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Nutzen und Gefahr - Web 2.0 im Nahen Osten

27. Oktober 2010

Sie sind schnell, gut vernetzt und fast überall anzutreffen: Internet-Blogger. Innerhalb weniger Minuten können sie Informationen weltweit verbreiten. Ganz vorne mit dabei sind viele junge Menschen in arabischen Ländern.

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Blogger können den Regierungen im Nahen Osten oft unangenehm werden

Während sich die traditionellen Medien mit ethischen Fragen auseinandersetzen und sich dabei an den etablierten journalistischen Grundsätzen orientieren, verzichten die meisten Privatpersonen im Netz ganz bewusst auf Selbstzensur und Neutralität. Zum Beispiel in Blogs - einsehbaren Tagebüchern im Netz, meist in der Ich-Perspektive geschrieben, die Sachverhalte protokollieren oder in Gedanken Einblicke gewähren. In jedem Land hat das so genannte Web 2.0 eine andere Funktion, sagt Susanne Fengler, Direktorin des Erich-Brost-Instituts für internationalen Journalismus: "Wenn wir uns die westlichen Länder anschauen, dann haben wir dort eher die Situation, dass dort ganz stark der Inhalt der Massenmedien weiterverarbeitet wird", so Fengler. Blogger nähmen sich vielmehr Textbausteine, kommentierten diese und verwerteten sie damit weiter. "Man kann also nicht davon reden, dass sich Social Media und Journalismus in die Quere kommen", sagt Fengler.

Farnaz Seifi, eine der ersten weiblichen Bloggerinnen im Iran (Foto:DW)
Farnaz Seifi, eine der ersten weiblichen Bloggerinnen im IranBild: DW/Cinnamon Nippard

Anders in Ländern mit autoritären Regimen, in der arabischen Welt zum Beispiel. Dort sind Angebote wie Facebook, Twitter und Co. den Regierungen ein Dorn im Auge. Im Netz wird das zur Sprache gebracht, was die Massenmedien nicht schreiben dürfen. Nach der Wahl im Iran im vergangenen Jahr zum Beispiel herrschte eine regelrechte Twitter-Revolution. Der Mikronachrichtendienst spielte eine erhebliche Rolle bei den Protesten, auch wenn die konservativen Kräfte im Land versuchten, das Netz zu kontrollieren. Die iranische Journalistin und Bloggerin Farnaz Seifi ist sehr froh, dass sich die Menschen im Iran nicht nur auf die traditionellen Medien verlassen müssen. "Es gibt keine unabhängige Presse mehr in unserem Land und die meisten wirklich guten Journalisten sind entweder im Knast oder sie mussten fliehen." In solch einem Fall, sei es wichtig, dass "die normalen Bürger die journalistische Funktion übernehmen. Sie sind unsere wichtigste Quelle", sagt die engagierte Bloggerin.

Mit Facebook gegen die Zensur

Schatten von Jugendlichen vor dem Facebook-Logo(Foto:dpa)
Portale wie Facebook werden oft genutzt, um die staatliche Zensur zu umgehenBild: picture alliance/dpa

Auch in Ägypten, wo Kritik an der Regierung nicht gestattet ist, haben soziale Medien die Menschen mobilisiert. Im Frühjahr 2008 etwa formierte sich eine Gruppe im sozialen Netzwerk "Facebook": Die über 70.000 Anhänger wollten ägyptische Arbeiter bei einem Streik gegen die erhöhten Lebenshaltungskosten und die schlechten Löhne unterstützen. Das Ergebnis war eine der dynamischsten Debatten, die Ägypten im Internet je gesehen hat. "Die neuen Medien sind ein sehr effektiver Weg, um Demokratie voranzutreiben, und auch, um Menschen, die sich sonst politisch nicht engagieren, zu aktivieren", sagt Ehab el Zelaky vom Online-Portal "Al Masry al Youm".

In Deutschland ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten, auch wenn die politische Situation anders ist als im Iran oder in Ägypten: Das Bahn-Projekt Stuttgart 21 zum Beispiel hat viele ältere Menschen mobilisiert, sich mit jungen Menschen zu vernetzen. Das ist nötig, um spontan Demonstrationen ins Leben rufen zu können. Weit über die Hälfte der Firmen setzen soziale Medien auch schon in irgendeiner Form für geschäftliche Zwecke ein. Zu dieser Schlussfolgerung gelangt der aktuelle "Social Media Report 2010/11" der Software-Initiative Deutschland e.V. und des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik FIT. Und auch auf die klassischen Medien haben soziale Medien großen Einfluss. "Die beiden Bereiche kommen sich in Sachen Selbstkritik in die Quere", stellt Susanne Fengler vom Erich-Brost-Institut fest. Es fänden sich gute Beispiele in Deutschland, wo Blogger oder Leute bei Facebook klassische Medien stark kritisiert hätten, weil sie mit der Qualität der journalistischen Berichterstattung nicht zufrieden gewesen wären.

Qantara-Konferenz zu Web 2.0 in der arabischen Welt (Foto:Qantara.de)
Auf einer internationalen Qantara-Konferenz über die Rolle der Medien im interkulturellen Dialog in Berlin wurde auch lebhaft über die Bedeutung des Web 2.0 in der arabischen Welt diskutiertBild: DW

Die Zeitung hat nicht ausgedient

Also: Auch klassische Medien haben eine Zukunft. Es werde immer Menschen geben, so Fengler, die Wert auf professionelle journalistische Arbeit legten. Blogger und Twitterer seien zwar oft schneller, aber den meisten Usern sei bewusst, dass das noch kein Beweis für die Richtigkeit einer Nachricht ist, so Farnaz Seifi. "Ich denke, beides ergänzt sich und ergibt zusammen ein Ganzes", sagt die Bloggern aus dem Iran. Sorgen mache sie sich daher keine, dass das Web 2.0 den Journalismus ersetzen könnte.

Autorin: Diana Hodali
Redaktion: Thomas Latschan/Tamas Szabo