großes Problem sei, dass viele Mediziner wegen der Kampfhandlungen die Region verlassen hätten. Auch würden Apotheken nicht mehr ausreichend mit Arzneimitteln beliefert. Das wirke sich auf die Versorgung der medizinischen Einrichtungen aus. Und wegen Benzinmangels könnten auch nicht mehr alle Krankenwagen eingesetzt werden, so die Behördenvertreterin.

Zerstörte Häuser nahe der Stadt Slowjansk (Foto: REUTERS/Valentyn Ogirenko)
Zerstörte Häuser nahe der Stadt SlowjanskBild: Reuters

Arbeit unter Lebensgefahr

Michail Andrijanow ist Arzt aus der Stadt Slowjansk, die vor einigen Wochen von der ukrainischen Armee zurückerobert wurde. Er weiß, was es bedeutet, das Leben von Menschen zu retten, wenn jederzeit ein Granatsplitter einschlagen kann. "Direkt am OP-Tisch wurde eine Krankenschwester tödlich verletzt", berichtet er. Daraufhin habe man die Fenster des Operationssaals mit Sandsäcken verbarrikadiert.

Die Arbeit im Krankenhaus konnte man so aufrechterhalten. "Wenn 20 Verwundete eingeliefert werden, dann arbeitet man auch bei Artilleriefeuer weiter. Dann ist da keine Angst mehr", erinnert sich Andrijanow. "Durch Artilleriebeschuss beider Seiten kamen Zivilisten und sogar Kinder ums Leben", beklagt er. Die Frage, warum Menschen sterben müssen, lasse ihm keine Ruhe.

Hoffnung auf Frieden

Der kleine Iljuscha aus Horliwka ist heute in Sicherheit, sagen seine Eltern. "Er ist nur eine Woche alt und hat schon Krieg und Flucht erleben müssen", sagt Swetlana. Und auch Julia ist jetzt in einer anderen Stadt, die nicht umkämpft ist. Dort erwartet sie in einem Krankenhaus bald ihr Baby. Ihr ist es gelungen, das Kampfgebiet zu verlassen.

Gleich neben der Station, auf der sich Julia jetzt befindet, ist die Chirurgie des Krankenhauses untergebracht. Dort werden ständig verwundete Soldaten der ukrainischen Armee eingeliefert. "Nachts habe ich gehört, wie eine Frau neben ihrem toten Sohn geweint hat. Mein Verstand will einfach nicht begreifen, dass dieses Grauen Wirklichkeit ist. Ich habe viele Jahre auf ein Kind gehofft. Jetzt will ich nur noch, dass es in Frieden geboren wird", sagt Julia.