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Oh My God!

Konstantin Klein, Washington1. Juli 2002

Eine Entscheidung eines Berufungsgerichtes sorgt für Aufregung: Die Erwähnung Gottes im morgendlichen Fahnengelöbnis amerikanischer Schulkinder ist verfassungswidrig.

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Mit Gott ist das so eine Sache. Sein Reich ist nicht von dieser Welt, und eine Demokratie ist es nach allem, was wir wissen, auch nicht. Die größte Demokratie der Welt, auf der anderen Seite, erwähnt Gott in ihrer Verfassung nicht mit einem einzigen Wort; und erst im First Amendment der U.S. Constitution steht, daß der Senat keine Religion zur offiziellen Staatsreligion machen darf, aber auch niemand von der Ausübung seiner privaten Religion abhalten darf.

So gesehen, sind Gottes Reich und das des jeweils amtierenden Präsidenten sauber getrennt in den USA - wenn da nicht Dr. Michael Newdow wäre, ein Arzt aus Kalifornien. Unter Berufung auf die Verfassung nimmt Dr. Newdow für sich und seine Familie in Anspruch, Atheisten zu sein und somit die selben Rechte zu haben wie alle anderen Amerikaner. Und als offiziell anerkannte Atheistin müsse auch seine kleine Tochter vor jeder Diskussion oder auch nur Erwähnung Gottes sicher sein.

Nation unter Gott

Nun geht little Miss Newdow auf eine öffentliche Schule, und dort ist es in den USA üblich, jeden Morgen die "Pledge of Allegiance" abzulegen, eine Art Fahnengelöbnis. Und im Text dieser Pledge steht seit einem Kongressbeschluss im Jahr 1954, daß die USA eine Nation "under God" sei.

Diese Formulierung sei deshalb verfassungswidrig, urteilte der Berufungsgerichtshof in San Francisco. Der Aufschrei war gewaltig.

Nicht nur konservative Senatoren und Abgeordnete erscheinen jetzt pünktlich zur Plenarsitzung auf dem Kapitolshügel; schließlich will sich keiner erwischen lassen, bei der auch hier üblichen Pledge of Allegiance nicht dabei zu sein und die Worte "under God" besonders laut und deutlich auszusprechen. Dass der Präsident selbst als wiedergeborener Christ mit der Entscheidung nicht einverstanden sei, setzte sein Sprecher, übrigens kein Christ, als selbstverständlich voraus.

Lieber schwul als ungläubig

Mal ganz abgesehen davon, daß die Erwähnung Gottes wohl das einzige an der Pledge ist, das Zweitklässler überhaupt verstehen – Patriotismus, Nation, Republik und Freiheit sind Begriffe, die im Leben eines Siebenjährigen noch keine große Rolle spielen -: Wenn die Entscheidung Bestand haben soll, woran selbst einer der beteiligten Richter seine Zweifel hat, dann haben die USA ein Problem. Viele Millionen Probleme. Auf jedem Dollarschein steht "In God We Trust"; "oh my God" ist der offizielle Schreckensschrei amerikanischer Fernsehserienheldinnen, und in Umfragen geben Amerikaner an, lieber einen schwulen Präsidenten haben zu wollen als einen ungläubigen.

All das ist der Grund, weshalb die Berufsphilosophen in den amerikanischen Medien jetzt nach Wegen suchen, "Gott" im öffentlichen Leben der USA zu belassen, ohne einen Gott zu unterstellen; "Gott" steht deshalb bis auf weiteres für ein höheres Prinzip, mit dessen Existenz sich alle abfinden können. Wenn sie sich da nur nicht in Dr. Newdow täuschen.