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Nur ein Zwischenakt?

23. Januar 2003

– Die zweite Runde der Präsidentenwahl in Tschechien

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Köln, 23.1.2003, DW-radio, Vladimir Müller

Wer kommt nach Vaclav Havel? Diese Frage soll am Freitag (24.1.) beantwortet werden, wenn das tschechische Parlament zusammentritt, um den neuen Staatspräsidenten zu wählen. Doch es ist alles andere als sicher, dass es am Freitag bereits zu einer Entscheidung kommt - die Mehrheitsverhältnisse sind nach wie vor unklar. Es ist bereits der zweite Versuch, einen Nachfolger für Havel zu finden - und möglicherweise nicht der letzte. Vladimir Müller berichtet.

Der erste Versuch scheiterte letzte Woche. Die Sozialdemokraten als stärkste Regierungspartei hatten nach internen Querelen einen aussichtslosen Kandidaten ins Rennen geschickt. Die meisten Stimmen in beiden tschechischen Parlamentskammern errang am letzten Mittwoch (15.1.) deshalb der frühere langjährige Ministerpräsident Vaclav Klaus von der oppositionellen Bürgerpartei ODS. Aber zur vorgeschriebenen absoluten Mehrheit reichte es nicht - deshalb nun der zweite Durchgang bei der tschechischen Präsidentschaftswahl.

Nun will Vaclav Klaus es noch einmal wissen. Der in seinen ersten Regierungsjahren Anfang der 90er Jahre außerordentlich erfolgreiche Wirtschaftsprofessor lässt keine Gelegenheit aus, seinen Anspruch auf das höchste Amt im Staat anzumelden. Seine Erfolgsgeschichte wird zwar von einer Parteispendenaffäre getrübt. Aber im Transformationsland Tschechien wird dies eher als Kavaliersdelikt betrachtet und spielt insofern keine große Rolle.

Klaus steigt also noch einmal in den Ring - und er würde gegebenenfalls auch in einer dritten Runde antreten. Wenn auch die scheitert, ist bereits eine Direktwahl durch das Volk eingeplant, für die allerdings erst noch die Verfassung geändert werden müsste.

Die meisten Tschechen würden ihn dann wohl auch wählen. Der 61-jährige konservative Politiker verkörpert für sie Solidität und Weltblick. Seine häufig schrill nach außen getragenen Aversionen gegen EU-Institutionen trugen dazu bei, dass Klaus bei den Wählern daheim als "Wahrer nationaler Interessen" wahrgenommen wird. Dieses Image pflegte Klaus auch im Streit um die Benes-Dekrete, also bei der Debatte über die Recht- bzw. Unrechtmäßigkeit der Vertreibung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg.

Bei der Wahl im pompösen Spanischen Saal auf der Prager Burg trifft Klaus am Freitag (24.1.) auf den einzigen tschechischen Politiker, den er als ebenbürtig ansieht: Milos Zeman, bis zum letzten Jahr Ministerpräsident und - obwohl offiziell erst seit dem letzten Wochenende aus dem Ruhestand geholt - der heimliche Held der tschechischen Sozialdemokraten. Wegen seiner nationalistischen Ausfälle gegen Österreicher, Sudetendeutsche, aber auch gegen Palästinenser noch im letzten Jahr seiner Ministerpräsidentschaft im Ausland wiederholt unangenehm aufgefallen, genießt Zeman zu Hause den Ruf des deftigen Kumpels. Er gilt zwar keineswegs als so solide wie Klaus, dafür mögen viele Tschechen seinen Humor und Unterhaltungswert. Kein zu vernachlässigender Faktor im Land des "Braven Soldaten Schwejk".

Vieles spricht dafür, dass dem zweiten Wahlgang ein dritter folgen wird. Weder Klaus noch Zeman können mit der erforderlichen absoluten Stimmenmehrheit rechnen. Im Spiel ist übrigens auch noch eine dritte Kandidatin – die als chancenlos eingeschätzte Senatorin Jaroslava Moserova, aufgestellt vom kleineren Koalitionspartner der Christdemokraten und Liberalen. Entscheidend aber ist, dass viele Abgeordnete und Senatoren, ähnlich wie beim ersten Wahlgang, vermutlich wieder ungültig wählen werden, weil sie mit einem völlig neuen Favoriten im dritten Wahlgang rechnen. Oder es wird schließlich doch die tschechische Verfassung geändert und irgendwann im Herbst eine Direktwahl durch das Volk stattfinden.

Unter bestimmten Bedingungen könnte die Entscheidung aber vielleicht doch schon an diesem Freitag (24.1.) fallen. Hinter den Kulissen versucht Milos Zeman mit möglichst vielen Abgeordneten ins Gespräch zu kommen. Auch mit den 44 Kommunisten unter den 281 Parlamentariern, die über Tschechiens künftigen Staatspräsidenten zu entscheiden haben. Sie ließen sich Presseberichten zufolge gerne überreden, für Zeman zu stimmen, verlangen dafür aber auch einen Preis - zum Beispiel in Form von attraktiven Posten am Tschechischen Verfassungsgericht oder in der Nationalbank. (fp)