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Odinga: "Hätten viel mehr tun können"

Andrea Schmidt12. Dezember 2013

Am 12. Dezember 1963 erlangte Kenia die Unabhängigkeit von Großbritannien. Im Interview mit der Deutschen Welle blickt der kenianische Oppositionsführer Raila Odinga kritisch auf das Erreichte zurück.

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Kenias Oppositionsführer Raila Odinga (Foto: Getty Images/AFP)
Bild: Getty Images/AFP

DW: Ihr Vater, Oginga Odinga, spielte eine Schlüsselrolle in der kenianischen Unabhängigkeitsbewegung. Sie sind in seine politischen Fußstapfen getreten. Wie sehen Sie die kenianische Politik 50 Jahre nach der Unabhängigkeit?

Raila Odinga: 50 Jahre sind eine lange Zeit im Leben einer Nation. Aber andererseits sind 50 Jahre für ein Land auch nicht so lang. Zur Zeit der Unabhängigkeit hegte die Bevölkerung Kenias große Hoffnung auf Entwicklung. Damals sagte man, wir wollen gegen vier große Feinde kämpfen: Das waren Hunger, Armut und Krankheit und Ignoranz. Aber 50 Jahre später sind diese Feinde immer noch da, vielleicht sogar stärker geworden. In einigen Teilen des Landes gibt es kein sauberes Wasser zum Trinken. Es gibt noch Kenianer, die nicht schreiben und lesen können oder an behandelbaren Krankheiten sterben. Zwar hat die Regierung viel in die Entwicklung investiert, etwa in die Ausbildung der Leute. Zur Unabhängigkeit vor 50 Jahren war es ein Privileg, zur Schule zu gehen. Heute ist das normal, und die Grundschule ist sogar gratis, ohne Schulgeld. Aber ich muss sagen, wir hätten viel mehr tun können.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen heute, 50 Jahre nach der Unabhängigkeit?

Erstens müssen wir das Land vereinigen. Es gibt noch viele Stammesstreitigkeiten. Unser Land ist noch sehr geprägt von Stammesdenken. Und zweitens brauchen wir Industrien. Wir müssen ausländische Investoren ins Land bringen.

Sie sprachen es eben an: Kenia ist ein Vielvölkerstaat mit mehr als 40 Ethnien. Es gibt immer wieder brutale Kämpfe zwischen den Volksgruppen, die auch mit einer ungerechten Landverteilung zu tun haben. Wie können diese Probleme gelöst werden?

Wir haben jetzt eine nationale Landpolitik und ein neues Landgesetz. Wenn man das umsetzt, kann man Ungleichheiten und Unterschiede in der Kontrolle des Landes vermeiden oder vermindern. Wir haben das Landproblem geerbt von der Kolonialherrschaft. Die Engländer haben uns das Land, die 'white highlands', weggenommen. Nachdem die weggegangen waren, wurde das nicht gleichmäßig verteilt. Deswegen gibt es viele Spannungen. Es liegt jetzt in der Verantwortung der Regierung, die neuen Gesetze zu nutzen, um diese Probleme zu lösen.

Seit drei Jahren hat Kenia eine neue Verfassung, allerdings sind noch nicht alle Reformen umgesetzt. Woran liegt das?

Wir haben die Verfassung und neue Gesetze. Wir haben angefangen, diese Reformen zu implementieren. Die Polizei-Reform ist unterwegs. Die des Geheimdienstes, der Justiz und des Öffentlichen Dienstes - die sind noch nicht ganz so weit. Aber wir hoffen, wenn das gemacht ist, dann verbessert sich die Sicherheit im ganzen Land. Zurzeit gibt es noch Unruhen in einigen Teilen des Landes, in Turkana-Region, an der Grenze zu Somalia und auch an der Küste. Die Disziplin in der Polizei ist nicht so hoch, wie sie sein soll. Aber wir haben Fortschritte gemacht, und die neue Regierung hat die Aufgabe, das bis zu Ende zu führen.

