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Ohne Ohnmacht

12. Februar 2003

Ein Krieg gegen den Irak wird immer wahrscheinlicher. Über Israels Haltung zum drohenden Krieg sprach Vladimir Müller mit dem Israel-Experten und Professor an der Bundeswehr-Hochschule in München, Dr. Michael Wolffsohn.

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Israelische F-16: zum Gegenschlag bereitBild: AP

Herr Wolffsohn, obwohl das Land durch irakische Vergeltungsschläge attackiert werden könnte, steht man in Israel einem drohenden Irak-Krieg bisher vergleichsweise gelassen gegenüber. Zwar besteht die Gefahr eines irakischen Angriffs mit B- oder C-Waffen. Doch die Gasmasken für die Bevölkerung sind längst verteilt. Und es wird betont, Israels Armee sei in der Lage, einen wirksamen Gegenschlag zu führen...

Prof.Michael Wolffsohn Historiker Bundeswehr-Universität München
Prof. Michael WolffsohnBild: presse

"Die Hoffnungen sind militärisch realistisch - politisch ist das eine andere Frage. Aber da die militärische Gefahr, nämlich der Einsatz von B- und C-Waffen - sei es durch Raketen, sei es durch Terroristen - groß ist, muss man zunächst einmal diese militärische Gefahr beseitigen."

Nicht nur in der arabischen Welt gibt es Befürchtungen, Israels Regierung könnte den Irak-Krieg zum Anlass nehmen, einen "Bevölkerungstransfer" vorzunehmen - also im Klartext: eine Vertreibung der Palästinenser aus ihren Siedlungsgebieten. Halten Sie das für realistisch?

"Das ist schlicht und ergreifend eine giftige Propaganda, der jede Realität fehlt. Ein Stück Politik, das man nicht ernst nehmen muss - denn den Israelis wurde von den Vereinigten Staaten klar signalisiert, dass sie während dieses Krieges nichts an der palästinensischen Front unternehmen dürfen."

Während des letzten Irak-Krieges vor zwölf Jahren waren 41 irakische Scud-Raketen auf Israel abgefeuert worden. Ein Israeli wurde dabei getötet. Damals verhielt sich Israel auch auf amerikanischen Wunsch hin passiv, doch die Untätigkeit der israelischen Streitkräfte führte zu einem Gefühl der Ohnmacht. Wird sich auch diese Art Ohnmacht wiederholen?

"Diesmal nicht. Es ist mit den Vereinigten Staaten besprochen und vereinbart, dass - sollte Israel angegriffen werden - es selber Gegenschläge führen wird. Geplant ist zudem - so die Kriegsplanung der Amerikaner, wenn die Informationen stimmen - ein Versuch der US-Streitkräfte, alle möglichen Abschussrampen für Raketen gegen Israel in einer ersten militärischen Aktion zu beseitigen."

Im Krieg gegen den Irak 1991 schlug sich Palästinenser-Präsident Jassir Arafat als einer von wenigen arabischen Spitzenpolitikern auf die Seite von Saddam Hussein. Und diesmal?

"In den letzten zwei Jahren haben zwar verschiedene Palästinensergruppen intensive Kontakte zu Bagdad gepflegt, ich gehe aber davon aus, dass sich Arafat und seine Autonomie-Behörde diesmal zurückhalten werden. Wir wissen, dass der Irak den Angehörigen palästinensischer Selbstmord-Terroristen pro Familie zunächst einmal 10.000 Dollar und danach noch mehr Geld hat zukommen lassen. Das ist eine Art Wirtschaftshilfe für die Palästinenser. Die Position der Palästinenser ist eindeutig pro-irakisch. Aber aus politischer Vernunft täten die Palästinenser und ihre Führung gut daran, diese Sympathien für Saddam Hussein zurückzuhalten. Denn damit können sie politisch nichts gewinnen."

Und nach einem Irak-Krieg? Viele Experten befürchten einen regionalen Flächenbrand mit blutigen Unruhen. Auch von weiteren regionalen Kriegen ist manchmal die Rede. Drohen dadurch Israel, das sich als jüdischer Staat in einem arabisch-islamischen Umfeld von vielen Feinden umgeben sieht, am Ende doch noch große Gefahren?

"Auch das sind Horrorszenarien, die jeder realistischen Analyse entbehren. Darüber hinaus ist zu sagen, dass die nahöstliche Staatenwelt - wie viele Regionen dieser Erde - im Zuge des Post-Kolonialismus durch künstlich geformte Staaten geprägt ist, die über kurz oder lang in dieser Form nicht zu halten sind. Das heißt, wenn es zu regionalen Unruhen kommt, dann ist dieser Krieg letztlich nur der Auslöser für etwas Tiefgreifendes, nämlich für die Unfähigkeit der ehemaligen Kolonialmächte und auch der Vereinten Nationen, eine funktionierende neue Staatenwelt zu schaffen, die den Wünschen der betroffenen Menschen entspricht. Der Krieg wäre dann ein Beschleuniger - wenngleich kein erfreulicher Beschleuniger. Aber diese Szenarien, sollte es zu denen kommen, werden ohnehin über kurz oder lang eintreten. Sie stehen aber in keinem direkten Zusammenhang mit dem Krieg."