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Nur das Knirschen des Neuschnees

Arno Stroncik
8. Januar 2017

Auf großen Füßen durch den Tiefschnee: Das Laufen in Schneeschuhen wird immer beliebter. Mittlerweile werden sogar Welt- und Europameisterschaften ausgetragen. Was ist dran an der Trendsportart? Ein Selbstversuch.

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Schneeschuhe
Bild: picture-alliance/ASA/S. Kisch

Mit dem Lift rauf, zack, rein in die Skier, kurzer Rundumblick und wieder runter ins Tal - so verlaufen oftmals meine alpinen Skitage. Das ambitionierte Ziel: möglichst viele Pistenkilometer abfahren und beim Einkehrschwung über Schwierigkeitsgrade fachsimpeln. Doch stellt sich Gewöhnung ein, warum daher nicht einmal als sportliche Alternative Wandern mit Schneeschuhen?

"Das Laufen durch tiefen Schnee liegt im Trend und ist eine ideale Ergänzung", betont Andreas Wierer, Bergführer in der österreichischen Achensee-Region: "Vormittags zwei Stunden Skifahren - nachmittags und in den Abend rein eine Schneeschuhwanderung!" Früher hätten Jäger und Bauern Holzrahmen mit Schnüren verwendet, um in schneereichen Gegenden irgendwo hinzukommen. Jetzt nutze man es touristisch oder sportlich.

Hochleistung je nach Schneelage

Ich habe mich einer Gruppen-Wanderung in Richtung Rofanspitze (2259 Meter) angeschlossen, die über dem Achensee in Tirol thront. Das überwiegend flache, fast liebliche Gelände unterhalb der schroffen Kalkwände sei ideal für Anfänger, heißt es. Zunächst gestaltet sich mein Wintertag wie gewohnt. Dicht gedrängt geht es von Maurach in der Rofanseilbahn auf 1831 Meter Höhe.

Oben stellt sich kurzzeitig Neid ein: Skifahrer und Snowboarder schwingen bereits auf herrlich präparierten Pisten dem Tal entgegen, ich kämpfe noch mit dem Anlegen meiner Schneeschuhe aus Plastik, die ein Einsinken weitgehend verhindern sollen. Mit Riemen befestige ich sie an meine Wanderstiefel. Dann erste Schritte und erste Ernüchterung: Elegantes Gleiten ist nicht angesagt. Stattdessen heißt es: Schön Schritt vor Schritt setzen und in einer Reihe dem Bergführer folgen.

Österreich Schneeschuhlaufen am Rofan
Schneeschuhwandern am RofanBild: DW/S. Stroncik

"Man ist komplett weg von den Menschenmassen", erläutert Andreas Wierer das Reizvolle der Sportart. "Du gehst um die Ecke herum, siehst keinen Lift und hörst nichts mehr." Außer dem Knirschen des Neuschnees unter den breiten Schuhen oder dem angestrengten Atem vielleicht. "Beim Schneeschuhwandern ist der ganze Körper in Bewegung, es trainiert die Koordination und man hat eine gute Auslastung für das Herz-Kreislauf-System", betont Wierer. Und je nach Schneelage sei es sogar ein Hochleistungssport. "Es ist wie Laufen im nassen, weichen Sand am Meer. Und wenn es dich schmeißt, ist das auch kein Problem."

Belgischer Kreisel im Schnee

Schneeschuhlaufen eignet sich für Menschen jeden Alters und ist praktisch überall möglich, bei jeder Schneedicke und Schneeart. Dabei benutzt man Stöcke wie beim Nordic Walking. Christoph Leithner, Leiter der Skischule Pertisau, empfiehlt für Einsteiger die Ruhe der verschneiten Bergwelt an dem von Gletschern geschaffenen Achensee: "Da geht man in die schönen Täler rein, kann das Wild beobachten oder sich eine romantische Hütte suchen." Lohnenswert seien auch Wege auf moderaten Kuppen "mit herrlichem Panoramablick" über den größten See Tirols und seinen Orten Achenkirch, Eben, Maurach und Pertisau. Anspruchsvoller gestalteten sich Touren im Naturpark Karwendel sowie im Rofangebirge.