Ein Fischer posiert mit einer AK47 im Anschlag (Foto: Valerian Mazataud/Wostok Press/Maxppp)
In einigen Regionen Kenias gibt es Kämpfe - um Land, Vieh und FischBild: picture-alliance/dpa

Das Parlament hat ein Gesetz vorgelegt, dass die Pressefreiheit einschränken könnte. Sicherheitskräfte haben Medien eingeschüchtert, nachdem diese die Armee und Polizei bei Plünderungen nach dem Terroranschlag in der Westgate Mall im September gezeigt hatten. In der Verfassung ist die Pressefreiheit garantiert, aber wie steht es um diese Freiheit?

Sie wissen, haben wir sehr lange gekämpft, um die Pressefreiheit durchzusetzen. Weil so viele Leute gegen dieses neue Gesetz protestiert haben, hat der Präsident gesagt, er wolle das nicht unterschreiben. Daher hat er es ans Parlament zurückgegeben, damit es geändert wird. Aber es ist dennoch ein sehr negatives Zeichen. Und es gibt noch eine andere Gesetzesänderung, die die Nichtregierungsorganisationen betrifft. Jetzt heißt es, sie dürften nicht mehr als 15 Prozent ihres Budgets vom Ausland bekommen. Es riecht wie früher, unter der Regierung von Daniel Arap Moi, als es keine Freiheit für unabhängige Organisationen gab. Es ist gefährlich, und deswegen haben wir gegen diese Veränderungen protestiert.

Überschattet die Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof gegen Präsident Uhuru Kenyatta und seinen Stellvertreter William Ruto die kenianische Politik und die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit?

Das ist bedauerlich, dass dieser Gerichtshof unsere Politik zu dieser Zeit dominiert. Man hatte ja gesagt während der Wahlkampagne, dass die Anklage Kenyattas und Rutos Privatangelegenheit sei. Jetzt hat es sich doch in eine nationale Angelegenheit verwandelt. Unsere Außenpolitik dreht sich um den Internationalen Strafgerichtshof. Die Regierung hat ja versucht, diesen Prozess zu verschieben. Das hat nicht geklappt. Meine Meinung ist, dass der Prozess weitergehen muss. Wir haben viele Leute, die ihre Verwandten verloren haben. Wir haben mehr als 1300 Menschen bei den Unruhen 2007/2008 verloren. Man denkt nicht an diese Leute, man denkt nur an die Angeklagten. Meiner Meinung nach ist das falsch. Wir haben als Partei gesagt, dass dieser Prozess in Den Haag weitergehen muss. Wenn diese Leute unschuldig sind, wie sie sagen, dann haben sie nichts zu befürchten.

Werden Sie bei den nächsten Wahlen 2017 wieder kandidieren?

Ich weiß nicht, ob ich dann noch lebe und gesund bin, deswegen will ich nicht spekulieren. Es sind noch vier Jahre bis 2017. Wenn die Leute und meine Partei mich haben wollen, werde ich darüber nachdenken.

Was wünschen Sie sich für Kenias Zukunft?

Erst einmal Frieden. Zweitens: Demokratie und Entwicklung. Unsere Nationalhymne sagt, dass wir in unserem Land in Freiheit und Solidarität zusammen leben sollen, in einem demokratischen und liberalen Land ohne Armut und Krankheit. Das ist das Kenia, das ich mir wünsche und das ist mein größter Traum.

Raila Amollo Odinga, stammt aus einer berühmten Politikerfamilie. Er studierte in der damaligen DDR Maschinenbau. Mit seinem Orange Democratic Movement ging er bei den Wahlen 2007 als Spitzenkandidat ins Rennen. Als Amtsinhaber Mwai Kibaki sich zum Sieger erklärte, beschuldigte Odinga ihn des Wahlbetrugs. Der Streit stürzte Kenia in seine größte Krise seit der Unabhängigkeit. Bei den Wahlen 2013 verlor er knapp gegen Uhuru Kenyatta und ist jetzt Oppositionsführer Kenias.

Das Interview führte Andrea Schmidt