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Nutzlose Medikamente auf den Markt?

2. Oktober 2010

Eigentlich wollte die Bundesregierung bei den Kosten für Medikamente in Zukunft sparen. Doch hinter den Kulissen scheint die Pharmaindustrie neue Gesetze für sich zu beeinflussen.

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Frau nimmt Medikamente ein (Foto: Bilderbox)
Medikamente sind oft nutzlosBild: Bilderbox

Seit Jahren steigen für die Menschen in Deutschland die Ausgaben für ihre Gesundheitsvorsorge. Erst kürzlich hat sich die Bundesregierung auf eine neue Gesundheitsreform verständigt, die höhere Beiträge und Zusatzkosten vorsieht. Ab dem
1. Januar 2011 müssen Arbeitnehmer in einer gesetzlichen Krankenversicherung nun sogar 8,2 Prozent ihres Bruttoarbeitslohns für die eigene Gesundheit aufwenden.

Gründe für steigende Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung sind unter anderem der medizinische Fortschritt und die alternde Bevölkerung. Am meisten Geld geben die Krankenkassen dabei für die Krankenhausbehandlung, Medikamente und Arzthonorare aus. Vor allem die Kosten für die Medikamente sind in letzer Zeit explodiert. Inzwischen haben sie die Schwelle von 30 Milliarden Euro pro Jahr überschritten. Das liegt aber auch an einer deutschen Besonderheit. Kommt ein neues, meist auch teureres Arzneimittel auf den Markt, müssen bzw. dürfen vorher die Pharmahersteller selber nachweisen, dass das neue Medikament zusätzlichen Nutzen schafft im Vergleich zu bereits am Markt erhältlichen Mitteln.

Regierung lässt Pharmafirmen freie Hand

Eigentlich hatte sich die neue Bundesregierung nach ihrem Wahlsieg im September 2009 unter anderem vorgenommen, die Kosten für Medikamente zu senken und das deutsche Verfahren zu ändern. Doch nun scheint die Koalition den Pharmafirmen möglicherweise doch weitgehend freie Hand bei neuen, teuren Arzneimitteln zu lassen.

Eine junge Frau trimmt sich im Fitnessstudio (Foto: dpa)
Regelmäßige Bewegung hilft der eigenen Gesundheit mehr, als die Einnahme von TablettenBild: picture alliance / dpa

Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken (G-BA) und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) kritisierten nun einen entsprechenden Änderungsantrag der Regierungskoalition zur geplanten Neuordnung des Arzneimarktes. Nach dem Antrag soll der Bundesausschuss neue Medikamente nur dann nicht auf den Markt bringen dürfen, wenn er beweisen kann, dass ein Mittel keinen Zusatznutzen hat.

Wirkungslose Medikamente auf den Markt?

"Das geht nicht", sagte Jürgen Windeler, Leiter der IQWIG. "Man kann nicht prinzipiell etwas beweisen, dass etwas nicht da ist", erklärte der oberste Arzneimittelprüfer des Landes. Es scheint so, als wenn die Koalition den Arzneiherstellern die Vermarktung neuer Medikamente erleichtern will. Ob die Mittel den Patienten überhaupt nützen, soll dann anscheinend keine Rolle mehr spielen.

Dieter Lehmkuhl, Vorstandsmitglied des Vereins Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW), ist erbost über die Planungen der Regierung: "Logisch ist das unmöglich. Es ist eine Katastrophe und nicht durchdacht." 70 Prozent der Medikamente, die schon heute auf dem Markt sind, hätten ohnehin keinen oder nur marginale Zusatznutzen für die Menschen. "Die Mittel werden aber mit enormen Kosten auf den Markt gedrückt," erklärt der Facharzt für Psychiatrie.

Fleißige Pharmalobby

Dieter Lehmkuhl (Foto: dpa)
Dieter Lehmkuhl hofft auf eine öffentliche Debatte über die Pläne der RegierungBild: dpa / picture-alliance

Die Pharmalobby scheint ganze Arbeit geleistet zu haben. Lehmkuhl meint, er könne sich die Ergebnisse nur mit einer Einflussnahme der Pharmakonzerne auf die Regierungskoalition erklären. "Ich kann es mir nicht anders erklären, teilweise sind ja Passagen der Pharmaindustrie wortwörtlich übernommen worden und in Gesetzestexten wieder aufgetaucht," berichtet Lehmkuhl entsetzt. Die Regierung müsse zwar mit der Pharmaindustrie zusammen arbeiten, erklärt der Berliner Arzt, "aber die Distanz darf sie nie verlieren, sonst haben wir wie jetzt eine Monopolstellung."

Dass es den Pharmakonzernen nur um den Profit gehe, will Lehmkuhl mit einer Statistik aus Indien zeigen. Nur etwa ein Viertel der indischen Bevölkerung könne sich Medikamente überhaupt leisten, für den Rest sind sie unerschwinglich. Doch die Pharmaindustrie im Land denke nicht daran, die Preise zu senken, um die Medikamente für mehr Menschen bezahlbar zu machen.

Ohnehin sei die Wirkung von Medikamenten überschätzt. "Arzneien machen nur bis zu 30 Prozent des medizinischen Fortschritts aus. Viel effektiver sind Hygenie, gesunde Ernährung, Bewegung und Bildung über die Gesunderhaltung," fasst Lehmkuhl zusammen.

Autor: Arne Lichtenberg
Redaktion: Klaudia Prevezanos

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