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Oh Weh-Mail

Konstantin Klein26. Juli 2004

'You've got mail' - betont fröhlich verkündet die Stimme den AOL-Kunden neue Post. Vor allem für Netznovizen ist das ein aufregender Moment. Nach einer Weile jedoch bekommt die Ankündigung einen drohenden Unterton.

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Lawrence Lessig, Rechtsprofessor an der Harvard Law School und Internet-Visionär, hat ein Problem: Er bekommt zu viel Mail. Wohlgemerkt: Er bekommt zuviel legitime E-Mail, nicht etwa nur den inzwischen üblichen Müllhaufen der internationalen Sexverbesserer- und Kreditkartennummern-Mafia. Seit 2002 hat sich solch ein Stapel unbeantworteter Nachrichten in seiner Mailbox angehäuft, dass er Anfang Juni 2004 die weiße Fahne hisste - natürlich per E-Mail:

"Lieber Mensch, der mir eine Nachricht geschickt hat, auf die ich noch nicht geantwortet habe: Ich bitte um Vergebung, aber ich erkläre hiermit meinen E-Mail-Bankrott."

Das war's. Empfänger dieser Nachricht brauchen auf eine Antwort nicht mehr zu warten. Der Mann, der es als Kämpfer gegen elektronischen Werbemüll zu einer gewissen Netz-Prominenz gebracht hat, hat aufgegeben.

"Dem seine Probleme möcht' ich haben", brummelt daraufhin Thomas D. ( "D" wie"Durchschnitts-") Netzbürger, grammatikalisch nicht ganz korrekt, und wendet sich den fünf Spam-Mails, dem weitergeleiteten lahmen Witz von Schwager Rolf und der unangenehmen Nachricht seines Versicherungsvertreters zu, die sich in seiner weitläufigen Mailbox ein wenig einsam fühlen.

Dabei übersieht Herr Netzbürger allerdings, dass auch aus ihm früher oder später ein Lawrence Lessig werden kann. E-Mail ist nach wie vor die "Killer-Anwendung" des Internet und für viele der einzige wirkliche Grund, sich einen Netzzugang zu beschaffen ("Du, Schatzi, jetzt hat die Oma auch schon Ih-Mehl - meinst Du nicht, wir sollten auch...?").

E-Mail ist einfach zu benutzen, sie ist schnell, sie ist praktisch, sie ist überall. Wir haben nur noch nicht gelernt, mit ihr umzugehen. Gut, wir wissen, wo das "@"-Zeichen zu finden ist, und mittlerweile haben wir auch gelernt, dass nicht alle Mailadressen "@t-online.de" sind. Aber viele von uns kennen noch immer nicht den Unterschied zwischen dem "Antworten"-Knopf zur Antwort an den Absender einer Nachricht und dem, mit dem die Antwort an alle Empfänger der ursprünglichen Nachricht geht.

Diesem Unwissen verdankte ich einst eine reichlich private Konversation zweier junger Damen, die ich nicht einmal kannte - und nach dem Lesen ihrer Nachrichten auch nicht kennenlernen wollte.

Dann gab es noch jene andere, nur wenig ältere Dame, die sich einmal bei mir beklagte, sie fände sich in ihrer Mail nicht mehr zurecht. Es stellte sich heraus, dass sie eigentlich nur zwei Fächer in ihrem Mailprogramm kannte: Den Posteingangs- und den Papierkorb. Da sie auch eher Sammlerin als Jägerin war, verstopften etwa 2000 Mails ihre Inbox. Entsprechend wackelig war sie auf den Beinen. Die Mailbox, nicht die Dame.

Dabei ist es durchaus möglich, mit der anschwellenden Mailflut fertig zu werden. Schließlich können Computer eines ganz besonders gut: Langweilige, öde Routineaufgaben übernehmen. Und das Filtern und Sortieren von Mailmassen ist langweilig und öde.

Schon die Standard-Mailprogramme wie Outlook Express (auf Windows-PCs) haben simple Filter, die man nur aktivieren muss, um alle Mail von Tante Walburga automatisch in das Fach "Erbtante" zu verschieben, alle Mail von Schwager Rolf kommentarlos zu löschen und die Nachrichten vom Chef mit einem roten Ausrufezeichen zu versehen.

Viele Mailprogramme und Webmail-Dienste bieten darüber hinaus überraschend wirkungsvolle Spam-Filter, die mit unerwünschter Schweinemail kurzen Prozess machen. Dann gibt es die - leider nicht kostenlosen - Super-Mail-Programme, die soviel leisten wie ein persönliches E-Mail-Sekretariat: Sie filtern Nachrichten, schmeißen weg, was wegzuschmeissen ist, schicken nach, was nachzuschicken ist, und wenn man es ihnen sagt, antworten sie automatisch und mit individuellen Texten auf Mail, die man selbst erst später lesen will. The Bat! ist ein solches Programm.

Und für die Sammler und Sammlerinnen unter uns gibt es Bloomba - ein Programm, das auch der Dame mit der wackeligen Mailbox gefallen könnte: Es zwingt den Nutzer nicht mehr dazu, mit Filtern oder auch mit der Hand Ordnung zu schaffen, sondern wirft alle Nachrichten auf einen riesengroßen virtuellen Hümpel. Und es bietet eine Google-artige Suchfunktion, um den Hümpel unter Kontrolle zu halten - gemäß der Maxime: Nur kleine Geister halten Ordnung, im Chaos erweist sich das wahre Genie.

E-Mail ist tot - das versuchen uns die Pessimisten unter den Web-Visionären einzureden. In Wahrheit müssen wir nur lernen, sie zu bändigen.