Schneeschuhlaufen am Achensee  Tirol
Umringt von schneebedeckten Bergen und Kuppen liegt der 9,4 Kilometer lange AchenseeBild: DW/S. Stroncik

Dort habe ich in meiner Schneeschuh-Wandergruppe abseits geräumter Wege die Führungsarbeit übernommen. Das verlangt Kraft und Trittsicherheit. Mühselig stapfe ich zwischen haushohen Felsen bergan und setze frische Spuren in den Pulverschnee. Eiskristalle glitzern in der kalten Winterluft. Nach ein paar Minuten trete ich erleichtert zur Seite, der Nächste in der Reihe schreitet nun voran. Während ich mich hinten anschließe und Windschatten genieße, fühle ich mich ein wenig an den Belgischen Kreisel im Radsport erinnert.

"Bergab sollte man aber seinen eigenen Weg wählen, in einer getretenen Spur ist es eher rutschig", warnt Bergführer Wierer und gibt weitere Tipps: Unbedingt sollte man den Wetterbericht kennen sowie die Lawinensituation beachten. "Und die erlaubt es uns heute leider nicht, die Rofanspitze zu erreichen." Die Durchquerung eines steilen Hanges unterhalb der Kalkwände sei zu gefährlich.

Im Zeichen des Klimawandels

Viele Wintersportregionen propagieren nachhaltigen, sanften Tourismus. Dazu passt Schneeschuhwandern als alternatives Angebot zum Skifahren. Die Sportart ist kaum abhängig von äußeren Bedingungen, auf die Präparation von Pisten kann verzichtet und somit Energie eingespart werden. Vermehrt bieten Tourismusorte geführte Touren an und beraten in Ausrüstungsfragen. Je nach Modell kosten Schneeschuhe zwischen 80 und 300 Euro. In vielen Skigebieten kann man sie aber auch leihen.

Schneeschuhe
Gut gerüstet auf SchneeschuhtourBild: picture-alliance/dpa/ASA

In den Französischen Alpen wird Schneeschuhlaufen seit Jahren als Volkssport betrieben. Und auch in Skandinavien, Italien oder Nordamerika gibt es Wettkämpfe, wie etwa die Schneeschuh-Weltmeisterschaft am 25. Februar  im US-amerikanischen Saranca Lake. Als renommierter Schneeschuh-Wettlauf gilt die "Ciaspolada". Das Rennen wird seit 1972 regelmäßig in den italienischen Dolomiten ausgetragen. Zuletzt nahmen 5.000 Läufer daran teil. Am 22. Januar findet dort die Europameisterschaft statt.

Mit Rücksicht auf die Natur

Ich habe derweil im Schnee frische Abdrücke von Gämsen entdeckt, bekomme die behornten Tiere aber nicht zu Gesicht. "Normalerweise halten sich Gämsen im Winter eher in tieferen Lagen im Wald auf", sagt Bergführer Wierer und verweist auf den Naturschutz. Ähnlich wie bei Skitouren abseits der Pisten und Loipen sollten Schneeschuh-Wanderer Waldgebiete meiden, denn: "Viele Tiere halten Winterschlaf." Mit etwas Glück könne man aber Steinadler sehen.

Statt zum Himmel ist mein Blick aber bergab gerichtet, es gilt am Ende einer wunderschönen Halbtagestour oberhalb des Achensees abschüssige Passagen zu überwinden. Und da komme ich doch noch in den Genuss von Gleitphasen: Auf dem Hosenboden geht es ein paar Meter in die Tiefe, um sanft im Tiefschnee zu landen.

Nach vier Stunden sportlichem Stapfen durch die einsame Natur - entspannt, aber auch Ausdauer gestärkt - lädt die Erfurter Hütte nahe der Rofanseilbahn zur Einkehr ein. Dort lässt es sich beim Verzehr eines wohlverdienten Kaiserschmarrens vortrefflich über gelaufene Kilometer und Schwierigkeitsgrade von Schneeschuhtouren fachsimpeln.