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Ohne Humptata

4. August 2004

Es ist wie Woodstock, Loveparade und Karneval in einem: Im serbischen Städtchen Guca zieht Anfang August infernalischer Lärm ein: Bis zu 300.000 Menschen kommen zum Festival des Gypsy-Bras. Jedes Jahr.

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Melancholie erst im Vollrausch: Festival in GucaBild: AP

Dreieinhalb Autostunden südlich von Belgrad findet sich das kleine Städtchen Guca. 3000 Menschen führen dort ein ruhiges und beschauliches Leben. Die Gegend ist in ganz Serbien bekannt für die Kultivierung köstlicher Himbeeren. Einmal im Jahr aber, Anfang August, platzt Guca aus allen Nähten und die Beschaulichkeit wird mit infernalischem Lärm verscheucht: Seit 40 Jahren trifft sich dort die Blechbläserszene des Balkans zum "Dragacevski Sabor Trubaca", einer Art Weltmeisterschaft der Blaskapellen. Und bis zu 300.000 Menschen feiern ein Fest, dass den Serben Woodstock, Loveparade und Karneval in einem ist. In diesem Jahr zum 43. Mal.

Die Liebe zur Trompete

Balkan- oder Gypsy-Bras, wie diese furiose Blechblasmusik genannt wird, ist im Süden Serbiens ungeheuer beliebt. Es gibt hunderte von Formationen, die oft über mehrere Generationen bestehen. Der Balkan-Bras hat nur sehr wenig mit dem betulichen Humbtata mitteleuropäischer Blaskapellen und noch weniger mit dem gradlinigen Gestampfe von Militärmärschen zu tun - obwohl ausgerechnet die Militärkapellen der verhassten türkischen Besatzer einst die Liebe zur Trompete und anderen Messinginstrumenten entfachte.

Vor allem die örtlichen Roma entwickelten damit eine vor Lebenslust überbordende, schnelle, lärmige Tanzmusik. Eine Art archaischer Jazz, der im ländlichen Serbien bei Geburten, Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen, Erntedank- und Kirchenfesten, sprich bei keiner wichtigen Veranstaltung, fehlen darf. Tuba und Pauke liefern im Neun-Achtel-Takt das rhythmische Fundament für das wichtigste Instrument - die Trompete. "Ich wusste gar nicht, dass man sie so spielen kann", sagte ein beeindruckter Miles Davis, der einmal als Ehrengast zum Festival geladen war.

Boban Markovic
Boban MarkovicBild: www.somahang.hu

Außerhalb Serbiens wurde diese Musik durch die Filme Emir Kusturicas wie "Underground" und "Schwarze Katze, weißer Kater" bekannt. Deren furiose Soundtracks stammten von Boban Markovic - der 40-jährige Roma ist in Serbien ein Superstar. Sein "Boban Markovic Orkestra" hat es auf Tourneen bis in die USA geschafft, die CDs sind inzwischen auch in jedem mittelmäßig sortierten Plattenladen erhältlich. Markovic gilt inzwischen als einer der besten Trompeter der Welt. In Guca kennt ihn jeder.

Markovics Karriere ist eng mit dem Guca-Festival verbunden. Dessen Höhepunkt ist der live im Staatsfernsehen übertragene Abschlusswettkampf vor 60.000 Zuschauern um die "Goldene Trompete" und den Siegpreis von 40.000 Dollar. Markovic gewann ihn fünf Mal. Inzwischen wurde er gebeten, nicht mehr am Wettbewerb teilzunehmen, damit auch andere mal gewinnen können.

Der Oscar der Blechbläser

Für die Musiker ist dieser Oscar der Blasmusik nicht nur wegen Ruhm und Ehre enorm wichtig. Wer gut abschneidet, wird zur musikalischen Gestaltung von Festen eingeladen - und verdient damit gutes Geld. Und da in Roma-Familien musikalisches Können immer von den Vätern zu den Söhnen vermittelt wird, machen Roma-Kapellen die Preise meist unter sich aus. Für die auch in Serbien oft diskriminierten Roma ist ihre Musik somit eine echte Chance, zu Geld zu kommen.

Blechblasmusikfestival in Guca
GucaBild: AP

Für die Besucher ist aber vor allem eins wichtig: Feiern. Das Treiben in Guca während des Festivals lässt sich durchaus mit Szenen aus den Filmen Kusturicas vergleichen: Der Tag beginnt mit einem mächtigen Donnerschlag, dem "Wecken des Trompeters", der Rest des Tages ist bestimmt vom Lärmen der Dutzenden von Bands, die an jedem Fleckchen des Dorfes spielen - nebeneinander, übereinander, gleichzeitig.

Das Publikum ist quer durch alle Generationen bis spät in die Nacht hingebungsvoll mit tanzen, trinken (bevorzugt den örtlichen Schnaps Rakija), essen (Spanferkel) und wieder tanzen beschäftigt. "Die Leute sind fröhlich, bis sie betrunken sind", sagt Markovic. "Dann wollen sie melancholische Lieder." Und weil in Guca so ziemlich alle irgendwann betrunken sind, wird die Musik im Laufe der Nacht tatsächlich etwas ruhiger. Gegen vier Uhr packen dann auch die letzten Kapellen ein. Für einige Stunden kehrt Ruhe tatsächlich ein - bis zum erneuten Weckruf für die Trompeter. (sams)