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Oberhaupt der bosnischen Muslime fordert Großmufti für Europa

9. Februar 2006

Im Karikaturen-Streit mahnt er zur Besonnenheit, fordert auch Muslime zum interreligiösen Dialog auf. Mustafa Ceric, Oberhaupt der bosnischen Muslime, bekleidet ein Amt, das europaweit ein Vorbild sein könnte.

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Kaum jemand in Europa kennt sein AmtBild: AP

Mustafa Ceric bekleidet ein Amt, das einmalig in der ganzen Welt ist. Er ist Reis ul-ulema. Dieses Wort kommt aus dem Arabischen und bedeutet sinngemäß "Der Führer der Gelehrten". Seit 1993 ist Ceric das religiöse Oberhaupt der bosnisch-herzegowinischen Muslime und in vieler Hinsicht ihr höchster politischer Repräsentant. Auch diese zweite Rolle war gewollt, als Ende des 19. Jahrhunderts nach der Annexion Bosnien-Herzegowinas durch die österreichisch-ungarische Monarchie die neuen, christlichen Herrscher die Institution des Reis ul-ulema gründeten. Sie brauchten einen verlässlichen und starken Ansprechpartner in der größten Bevölkerungsgruppe des gerade annektierten und von Unruhen erschütterten Landes.

Gefestigte europäisch-islamische Tradition

Doch diese aus Not und Pragmatismus entstandene höchste religiöse Instanz hat sich bewährt und wird von der übergroßen Mehrheit der muslimischen Bosniaken - die etwa 48 Prozent der Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas ausmachen - als wichtiger Teil einer gefestigten europäisch-islamischen Tradition akzeptiert. Der jetzige Reis ul-ulema Mustafa Ceric wurde im September 2005 von einem 83-köpfigen Gremium aus Muftis, islamischen Gelehrten, Imamen und Mitgliedern des Verwaltungsratsrates der Islamischen Religionsgemeinschaft für sieben Jahre wieder gewählt.

Allgemein gilt der 54-jährige Geistliche als gemäßigter, ökumenisch offener Religionsführer, der sich für einen toleranten bosnischen Islam europäischer Prägung einsetzt. So war es keine Überraschung, dass er sich vor dem Hintergrund der Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen eindeutig gegen eine geplante Demonstration vor den westeuropäischen Botschaften in Sarajewo ausgesprochen hatte: "Im Namen der Islamischen Religionsgemeinschaft von Bosnien-Herzegowina möchten wir bekannt geben, dass wir nicht die Absicht haben, irgendwelche Proteste zu organisieren. Wir haben unsere Unzufriedenheit wegen der Veröffentlichung der Karikaturen bereits beim letzten Freitagsgebet geäußert. Auch mit dieser Pressekonferenz wollen wir diese Unzufriedenheit nochmals betonen. Wir denken aber, dass dies ausreicht für Bosnien-Herzegowina. Ich lade alle Muslime des Landes dazu ein, dieser Einschätzung der Islamischen Religionsgemeinschaft zu vertrauen."

Aufruf zum interreligiösen und interkulturellen Dialog

Mustafa Ceric hat aber zugleich die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen scharf verurteilt. In seiner Pressekonferenz verlangte er von den europäischen Medien, "dass sie aufhören, Islamophobie zu verbreiten, Muslime zu beleidigen und Ängste auf beiden Seiten zu schüren". Trotzdem sieht er im Streit um Karikaturen die Bringschuld auch bei den Muslimen. Er forderte:"Muslime in der ganzen Welt und vor allem die in Europa sollen den interreligiösen und interkulturellen Dialog eröffnen".

Kritik aus den Medien

Trotz seines Ansehens in Europa wird Ceric von den linksliberalen Zeitungen in Bosnien-Herzegowina oft kritisiert. Es wird ihm vorgeworfen, viel zu zaghaft gegen die aus der arabischen Welt stammenden Wahhabiten vorzugehen, die nach dem Krieg mit islamischen Hilfsorganisationen ins Land kamen. Übel genommen wurde ihm zudem sein lascher Umgang mit den Spitzeln des ehemaligen kommunistischen Regimes, die immer noch im "Rijaset", dem höchsten administrativen und religiösen Rat der Islamischen Gemeinschaft sitzen. Sie wurden von Ceric selbst rehabilitiert, und da dies kurz vor seiner Wiederwahl passierte, vermuten viele Kolumnisten politisches Kalkül und Opportunismus dahinter. Denn viele von den ehemaligen inoffiziellen Mitarbeitern des jugoslawischen Geheimdienstes sitzen auch im Gremium, von dem der Reis ul-ulema Mustafa Ceric wieder gewählt wurde.

Ein Großmufti für ganz Europa?

Dem ehemaligen Imam am Islamischen Kulturzentrum in Chicago sind Schwächen seines Amtes wohl bekannt. Trotzdem hat er vorgeschlagen, die Institution des Reis ul-ulema europaweit einzuführen. Er vertritt die Meinung, dass sowohl die zugewanderten als auch die autochthonen Muslime in Europa eine einheitliche Repräsentanz entwickeln müssen. Die kritischen Beobachter seines Wirkens erklären sein Engagement oft damit, dass Mustafa Ceric wohl die besten Chancen hätte, der erste Großmufti von Europa zu werden.

Benjamin Pargan
DW-RADIO/Bosnisch, 9.2.2006, Fokus Ost-Südost